#PhilTech - Stiftungen und digitaler Wandel

Impuls
09.05.2018
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Stiftungen werden den digitalen Wandel überleben, keine Frage. Doch bleiben sie auch relevant? Lesen Sie jetzt den aktuellen Impuls von Generalsekretär Felix Oldenburg zum Thema digitaler Wandel und Stiftungsarbeit.

Die chinesische Regierung hat ein Social-Credit-System eingeführt, das bis 2020 allen Einwohnerinnen und Einwohnern des Landes eine Punktezahl für Konsum, Kreditwürdigkeit und Konformität geben soll. Chris Larsen, Gründer der Kryptowährung Ripple, ist kurzfristig auf die Liste der zehn reichsten Menschen der Welt gerutscht. Das Computerprogramm AlphaZero hat sich gerade autonom Spiele von Schach bis Go beigebracht und gegen die vormals stärksten Programme gewonnen.

Drei fast zufällig ausgewählte Nachrichten aus den ersten Tagen des Jahres 2018. Drei weitere Schritte in Richtung digitale Überwachung, Krypto-Business, autonome Systeme. Es ließen sich Hunderte mehr nennen. Wenn Sie diesen Artikel in einem Jahr wieder zur Hand nehmen, sind das alles alte Hüte. Die Geschwindigkeit des digitalen Wandels provoziert sehr unterschiedliche Reaktionen, und jede Haltung findet ihre Bestätigungs-Bubble. Wer es technologieoptimistisch mag, surft durch 18-Minuten-TED-Talks der globalen Tech-Prominenz. Wer skeptischer ist, dem spricht der prominenteste Deutsche im Silicon Valley, der Investor Peter Thiel, in seinem Manifest „What Happened to the Future?“ (mit Anspielung auf das heute bereits obsolete Zeichenlimit bei Twitter) aus dem Herzen: „Wir wollten fliegende Autos und bekamen 140 Zeichen.“ Wer statt Sarkasmus Dystopie möchte, hat vermutlich an der britischen Science-Fiction-Serie „Black Mirror“, die die Auswirkungen von Technik und Medien auf die Gesellschaft aufs Korn nimmt, seine Freude.

Die üblichen Reflexe

Unsere Reaktionsmuster auf technologischen Wandel folgen ausgetretenen Pfaden. Die Autorin Kathrin Passig beschreibt in ihren „Standardsituationen der Technologiekritik“ (Merkur 727, 12/2009) treffend, wie das Neue immer wieder zuerst als nutzlos und lästig empfunden wird – eine Haltung, die bereits bei der Einführung von Wegweisern oder später Straßenlaternen zu beobachten ist. Dann wird gefragt, wer so etwas nutzen wolle – im Zweifel nur kleine Minderheiten. Wer sonst könnte etwa sprechende Schauspieler den Stummfilmen vorziehen (Filmproduzent Harry Morris Warner in den 1930er-Jahren) oder sich vor einen Bildschirm setzen wollen, statt Bücher zu lesen? Alsbald werden Neuerungen als vorübergehende Hypes abgetan, bevor sie dann doch als gefährlich bekämpft werden. Das Internet etwa sei vor allem für Terroristen und die Porno-Industrie nützlich oder mache doof (Publizist Henryk M. Broder, 2007). Schließlich findet man sich mit der Innovation ab, beschwert sich aber über ihre Unzuverlässigkeit, Unbequemlichkeit, über Kosten und Nebenwirkungen. Die Hoffnung, das Rad ließe sich zurückdrehen, stirbt nie und wird in der letzten Stufe der Kritik in der angeblichen Sorge um vermeintlich Schwächere, die Neues nicht oder nicht verantwortlich nutzen könnten, erkennbar – ein Argument, das schon gegen Goethes „Werther“ vorgebracht wurde (Stadtrat Leipzig 1775).

