Der Mutmacher Hans Schöpflin – eine Würdigung

Stifterpreisträger 2020 Hans Schöpflin
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© Felix-Groteloh
12.10.2021
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Nichts im Leben bleibt, wie es ist: Diese tief durchlebte Erkenntnis zeichnet den Träger des Deutschen Stifterpreises 2020 aus und begründet seine Philanthropie, die uns auffordert, auch schmerzhafte Veränderungen mutig anzunehmen und in etwas Positives zu verwandeln. Im Rahmen der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen am 11. November 2021 in Frankfurt am Main wird dem Unternehmer Hans Schöpflin die höchste Auszeichnung des deutschen Stiftungswesens verliehen.

Am 11. November 2021 wird Hans Schöpflin in Frankfurt am Main der Deutsche Stifterpreis überreicht. Die Verleihung sollte eigentlich im Rahmen des Deutschen Stiftungstages 2020 in Leipzig stattfinden. Doch wie zahllose andere Veranstaltungen musste auch diese Feier aufgrund der Coronapandemie abgesagt werden. Nun, eineinhalb Jahre später, finden wir langsam zurück in die Normalität und freuen uns, die Ehrung nachholen zu können.

Die Coronapandemie hat auch Stiftungen vor große Herausforderungen gestellt. Sie bedroht nach wie vor nicht nur das Leben und die Gesundheit der Menschen, sie gefährdet überall auf der Welt auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vor diesem Hintergrund bekommt die Begründung, mit der im Februar 2020 der Preisträger der höchsten Auszeichnung des deutschen Stiftungswesens bekanntgegeben wurde, rückblickend noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Hans Schöpflin, so erklärte Prof. Dr. Joachim Rogall, mein Vorgänger im Amt des Vorstandsvorsitzenden, sei ein „Mutmacher“. Dabei konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen, wie schwierig es angesichts des
Ausmaßes und der Dauer der Krise werden würde, eben diesen Mut nicht zu verlieren. Aber was bedeutet es für einen Stifter und eine Stiftung, „mutig“ zu handeln?

Hans Schöpflin liegen Mut und Risikobereitschaft im Blut. Er ist nicht nur Philanthrop, sondern auch Risikokapitalgeber. Vor 80 Jahren als Sohn der Unternehmerfamilie Schöpflin im südbadischen Lörrach geboren, führte ihn sein Weg nach dem Studium in die USA, wo er sich Anfang der 1980er-Jahre erfolgreich als Venture Capitalist selbstständig machte. Ein erfolgreicher Wagniskapitelgeber zu werden, so heißt es, ist nichts, das man lernen kann. Es erfordert vielmehr ganz bestimmte Eigenschaften – neben Risikofreude auch intellektuelle Neugier, dynamisches Denken und einen offenen Geist.

Alles fließt

Dieses unternehmerische Denken hat Hans Schöpflin in seine philanthropische Arbeit überführt: Mut und Risikobereitschaft sind Selbstverständnis und Auftrag der Schöpflin Stiftung, die er vor 20 Jahren gemeinsam mit seinen Geschwistern gegründet hat. Die Stiftung investiert „soziales Risikokapital“ in junge Organisationen und ermöglicht zivilgesellschaftliche Experimente – im steten Wissen, dass die geförderten Ideen und Vorhaben scheitern können, aber mit der Überzeugung und Erfahrung, dass Rückschläge und Niederlagen untrennbar zum Erfolg gehören. Dieser Ansatz setzt ein großes Maß an Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit voraus – beides ebenfalls Eigenschaften, die die Persönlichkeit des Stifters auszeichnen und seinen Lebensweg geprägt haben.

Fragt man Hans Schöpflin nach dem Fundament seiner Philanthropie, dann beruft er sich auf den griechischen Philosophen Heraklit, nach dessen bekanntestem Ausspruch er auch seine erste Stiftung benannt hat: die Panta Rhea Foundation, die er 1998 in den USA gründete. Panta rhei – das bedeutet: „Alles ist im Fluss“, nichts hat Bestand, wir müssen uns immer wieder neu orientieren. Dieser Satz lehrt uns, keine Angst zu haben, neugierig zu bleiben, die Beherztheit und die Flexibilität zu bewahren, uns ständiger Veränderung anzupassen – eine Haltung, deren Bedeutung uns die letzten 18 Monate eindringlich vor Augen geführt haben.

