Interview: „Ein starkes Europa nach der Krise wird nur mit dem Dritten Sektor gelingen!“

Flaggen der europäischen Union und Deutschlands
Impuls
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01.07.2020
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Am 1. Juli 2020 hat Deutschland für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen, d.h. den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Die deutsche Ratspräsidentschaft wird aufgrund der Corona-Pandemie anders verlaufen als geplant. Deutschland hat sich vorgenommen die Schwerpunkte mehrjähriger Finanzrahmen, Klimaschutz, Digitalisierung, Rechtstaatlichkeit oder Europas Rolle in der Welt zu setzen.

Wir sprachen mit Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach, Mitglied der Geschäftsleitung im Bundesverband, darüber, wieviel Zivilgesellschaft im Ratspräsidentschaftsprogramm steckt und welche Signale Deutschland auf europäischer Ebene für Stiftungen geben sollte. 

"Wir setzen uns dafür ein, nationale und europäische Rechtsvorschriften in Einklang zu bringen, so dass gemeinnützige Zweckerfüllung auch für Aktivitäten innerhalb der EU geltend gemacht werden können."
Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach

Wieviel steckt für die Zivilgesellschaft im Ratspräsidentschaftsprogramm Deutschlands drin?
Sie steckt genau vier Mal im schriftlichen Programm "Gemeinsam. Europa wieder stark machen" drin. Und jedes Mal geht es darum, dass eine aktive Zivilgesellschaft den Zusammenhalt und die Solidarität in Europa fördert. Definitiv eine unserer Kern-Kompetenzen! Zusammenhalt und Solidarität, das sind auch die Leitgedanken der anstehenden Ratspräsidentschaft: die dauerhafte Überwindung der Corona-Krise, ein stärkeres und innovativeres Europa, ein gerechteres und ein nachhaltigeres Europa, ein Europa der Sicherheit und der gemeinsamen Werte sowie ein starkes Europa in der Welt. All das lässt sich nur auf den Grundpfeilern des Zusammenhalts und der Solidarität realisieren.

Wenn ich dieses Programm lese, sehe ich daher weitaus mehr Anknüpfungspunkte. Ich komme ja ursprünglich aus der Wirtschaft und wünsche mir mehr Möglichkeiten der intersektoralen Zusammenarbeit. Gemeinsame Plattformen für Wirtschaft und Zivilgesellschaft halte ich daher für besonders wichtig. Wir können gemeinsam voneinander lernen und uns ergänzen. Daher ist es auch wichtig, dass wir uns als Stiftungen, als Zivilgesellschaft aktiv in die geplante Konferenz zur Zukunft Europas einbringen.

Wenn ich einen Punkt besonders herausgreifen darf, dann ist es der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027, der gerade Stiftungen eine große Chance für gemeinsames Funding und gemeinsame Investitionen bietet. Neben dem großen „EU Recovery Plan“ von 750 Milliarden Euro, der voraussichtlich in der ersten Ratssitzung unter Leitung der deutschen Ratspräsidentschaft Mitte Juli verabschiedet wird, gibt es auch das Ziel, zusätzliche private Investitionen von 600 Milliarden Euro mit Hilfe von Garantie-Instrumenten zu mobilisieren. Hier arbeiten die europäischen Stiftungsverbände schon seit über zwei Jahren mit der Europäischen Kommission am sogenannten InvestEU Programm, um Investitionsanreize auch für Stiftungen zugänglich zu machen.

Die Bundesregierung hat nach unserem offenen Brief, in dem wir gemeinsam mit zahlreichen gemeinnützigen Dachorganisationen, den Zugang zu Schutzschirmen auch für gemeinnützige Organisationen gefordert haben, die Systemrelevanz des Dritten Sektors erkannt und zuletzt im Konjunkturpaket eine Milliarde Euro für gemeinnützige Organisationen zur Verfügung gestellt. Ich wünsche mir die gleichen Signale auch auf EU-Ebene: der philanthropische Sektor ist systemrelevant und braucht Unterstützung. Ein starkes Europa nach der Krise wird nur mit dem Dritten Sektor gelingen!

Das grenzüberschreitende Spenden innerhalb der EU ist noch eine Baustelle. Welche Forderungen aber auch Lösungsvorschläge hat der Verband mit Blick auf die Ratspräsidentschaft?
Sowohl das grenzüberschreitende Spenden als auch das Investieren zu „Gemeinnützigkeitskonditionen“ sind in der EU noch nicht zufriedenstellend geregelt. Trotz der Kapitalverkehrsfreiheit und des Nicht-Diskriminierungsverbots auch für philanthropische Geldflüsse sind die Regelungen in der Praxis oft unklar, kompliziert und mit vielen Kosten und Mühen verbunden.

Wir setzen uns dafür ein, nationale und europäische Rechtsvorschriften in Einklang zu bringen, so dass gemeinnützige Zweckerfüllung auch für Aktivitäten innerhalb der EU geltend gemacht werden können.

Wir brauchen praktikable Anforderungen an die Nachweispflichten der gemeinnützigen Mittelverwendung an EU-Körperschaften. Gerade die Corona-Pandemie hat hier wieder die Grenzen aufgezeigt. Gerade in solchen Zeiten muss Zusammenhalt und Solidarität mit unseren EU-Nachbarn eine Selbstverständlichkeit sein und durch unbürokratische Spenden ermöglicht werden. Hierzu habe ich gemeinsam mit Max von Abendroth von DAFNE viele Gespräche mit Mitgliedern des EU-Parlamentes geführt und wir werden daher die EU-Ratspräsidentschaft auch unter diesem Gesichtspunkt eng begleiten.

Wir brauchen einen Binnenmarkt der Philanthropie und hoffen, dass wir zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft eine klare Perspektive haben, wann und wie sich ein Binnenmarkt der Philanthropie umsetzen lässt. 

Hand aufs Herz: Sechs Monate sind im politischen Betrieb keine lange Zeit. Wieviel Umsetzung können wir tatsächlich erwarten?
In der Tat sechs Monate sind auf den ersten Blick nicht viel. Insgesamt geht es jedoch um eine Ratspräsidentschaft, welche gemeinsam mit Portugal und Slowenien in einem unter den drei Mitgliedstaaten abgestimmten Programm 18 Monate, bis Dezember 2021, dauern wird. In diesen 18 Monaten lässt sich einiges auf die Schiene bringen. Deutschland macht am 1. Juli den Auftakt und begleitet dann aktiv im zweiten und dritten Drittel die Umsetzung. Und Deutschland hat jetzt schon die volle Unterstützung von Portugal und Slowenien das gemeinsam für dieses „Trio“ verabschiedete Programm nach Kräften umzusetzen. Durch die Corona-Krise kann derzeit auch faktische Machtverschiebung in Brüssel festgestellt werden. Die Mitgliedstaaten und der Rat sind derzeit tonangebend, wenn es darum geht Solidarität in der EU herzustellen. 

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