„Stiftungspolitik! Eine Frage für den Standort Deutschland“

Impuls
© Christian Klant
08.08.2019
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Anfang des Jahres hielt Felix Oldenburg einen Vortrag auf einem Symposium der Possehl-Stiftung, der Universität zu Lübeck und des Stifterverbandes zum Thema Nachfolge und Stiftungen. Darin sprach er darüber, warum Stiftungen der große unterschätze Standortfaktor in Deutschland sind – und warum es höchste Zeit für eine aktive Stiftungspolitik ist. 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Günther, sehr geehrte Professorin Gillessen-Kaesbach, lieber Max Schön, lieber Andreas Schlüter,  

es ist eine große Ehre, hier zu sprechen - auf Einladung der Possehl Stiftung und des Stifterverbandes, und in meinem Heimatland Schleswig-Holstein. Mein Vater wuchs nicht weit von hier auf, und ich auf der Insel Föhr. Damals habe ich Stiftungen nicht beachtet. Aber wenn man hinschaut, entdeckt man großartige Beispiele überall: Im kleinen Föhrer Dorf Alkersum etwa die große Ferring Stiftung mit ihrem Friiskfunk-Radiosender in Friesisch, gegründet von Frederik Paulsen aus Dagebüll. Gleich nebenan eine weitere Stiftung, die das bedeutende Museum Kunst der Westküste trägt. Und natürlich gibt es Bürgerstiftungen, eine besonders aktive etwa im kleinen Ahrensburg, die dortigen Stifterinnen und Stifter erhalten dieses Jahr den Stifterpreis, der an alle Bürgerstifterinnen und Bürgerstifter geht. Und hier in Lübeck selbstverständlich die überall im Stadtbild präsente Possehl-Stiftung, die das gleichnamige Unternehmen trägt und in den ganzen Ostseeraum wirkt. Ja, ich habe mittlerweile sehr viele besucht und eine Einsicht gewonnen: Kennt man eine Stiftung, kennt man eben nur eine Stiftung.  

Stiftungen sind nicht nur vielfältig, sie sind für viele schwer fassbar. Sie genießen einen hohen Respekt, aber es gibt über sie kaum Wissen und durchaus etwas Misstrauen laut einer EMNID-Umfrage, die wir gerade beauftragt haben. Dennoch wächst die Anzahl der Stiftungen weiterhin: im letzten Jahr auf 22.500 Stiftungen, wieder über 500 mehr.  

Meist kommt jetzt die Frage nach den Finanzen. Da gilt: Einerseits, andererseits. Die Bildungsstiftungen könnten in Deutschland nicht einen Tag Schule finanzieren. Andererseits liegen die Satzungsausgaben der Stiftungen über der Summe an Venture Capital.  

Und mit diesem Vergleich zum Venture Capital, zum Wagniskapital, bin ich bei der Standortfrage, über die ich heute sprechen möchte. Wir alle kennen sie: Unternehmensansiedlungen, Gründerquote, Kapitalzugang, Gewerbegebiete, Gründerkredite ... über Stiftungen habe ich noch nie etwas gehört. Jeder Bürgermeister (jeder Ministerpräsident sowieso) weiß inzwischen, wie man Unternehmen ansiedelt und hält, aber aktive Stiftungspolitik kenne ich kaum.  

Meine These: Stiftungen sind der unbekannte, in jedem Fall der unterschätzte Standortfaktor und eine Investition in Stiftungen ist die beste Absicherung für unser Land, um das wir uns gerade mehr Sorgen machen als in vielen Jahrzehnten zuvor.  

Und für die Unternehmerinnen und Unternehmer, für die Vermögenseigentümerinnen und Vermögenseigentümer im Raum möchte ich argumentieren: Eine Stiftung zu gründen, oder besser noch: klug zu einer bestehenden Stiftung beizutragen, ist das wirkungsvollste, was Sie für ihren Standort tun können.  

Das meine ich dreifach: Als Standort für Ideen, Standort für Investitionen, Standort für Eigentum.  

Standort für Ideen: Heute ist fast alles kopierbar, irgendwo anders günstiger produzierbar oder geringer besteuert. Sozialer Zusammenhalt und freier Austausch von Ideen aber nicht. Dass Stiftungen für beides wichtig sind, zeigt keine Entwicklung so sehr, wie die Einschränkung von Stiftungen um uns herum. Sie sind nicht von ungefähr die ersten Opfer von Populisten und Autokraten - weil sie ein unabhängiger und unabhängig finanzierter Teil einer pluralistischen Gesellschaft sind. Und Einschränkungen für gemeinnützige Stiftungen, die haben wir auch hier zunehmend: Über den argumentativen Umweg der Terrorismusfinanzierung erleben Stiftungen viel mehr Bürokratie in Form eines Transparenzregisters. Im Bundesrat gab es letztes Jahr eine Initiative aus Bayern, die Auslandsfinanzierung einzuschränken. Aktuell wird über neue Beschränkungen für die politische Betätigung in der Gemeinnützigkeit debattiert. Auch wenn das noch keine Verhältnisse wie in Ungarn, Polen oder der Türkei sind: So geht es los. Das ist schädlich für Deutschland. Ressentiments sind leicht zu wecken. Deshalb: Stiftungen brauchen und verdienen einen Platz in der erfolgreichen Geschichte des Standorts Deutschlands.  