Auch für Hans Schöpflin lag der Ursprung zu dieser Erkenntnis in einer Krise und persönlichen Tragödie, dem Drogentod seines Sohnes im Jahr 1995. Dieser bedeutete den Wendepunkt in seinem Leben: vom Unternehmer zum Philanthropen. Zu Hans Schöpflins Erfahrung gehört damit auch, dass es möglich ist, nicht in einer schmerzhaften Situation und dem Gefühl der Ohnmacht zu verharren, sondern sie in den Beginn von etwas Neuem, Positivem zu verwandeln. Und auch diese Einsicht fand Eingang in seine Philanthropie und wurde zu einem zentralen Anliegen.

Stifter und Anstifter

Hans Schöpflin sieht sich, wie er oft betont, nicht nur als Stifter, sondern auch als „Anstifter“. Sein Einsatz und die Arbeit der Stiftung beinhalten stets die Aufforderung an alle Mitglieder der Gesellschaft, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich aktiv an der Gestaltung der Gemeinschaft zu beteiligen. Stiftungen können Rahmenbedingungen schaffen, die Menschen in die Lage versetzen, persönliche und gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern – etwa indem sie, wie die Schöpflin Stiftung, in Innovationen im Bildungssektor investieren, in der Suchtprävention aktiv sind oder die Integration Geflüchteter fördern.

Doch letztendlich sind es die Menschen selbst, die Veränderungen umsetzen und dafür sorgen müssen, dass sie bestehen bleiben. Ein solches Selbstverständnis entspricht vielleicht weniger der deutschen Stiftungstradition als vielmehr der US-amerikanischen Philanthropie. Letztere setzt auch oder vor allem auf individuelle Verantwortung und auf die Ausweitung des zivilgesellschaftlichen Engagements.

Positives Menschenbild

Diesem Ansatz wiederum liegt ein grundsätzlich positives Menschenbild zugrunde – der Glaube daran, dass Menschen, wenn sie die Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Potenziale und den Raum für freien Meinungsaustausch bekommen, Entscheidungen treffen, die dem Gemeinwohl dienen. Dieses antielitäre Vertrauen in Erfolg und Chancen von Bottom-up-Prozessen liegt dem Engagement der Schöpflin Stiftung im ersten bundesweiten Bürgerrat zugrunde, dessen Mitinitiatorin sie im Jahr 2019 war. Es zeigt sich auch in der Unterstützung der Stiftung für junge Menschen und Organisationen, die oftmals nicht viel mehr vorzuweisen haben als brennende Begeisterung für eine Idee.

So war die Schöpflin Stiftung eine der ersten Förderinnen der jungen Organisation ProjectTogether, die im Coronajahr 2020 gemeinsam mit anderen NGOs den #WirVsVirus-Hackathon initiierte, in dessen Rahmen innovative Ideen für einen Ausweg aus der Krise gebündelt wurden. ProjectTogether war damit so überzeugend, dass das Bundeskanzleramt die Schirmherrschaft übernahm. Beides sind Beispiele für eine erfolgreiche Investition von „Wagniskapital“, bei der sich Risiko und Vertrauensvorschuss auszahlten.

Mit Hans Schöpflin wird stifterisches Handeln geehrt, das dazu aufruft, sich nicht in der trügerischen Sicherheit etablierter Strukturen zu wiegen, sondern sich unverdrossen der Tatsache zu stellen, dass das Leben ständigen Veränderungen und permanentem Wandel unterworfen ist. In dem optimistischen Vertrauen darauf, dass es einen Ausweg aus jeder Krise gibt, fordert er jede und jeden Einzelnen auf, aktiv zu werden – und den Stiftungssektor dazu, mehr Mut und Risikobereitschaft zu wagen, gerade in schwierigen Zeiten.

Über die Autorin

Friederike v. Bünau ist Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und Geschäftsführerin der EKHN Stiftung in Frankfurt am Main.

© Dirk Enters

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