Im Kern angekommen

Die Digitalisierung ist nicht mehr neu, auch für Stiftungen nicht. Aber sie ist immer noch am Anfang. Und: Die Digitalisierung beschleunigt sich selbst. „Was analog war, wird digitalisiert. Was digital ist, wird gespeichert. Was gespeichert wird, wird durch Algorithmen verarbeitet“, bringt es der US-amerikanische Autor Thomas Friedman auf den Punkt (Thomas Friedman: Thank You For Being Late, 2017). Seit drei Jahrzehnten transformiert die Digitalisierung einen gesellschaftlichen Bereich, ein unternehmerisches Geschäftsmodell nach dem anderen. Natürlich auch Stiftungen. Sie betrifft nicht mehr nur die operative Arbeit in der Buchhaltung oder der Kommunikation von Stiftungen, sondern ist in ihren Kern vorgedrungen; sie verändert das Stiftungswirken und sogar nicht selten die Ziele selbst.

Philanthropic technology: Stiftungen machen es vor

Fast für jeden Stiftungszweck lassen sich inzwischen neue Wirkungsmodelle finden. Analog zu „FinTech“ (financial technology) könnte man von „PhilTech“ (philanthropic technology) sprechen. Wer Demokratie fördern will, kommt um die Potenziale und Gefahren der Sozialen Netzwerke nicht mehr herum, kann sich digitale Mobilisierung von der Petitionsplattform change.org abschauen, wie die Hertie-Stiftung beim Deutschen Integrationspreis auf Crowdfunding setzen oder bei abgeordnetenwatch.de lernen, wie der Dialog mit der Politik funktioniert. Zugleich zeigen die Beeinflussung Sozialer Medien vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die digitale Unterdrückung demokratischer Aktivisten in Diktaturen oder die Online-Rekrutierung von Salafisten hierzulande, wie das Internet der Demokratieförderung nicht nur neue Instrumente, sondern auch neue Herausforderungen bereitet.

Wer Bildungschancen verbessern mochte, nutzt – wie die Robert Bosch Stiftung oder die Siemens Stiftung und andere – zunehmend die enorme Skalierung von Selbstlern-Angeboten (MOOCs – Massive Open Online Courses) nach dem Vorbild etwa der Khan Academy (bzw. ihres deutschen Nachzüglers serlo.org). Oder er setzt auf neue Zugangswege zu höherer Bildung – wie es das Flüchtlingsprojekt Kiron University tut, das maßgeblich von deutschen Stiftungen finanziert wurde. Gleichzeitig haben Bildungsstiftungen neue Probleme wie Digital Divides, Cybermobbing oder Medienabhängigkeit zu bewältigen.

Wer in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, wird die Direktheit von Plattformen für Kredite wie Kiva und Spenden wie betterplace oder die Effizienz von Give- Directly schätzen. Andere werden vielleicht von Big Data profitieren, wie es etwa die Bill & Melinda Gates Foundation in Indien tut, die Vergleichsindikatoren einzelner Stadtbezirke nutzt, um Strategien zu vergleichen und laufend anzupassen.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Aber es fällt auf, dass nur wenige der Beispiele von Stiftungen selbst entwickelt oder entscheidend gefördert wurden. Erst wenige Stiftungen haben sich aufgemacht, nicht nur digitale Lösungen für analoge Zwecke zu nutzen, sondern PhilTech – digitale Innovation, Entrepreneurship oder Aktivismus – selbst zu fördern. Das Wirkungspotenzial wäre gewaltig, weil gerade mehrere Technologietrends zusammentreffen und neue Möglichkeiten für kostengünstige, kollaborative, schnell skalierende, sichere und selbstlernende Lösungen schaffen.

Hardware hoch Vernetzung hoch Software

Der erste Trend ist alt: Moore’s Law der regelmäßigen Verdopplung der Rechenleistung hat mittlerweile dazu geführt, dass Computer fast beliebig miniaturisiert zu fast beliebig niedrigen Preisen verfügbar sind. Der zweite liegt ebenfalls auf der Hand: Im Internet of Things sind mittlerweile über 20 Milliarden Geräte verbunden. Jünger und weniger leicht greifbar, aber noch wirkungsmächtiger sind drei Trends der offenen Software-Entwicklung: Auf Plattformen wie GitHub teilen über 25 Millionen Entwickler ihren Code und können in kürzester Zeit komplexe Projekte aus Bausteinen zusammensetzen. Zweitens ermöglichten offene Technologien wie das Software-Framework Hadoop kostenlos die automatisierte und verteilte Analyse großer Datensets. Und schließlich lassen sich mit Blockchain-Architekturen öffentliche Datensatze manipulationssicher machen, indem sie kryptografisch verkettet und voneinander abhängig sind.

