Was jede Stiftung über Governance wissen sollte

26.11.2020
Stiftungsrecht
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Stiftungsrechtsexperte Prof. Dr. Stephan Schauhoff über rechtliche Rahmenbedingungen und stiftungsinterne Gestaltungsspielräume.

Prof. Dr. Stephan Schauhoff
© David Ausserhofer

Stiftungswelt: Herr Professor Schauhoff, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie das Wort „Governance“ im Stiftungskontext hören?
Prof. Dr. Stephan Schauhoff: Das ist ein weites Feld. Im juristischen Sinn umfasst Governance den Umgang mit allen Fragestellungen, Regeln und Rechtsvorgaben, an die sich Stiftungen zu halten haben. Im Rahmen der juristischen Vorgaben sind dann durch die zuständigen Stiftungsgremien die geschäftsleitenden Entscheidungen zu treffen.

Was braucht es für Good Governance in Stiftungen?
Rechtliche Grundlage sind drei zentrale Aspekte: Der allererste Schritt ist, dass Stiftungen sich bewusst machen, in welchem Rahmen sie sich bewegen und welche rechtlichen Regeln für sie gelten. Ihre gesamte Tätigkeit muss darauf gerichtet sein, die in der Satzung festgelegten – meist gemeinnützigen – Zwecke zu verfolgen. Ausschließlich diese Zwecke dürfen gefördert werden. Stiftungen dürfen also nicht irgendwelche Nebenzwecke entwickeln. Dazu gibt es typischerweise Förderrichtlinien, die die Arbeitsschwerpunkte definieren.

Der nächste Punkt, der jeder Stiftung vertraut sein sollte: Alle Stiftungen sind dazu verpflichtet, ihr Vermögen dauerhaft zu erhalten. Ausnahmen gelten hier nur für Verbrauchsstiftungen. Was es bedeutet, das Vermögen der Stiftung zu erhalten, ist durch Auslegung des Stifterwillens zu ermitteln. Genügt es, den Nominalwert zu erhalten? Muss ich die Inflation mit einkalkulieren? Wie lange muss an der Beteiligung am gestifteten Unternehmen festgehalten werden? Die Antworten auf diese Fragen können je nach Stiftung ganz unterschiedlich aussehen. Good Governance bedeutet hier, dass ein Kapitalerhaltungskonzept vorliegt, aus dem sich ergibt, wie die Regeln der Satzung verstanden werden.

Der dritte Aspekt betrifft das Thema Vermögensanlage. Im Sinne guter Governance stellt sich für Stiftungen die Frage, wie sie mit dem gestifteten Vermögen genug Erträge erwirtschaften können, um einerseits das Vermögen zu erhalten und andererseits den satzungsgemäßen Zweck zu erfüllen. Hierzu ist eine Abwägung der Chancen und Risiken, die in jeder Vermögensanlage stecken, nötig. Good Governance bedeutet an dieser Stelle, dass eine Stiftung eine Vermögensanlagerichtlinie hat, die klar macht, welche Chancen- und Risikoneigung der Anlagestrategie der Stiftung zugrunde liegt. Bei Anlageentscheidungen, auch des Vermögensverwalters, sollte geprüft werden können, ob diese sich im selbst gesetzten Rahmen bewegen.

Spekulation ist für Stiftungen übrigens generell verboten. Das bedeutet: Wenn bei einer Vermögensanlage im Moment der Investition nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass eine positive Rendite erwirtschaftet wird, hat diese Form der Anlage zu unterbleiben.

Erschwert das geltende Recht Good Governance in Stiftungen?
Sagen wir es einmal so: Das immer stärker wachsende Dickicht von rechtlichen Regeln, auch im Gemeinnützigkeitsrecht, macht es Stiftungen nicht immer leicht. Und in manchen Bereichen herrscht im Moment Verunsicherung. Ein Beispiel ist die Debatte in Folge des sogenannten Attac-Urteils des Bundesfinanzhofes. In ihrem Rahmen wird diskutiert, inwieweit Stiftungen politische Meinungsäußerungen erlaubt sind. Dazu muss man allerdings auch sagen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Verunsicherung deutlich größer zu sein scheint, als sie der Rechtslage nach sein müsste. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die öffentliche Berichterstattung juristisch nicht immer ganz exakt ist. Grundsätzlich ist gemeinnützigen Stiftungen eine politische Meinungsäußerung in Verbindung mit dem jeweiligen Stiftungszweck erlaubt. Das war so, und das ist auch noch immer so. Was nicht erlaubt ist, ist, dass der Zweck einer Stiftung darin besteht, Politik zu betreiben. Politische Kampagnen, die auf allgemeinpolitische Veränderungen zielen, sind nach dem geltenden Gemeinnützigkeitsrecht nicht zulässig. Man kann nun darüber diskutieren, ob diese Regelung richtig ist, und es gibt Stimmen, welche die rechtliche Trennlinie gerne verschieben würden.