Standort für Investitionen: Ich habe auch hier eine Befürchtung. Es tut sich eine "Stiftungslücke" auf. Zwischen der langsamen Entwicklung der Stiftungsvermögen auf der einen und der schnellen Steigerung der Topvermögen auf der anderen Seite. Das muss uns zu denken geben, denn Vermögen sind global mobiler als je zuvor. Wir brauchen statt Steuerdrohungen neue Sinnangebote mit großem Wirkungshebel. Stiftungen haben zwei Hände, die fördernde und die investierende. Wenn beide Hand in Hand wirken, sind Stiftungen einzigartige und langfristig orientierte Akteure im Finanzierungssystem für gute Ideen. Eine vielversprechende Initiative ist die neue Ausfallgarantie für soziale Investitionen im nächsten EU-Finanzrahmenplan, die wir in Brüssel erstritten haben.  

Am wichtigsten aber für die heutige Diskussion: Standort für Eigentum. Stiftungen sind DIE unterschätzte Nachfolgelösung für Unternehmen. Es gibt zahlreiche Studien, welche die positiven Effekte auch auf das Unternehmen belegen. Und in einer Doppelstiftung kann man über einen (in der Regel genügsamen) Anteilseigner in Form einer gemeinnützigen Stiftung dann auch noch mit positiven Rückwirkungen in die Belegschaft und den Markt hin etwas für die Gesellschaft tun. Und industriepolitisch heißt das: Ein Stiftungsunternehmen kann kein Chinese kaufen. Jedenfalls, wenn die Anteile nicht verwässert werden. Besonders interessant finde ich die Frage, wie wir eigentlich das Eigentum an Daten organisieren. Ein brillantes Beispiel ist die Berliner IOTA Foundation mit Vermögen aus Kryptowährung. Ihre Mission: Transparent den Code für die bald omnipräsenten Mikrotransaktionen im Internet der Dinge zu entwickeln. Warum in Deutschland? Weil es hier die besten Rahmenbedingungen gibt, darunter, neben dem harten Stiftungsrecht, vor allem eine freiheitliche demokratische Grundordnung.  

Stiftungen, Demokratie, soziale Marktwirtschaft, das passt, das gehört zusammen. Was gilt es also zu tun?  

Wir als Vertreter des Stiftungssektors stehen vor einer notwendigen Weiterentwicklung unseres eigenen Stiftungsbildes (was übrigens nicht allen leicht fällt): Als ein Geldvermögen, das in Staatsanleihen risikofrei investiert wird, ist es nicht attraktiv genug. Die lange Niedrigzinsphase verändert langsam, manchmal zu langsam, das Anlageverhalten der Stiftungen, die allein auf überschaubare Geldvermögen gegründet sind. Es kommt darauf an, das Kapital an die Arbeit für die Gesellschaft zu bringen, in die Wirkung für die Stiftungszwecke. Das bedeutet, dass wir klüger überlegen müssen, welche Sachwerte wir in Stiftungen legen, etwa sozial und nachhaltig genutzte Immobilien und Flächen oder Anteile an Unternehmen, die Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten. Und wir müssen darüber nachdenken, welche gesellschaftlich notwendigen Investitionen, etwa in Breitbandausbau, Energiewende, ländlicher Versorgung oder bessere digitale und analoge Bildungsangebote wir vornehmen. All das ist nicht nur über Förderungen, sondern auch aus dem Stiftungsvermögen finanzierbar.  

Das ist genau ein Element einer besonderen Standortpolitik, einer Stiftungspolitik, für die ich werbe. Erste Bausteine haben wir: steuerliche Privilegierung von Stiften gegenüber Spenden. Was aber noch kommen muss, ist die Stiftungsrechtsreform, ein europäischer Binnenmarkt für Stiftungen, und wir sind gerade dabei, neue Anreize und Absicherungen für Investitionen aus dem Stiftungsvermögen mit BMF, BMWi und KfW zu entwickeln.  

Aber vor allem müssen wir viel intensiver für das Stiften bei Unternehmerinnen und Unternehmern werben. Das braucht im Industrieclub in Düsseldorf andere Argumente als in der Google Factory in Berlin, und jeweils glaubwürdige Botschafter. Ich habe besonders viel mit den Vertretern meiner Generation zu tun. Die Online-Gründer sprechen von A-, B-, C-Runden in der Finanzierung, warum nicht von der S-Runde, dem Exit in die Stiftung?  

Viel davon ist davon ist trotz englischer Begriffe nicht neu, sondern eine Wiederentdeckung.  

Was wir von dieser langen Stiftungsgeschichte lernen können, ist meines Erachtens folgendes: Es haben nicht diejenigen Verfassungs- und Währungsreformen überlebt, die sich vom Finanzmarkt abhängig gemacht haben, sondern diejenigen, die unternehmerisch mit echten Werten gehandelt haben: von den Fuggern in Augsburg bis zur Possehl Stiftung hier.  

Zehn Jahre nach der Finanzkrise ist es an der Zeit, weniger von Stiftungen als Hülle für Geldvermögen, sondern als einzigartige Orte zu sprechen, an denen wir radikal, unwiderruflich und unternehmerisch für die Zukunft unserer Familien, unserer Städte, unserer Gesellschaft wirtschaften. Das wäre eine Stiftungspolitik, die wir dringend brauchen. 

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