Beinahe kostenlose, über das Internet vernetzte Hardware, gekoppelt mit frei verfügbarer Software, die Big Data nutzen und fälschungssichere Informationen produzieren kann: Erst seit wenigen Jahren liegen die Werkzeuge für jeden Menschen fast umsonst auf dem Tisch der sprichwörtlichen Start-up-Garage – eine enorme Kraft, die mehr bewirken kann als nur ein schrittweises Verändern von Stiftungsarbeit.

Szenarien der Disruption

An wenigen Orten ist die digitale Disruption so greifbar wie im größten (Stiftungs-)Projekt aller Zeiten: Die Wikipedia ist gerade einmal 17 Jahre alt. Dennoch hat die freie Online-Enzyklopädie bewiesen, dass Millionen Menschen statt Konsumenten auch Mitmacher, Mitunternehmer, Miteigentümer sein können. Das Prinzip ist inzwischen überall, es pulverisiert Geschäftsmodelle, verwischt Sektorenund Ländergrenzen. Thomas Friedman fasst die neue Logik anschaulich zusammen: “Uber, the world’s largest taxi company, owns no vehicles. Facebook, the world’s most popular media owner, creates no content. Alibaba, the most valuable retailer, has no inventory. And Airbnb, the world’s largest accommodation provider, owns no real estate. Something interesting is happening.“

Jede Branche hat sich bisher vor Disruption sicher gewähnt – bis sie kam. Das Internet ist der Tod der Mittelsmänner. Stiftungen waren immer mehr, müssen mehr bleiben als Mittelsmänner zwischen Kapital und Wirkung. Was ist in Zukunft ihre wichtigste Rolle? Sprunghafte Veränderung ist notorisch schwierig vorauszusehen, aber mir scheinen drei Denkrichtungen plausibel:

1. Das Internet ermöglicht statt aufwändiger, aktiver Stiftungsarbeit auch automatisierte, passive Mobilisierung und Verteilung von Mitteln. Bereits heute nutzen Stiftungen wie die deutsche Guerrilla Foundation mit partizipativem Grantmaking verteilte Intelligenz, statt selbst Anträge zu bewerten. Als nächstes sind die Maschinen an der Reihe. Das beginnt bei der algorithmischen Bewertung eingehender Förderanfragen, wie sie etwa die kanadische Ontario Trillium Foundation bereits anwendet, und könnte in der automatisierten Bewilligung von Direkthilfe etwa bei Erreichen einer bestimmten Erdbebenstärke enden. Mit „smart contracts“ könnten automatische Auszahlungen und Kontrollen erfolgen, ob traditionell über Banken oder transaktionskostenfrei über Kryptowährungen. Die ersten Anwender wären passiv verwaltete Spenden- und Stiftungsvermögen. Diese gibt es in „Donor Advised Funds“ bereits in gewaltigem Umfang, und verwaltete Treuhandstiftungen nehmen auch in Deutschland an Bedeutung zu. Das rapide Wachstum der mit Indexfonds bis Robo-Advisor passiv investierten Vermögen könnte den Weg auch für die Philanthropie weisen.

