Plädoyer für eine faire Stiftung

Besprechung am Morgen
Impuls
© Illustration: Sandra Haselsteiner
10.02.2021
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Kooperative Führungsmodelle, Diversität und durchdachte Richtlinien beleben die Governance von Stiftungen. Wie genau, das zeigt eine neue Toolbox, die gerade entwickelt wird.

Die Corona-Ausnahmesituation ist nicht nur ein Stresstest für das Gesundheitssystem und die Kinderbetreuung. Auch unser Arbeiten hat sich von heute auf morgen grundlegend verändert: Homeoffice statt Büroalltag, Videokonferenzen statt Dienstreisen. Flexibilität und Solidarität gegenüber Geförderten und Mitarbeitenden wurden in vielen Stiftungen zum „neuen Normal“. Plötzlich geht, was vorher unrealistisch erschien. Längerfristige Förderungen, auch für die sogenannte Infrastruktur, Verwaltung und Personalkosten, mehr Zusammenarbeit, selbst über Sektorengrenzen hinweg. Das hat auch Konsequenzen für ein neues Verständnis von Führung. Denn gegenseitiges Vertrauen, Kollaboration, (kollegiale) Unterstützung, neue Entscheidungswege und Verantwortungsübernahme haben sich in den vergangenen Monaten als unerlässlich erwiesen.

Stiftungen sollten die positiven Erfahrungen aus der Krise nutzen, um innovativer und systemisch wirksamer zu werden. Ein Schlüsselkriterium dafür ist Vielfalt. Denn Diversität fördert Entwicklung, Innovation und Gerechtigkeit. In der internationalen Philanthropie wird Diversity, Equity und Inclusion (DEI, deutsch: Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion) längst konzeptionell zusammengedacht. Einige Organisationen nutzen den Begriff „Belonging“ (deutsch: Zugehörigkeit). Der britische Stiftungsverband ACF hat im Programm „Stronger Foundation“ neun Eckpfeiler für die DEI-Praxis mit Stiftungen entwickelt. Auch in Deutschland sollte Stiftungshandeln Diversität umfassen: Gemeinsam mit anderen Autorinnen und Autoren entwickeln wir daher eine entsprechende Toolbox.

Faire Führungskonzepte

Krisen sind häufig Auslöser für Erneuerung. Nachdem Oxfam durch sexualisierte Gewalt einzelner Mitarbeiter in die Schlagzeilen geraten war, führte die Organisation weltweit das Feminist-Leadership-Modell ein. Es wurde im anglo-amerikanischen Raum sowie im globalen Süden entwickelt. Helene Wolf, Vorständin von FairShare of Women Leaders, schreibt als Koautorin in der Toolbox: „Um Missverständnissen gleich zuvorzukommen: Feministische Führungskultur bezieht sich nicht nur auf die Einbindung und Repräsentation von Frauen oder auf weibliche Führungsqualitäten. Die Vision von Feminist Leadership stellt Repräsentation, Kollaboration und Gleichberechtigung in den Mittelpunkt – Werte und Ziele, die viele Stiftungen in ihrer Programmarbeit anstreben und die sich auch in der internen Führungskultur wiederfinden sollten.“ Anders als in traditionellen Hierarchien werden alle Geschlechter gleich beteiligt und zwar auf allen Ebenen einer Organisation. Denn Transparenz von Macht- und Entscheidungsstrukturen ist zentral in diesem Modell. Wolf empfiehlt daher, sich folgende Fragen zu stellen: „In welcher Führungskultur möchte ich arbeiten und wie kann ich dazu beitragen? Welche Rolle spielt Diversität derzeit in meiner Organisation und wie gehe ich bisher mit dem Thema um? Wo habe ich eventuell durch mein Handeln oder Entscheiden Diversität erschwert?“

Explizit auf Diversität zielt das Inclusive-Leader­ship-Modell, das beispielsweise die Europäische Frauenakademie (EAF) nutzt und zu dem sie Organisationen berät. Die Grundidee ist, das Gemeinsame zu betonen und nicht die Unterschiede. Oder: eine offene Denkhaltung, die anderen Raum gibt, ihre Ideen einzubringen. Egal welches Führungsmodell eine Stiftung auswählt, wichtig ist die aktive Auseinandersetzung. Was macht unsere Organisationskultur zukunftsfähig? Denn wer in unserer global vernetzten und technisch innovativen VUCA-Welt (volatile, uncertain, complex and ambiguous) etwas verändern möchte, muss bereit sein, sich selbst zu ändern. Kommunikation ist dafür essenziell. Eine Organisation mit kollektiv-kooperativer Führung, die auf Vertrauen und Transparenz setzt, ihre Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt, Verantwortung teilt, Vielfalt lebt und von gegenseitigem Verständnis geprägt ist, ist ein Mehrwert für alle.

Faire Grundsätze

Vor Kurzem fragte eine Mitgliedsstiftung beim Bundesverband an, ob es Empfehlungen für eine Safeguard Policy gibt, die sie für eine Förderung einreichen soll. Das zeigt erstens: Als Förderer haben Sie Einfluss und können Geförderte an ihren Richtlinien messen. Zweitens: Stiftungen sollten Richtlinien haben. Drittens: Es gibt Beratungsbedarf dazu. Als einfacher Governance Codex für Stiftungen dienen die Grundsätze guter Stiftungspraxis, die 2019 erweitert wurden. Sie sind ein freiwilliger Orientierungsrahmen, der Rücksicht nimmt auf den heterogenen Sektor. Doch auch hier gilt: Mehr ist möglich und oft sinnvoll. Wer Spenden sammelt, international unterwegs ist, mit vulnerablen Personen arbeitet, anspruchsvoll mit sich selbst ist, sollte weitere Leitlinien einführen. Welche Siegel, Selbstverpflichtungen und Netzwerke helfen neben den Grundsätzen, intern klar und extern transparent zu sein? Hier eine Auswahl:

Vorbildlich ist zum Beispiel die Heinz Sielmann Stiftung: Die Naturschutzstiftung zeigt unter dem Motto „Vielfalt ist unsere Natur“ online ihre Siegel und Zertifikate. Als erste Stiftung hat sie sich selbst verpflichtet, bis 2030 mindestens 50 Prozent der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Den Diversity-Kodex der Initiative D21 können interessierte Stiftungen downloaden und als Grundlage für eigene Regelwerke nutzen.

DIG-Toolbox

Wie können Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit (DIG) Stiftungen bereichern? Die DIG-Toolbox stellt Strategien und Arbeitsfelder vor: Von A wie Anti-Bias über Digitalisierung, diversitätsgerechtes Investieren, faire Sprache, Gendermainstreaming, Generationenmanagement, Gleichstellung, Innovationsfähigkeit, Inklusion, Intersektionalität, kooperative feministische Führungskultur, Personalpolitik, Unconscious Bias, Veranstaltungsmanagement bis W wie Wirkung sowie Work-Life-Balance und Sorgearbeit. Damit zielt die Box auf eine offene Organisations- und Führungskultur, die vielfältige Perspektiven von Bildungsgrad, Branche, Position und Denkmuster zulässt. Merkmale von Diversität sind beispielsweise Alter, Bildungsgrad, Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung. Die Autorinnen und Autoren geben praxisnahe Empfehlungen, die das Umdenken befördern. Die Box soll 2021 gedruckt erscheinen und online ergänzt werden durch Checklisten, Links und Interviews.

Zum Weiterlesen:

Weitere Autorin

Johanna Ebeling arbeitet als Programmmanagerin und Diversity Managerin beim Stifterverband.

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