Wir haben vor allem über Regelungen gesprochen, die durch den Gesetzgeber vorgegeben sind. Gibt es auch individuelle Grenzen innerhalb von Stiftungen, die relevant für Good Governance sind?
Die gibt es selbstverständlich auch. Ich werde gelegentlich mit der gutachterlichen Auslegung von Satzungsbestimmungen betraut, wenn bestimmte Stiftungsgremien – zum Beispiel ein Kuratorium – vom Vorstand nicht im Sinne der Satzung in Entscheidungsprozesse einbezogen wurden. Die Satzung einer Stiftung sollte klar regeln, wer welche Entscheidungen treffen darf. Manches darf der Vorstand allein entscheiden. Für andere Dinge braucht er die Zustimmung anderer Gremien. Wenn er das ignoriert und handelt, ohne einen neuen Beschluss einzuholen, verstößt er gegen die Satzung, und die anderen Stakeholder sind verärgert.

Erschwert wird das Ganze dadurch, dass nicht in allen Satzungen klar erkennbar ist, wer eigentlich was entscheiden darf. Zu Good Governance gehört folglich auch, dass man sich eine Geschäftsordnung gibt, aus der eindeutig hervorgeht, wer welche Kompetenzen wofür hat. Danach hat man dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Berichtswege eingehalten werden und die nötigen Abstimmungen stattfinden.

Nehmen Stiftungen das Thema Governance ernst genug, wie sind Ihre Erfahrungen?
Es gibt Stiftungen, die das Thema sehr ernst nehmen. Anderen ist die Bedeutung eventuell noch nicht ganz bewusst. Wie professionell eine Stiftung aufgestellt ist, lässt sich weder an der Größe einer Stiftung festmachen noch am Bereich, in dem sie aktiv ist. Es gibt sehr kleine Stiftungen, die sich der rechtlichen Rahmenbedingungen bis ins Detail bewusst sind, und große Stiftungen, die den Ist-Zustand verbessern könnten. Grundsätzlich gilt für alle: Unzureichendes Wissen ist bei Rechtsverstößen keine Ausrede.

Unwissenheit schützt also auch Stiftungen nicht vor Strafe?
Auf keinen Fall. Es ist keine Entschuldigung, wenn ich keine hinreichende Ahnung habe, was ich tue. Die Rechtsordnung sagt klar, dass die Organe dazu verpflichtet sind, sich über die Rechtslage zu informieren und entsprechend zu handeln. Sprich: Wenn man nicht genug weiß, muss man sich erkundigen, beispielsweise beim Mitgliederservice des Bundesverbandes oder in den entsprechenden Publikationen oder bei den Beratern der Stiftung.

Was kann mir denn im schlimmsten Fall passieren, wenn ich gegen geltende Regeln verstoße?
Das hängt von der Art des Verstoßes ab. Bei einer schuldhaft falschen Vermögensanlage oder einem Verstoß gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz können Organe unter Umständen mit ihrem Privatvermögen haften. Gemeinnützigkeitsrechtlich kann ein einziger Verstoß gegen die Regeln dazu führen, dass das Finanzamt einer Stiftung die Gemeinnützigkeit aberkennt – mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Das Stiftungsrecht und das Gemeinnützigkeitsrecht erwarten nicht die erfolgreiche Vermögensanlage oder gemeinnützige Maßnahme, aber dass vor der jeweiligen Entscheidung auf Grundlage angemessener Informationen eine vertretbare Entscheidung gefällt wurde und dies nachgewiesen werden kann.

Was können Stiftungen tun, die sich in dem Bereich weiterentwickeln möchten?
Die Deutsche Stiftungsakademie bietet vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten. Zum Beispiel kann man im zertifizierten Stiftungsmanager-Lehrgang die nötigen Kenntnisse erwerben oder die Beratung des Bundesverbandes für seine Mitglieder nutzen. Wesentlich ist natürlich auch, nicht nur den rechtlichen Rahmen in den Blick zu nehmen. Stiftungen haben vielfältige Möglichkeiten und einen breiten Ermessensspielraum, was ihr Engagement angeht. Im Sinne von Good Governance sollten auch die erweiterten Grundsätze guter Stiftungspraxis des Bundesverbandes betrachtet werden, die zwar keine verbindlichen Rechtsregeln aufstellen, aber die Best Practice darstellen, auf die sich die Mitglieder verständigt haben. 

Das Interview führte Esther Spang

Über den Interviewpartner

Prof. Dr. Stephan Schauhoff ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner der Partnerschaft Flick Gocke Schaumburg am Standort Bonn sowie Honorarprofessor an der Universität Bonn. Von 2009 bis 2011 war er im Beirat, seit 2011 gehört er dem Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen an.

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