2. Wenn Millionen Menschen miteinander an Ideen arbeiten, ersetzen zweitens Kooperationsplattformen herkömmliche Organisationen mit ihrer internen Wertschöpfung. Stiftungen sind heute noch meist sehr selbstständige Institutionen, die von der Vermögensanlage über die Projektauswahl und -förderung bis zur Evaluierung alle wesentlichen Prozesse ihrer Arbeit mit eigenem Personal organisieren. Die „Platform Economy“ könnte die hochqualifizierten Profis in Stiftungen genauso überflüssig machen wie in zahlreichen anderen Branchen. Wer Mitmacher („flows“) außerhalb der eigenen Organisation mobilisieren kann, bewegt mehr, als wer sich auf statische Vorratshaltung („stocks“) an Ressourcen und Expertise innerhalb der eigenen Organisation verlässt. Die Testfrage lautet: Wie viel Stiftungsvermögen wäre vonnöten gewesen, um aus Erträgen Personal zu bezahlen, das eine Wikipedia hätte schreiben können? Danny Sriskandarajah, Londoner Chef des NGO-Netzwerks Civicus, diagnostiziert bereits eine „Peak Charity“, einen Scheitelpunkt also, an dem professionelle Förderstrategien zugunsten einer weltweit verteilten Intelligenz von Social Entrepreneurs, Engagierten und Hobbyisten abgelöst werden, die traditionellen Stiftungen den Rang ablaufen wird. In Deutschland kann man Vorläufer einer solchen Entwicklung etwa bei den offenen Transferprojekten der Stiftung Bürgermut oder offenen Netzwerken wie den BMW Young Leaders oder dem Changemaker XChange beobachten.

3. Aber Stiftungen könnten in einem dritten Denkmodell auch dramatisch an Bedeutung gewinnen, als Antwort auf die Frage: Wem gehört das Internet? Als Eigentümer digitaler Infrastrukturen wären sie unabhängig von Regierungen, streng kontrolliert und verankert in der Zivilgesellschaft. Anfänge sind bereits zu beobachten: Schon heute hat die Netz-Community viele zentrale Projekte in eigene Stiftungen wie die Mozilla Foundation, die Apache Foundation oder die Wikimedia Foundation eingebracht. Und die Start-up-Wirtschaft bietet auch Stiftungen Beteiligungsmöglichkeiten. Was wäre, wenn die Knight Foundation Twitter als Miteigentümer übernommen hätte, als dessen Gründer Jack Dorsey auf der Suche nach Förderung dort vergeblich anklopfte? Das deutsche Start-up nebenan.de hat bereits eine Stiftung gegründet, um eine Heimat für digitales Nachbarschaftsengagement zu werden. Die Philanthropie der nächsten Generation beginnt, die Logik von Start-up und Stiftung zu verbinden. Heute gehört das Internet den Geeks und Wagniskapitalgebern. Warum nicht morgen über Stiftungen auch der Gesellschaft selbst?

Alles kann, nichts muss?

In vielen Gesprächen über die Folgen der Digitalisierung für Stiftungen treffe ich – neben dem Ignorieren – grob drei Haltungen an: Beharren, Mithalten oder Gestalten. Für das Beharren spricht einiges. Immerhin sind Stiftungen auf Dauerhaftigkeit angelegt und haben die Freiheit, sich Moden zu entziehen. Vor dem Mithalten läge zunächst das Aufholen und vor dem Gestalten der Wandel im Kopf. Einen schönen Tweet von @jasonricci, Gründer des kalifornischen IT-Unternehmens Fluxx, dazu habe ich neulich markiert: „data-driven, tech-forward future # philanthropy: 10% #tech, 90% paradigm shift“.

Stiftungen gibt es, seit Menschen durch Ackerbau erstmals Überschüsse erzielt haben. Sie haben sich immer verändert. Weder Ressourcen noch Zwecke werden ihnen ausgehen. Sie werden überleben. Wenn sie ihre Bedeutung aber auch im digitalen Zeitalter erhalten und ausbauen wollen, könnten sie die Ermutigung dafür nicht nur auf Twitter, sondern auch bei Gustav Heinemann, dritter Bundespräsident der Bundesrepublik und Stiftungsmitgründer, finden: „Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“

Felix Oldenburg

Generalsekretär Bundesverband Deutscher Stiftungen von 2016-2020

Alle Beiträge von Felix Oldenburg
Weitere Informationen

Lesen Sie mehr zum Thema Digitalisierung und Stiftungen in der Frühlingsausgabe 2018 der Stiftungswelt. 

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