Selbst Algorithmen haben Eltern

Alberto Ibarguen, President and CEO Knight Foundation, during closing remarks on the third, and final, day of the Knight Media Forum 2018
Globales Engagement
© Photo by Angel Valentin
01.06.2018
Globales Engagement
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Alberto Ibargüen, Präsident und Geschäftsführer der Knight Foundation, über den Einsatz Künstlicher Intelligenz und Journalismus in digitalen Zeiten.

Stiftungswelt: Herr Ibargüen, von Chatbots über die Analyse in der Forschung bis hin zur automatisierten Gewährung von Direkthilfe bei Naturkatastrophen – viele Stiftungen nutzen bereits computergestützte Methoden und Entscheidungsprozesse. Wie hält es die Knight Foundation damit? 
Alberto Ibargüen:
 Wir analysieren Daten, um die Wirkung unserer Zuschüsse zu bewerten, aber wir führen keine animierten Prozesse zur Gewährung von Zuwendungen durch. In der Tat verfolgen wir bei der Vergabe von Zuschüssen einen sehr auf den Menschen ausgerichteten Ansatz – mit Mitarbeitern etwa, die in den Gemeinden leben, in denen wir Zuschüsse gewähren, und die eng mit den Zuwendungsempfängern in den Bereichen zusammenarbeiten, in denen wir tätig sind.

Der Schwerpunkt der Knight Foundation liegt auf Journalismus und Kunst. Wie sehen Sie die Digitalisierung in diesen Bereichen und welchen Ansatz verfolgen Sie dabei? 
Tatsächlich fließt mehr als die Hälfte unseres Zuschussbudgets in den Aufbau von Gemeinschaften. Unser Kunstprogramm ist ein Teil davon, denn wir glauben, dass Kunst Menschen miteinander und mit dem Ort verbindet, an dem sie leben, und dass Kunst daher ein grundlegendes Element für den Aufbau einer Gemeinschaft ist. Wir möchten informierte und engagierte Gemeinschaften schaffen. Solche Gemeinschaften kommen heute nicht ohne Technologie und digitale Kommunikation aus.  Die effektive Nutzung digitaler Technologien ist für Journalismus, Kunst und Städte von entscheidender Bedeutung. Der technologische Wandel der Gesellschaft wird sich noch beschleunigen, und Veränderungen zu akzeptieren ist notwendig für den Erfolg – und das Überleben.

Was bedeutet der digitale Wandel für den Journalismus? 
Die Technologien erlauben es Journalisten, ein viel größeres Publikum zu erreichen und Geschichten auf eine neue Art und Weise zu erzählen – sowohl mit Daten als auch mit Worten. Die große Krise des Journalismus resultiert nicht aus der Verbreitung der Nachrichten, sondern aus der Art und Weise, wie diese erstellt werden, insbesondere auf der lokalen Ebene. Damit eine demokratische Regierung ordnungsgemäß funktionieren kann, müssen die Menschen entsprechend informiert werden. Wir haben solide Informationen über Ereignisse aus der ganzen Welt, aber wir leiden unter einem schrecklichen Mangel an Informationen, was lokal geschieht, also in den Regionen, in denen wir tatsächlich wählen gehen. Seit mehr als zehn Jahren ist es einfacher, im Internet Geschichten über einen anderen Kontinent zu finden, als herauszubekommen, wie meine Vertreter zum Beispiel im US-Kongress oder im Parlament meines Bundesstaates abgestimmt haben. Das ist unhaltbar. Das ist, im wahrsten Sinne des Wortes, eine existenzielle Bedrohung für eine effektive Demokratie.

Kann die Digitalisierung dabei helfen, das zu ändern? 
Digitale Medien können und sollen dabei helfen – aber nur, wenn wir ein Geschäftsmodell finden, das funktioniert, und wenn wir das Vertrauen, das die Nachrichtenmedien einst hatten, wiedergewinnen können. Der Zusammenbruch der Geschäftsmodelle von Zeitungen, Zeitschriften und in geringerem Maße auch des Fernsehens steht in direktem Zusammenhang mit dem Internet. Digitale Werbeeinnahmen haben Print- und Fernseh-Werbeeinnahmen abgelöst. Und der überwiegende Anteil dieses Wachstums wurde von Facebook und Google erobert, nicht von den journalistischen Medien.


Wieso ist aus Ihrer Sicht das Vertrauen in die Medien verloren gegangen? 
Diese Vertrauenskrise ist Teil eines umfassenderen Zusammenbruchs des Vertrauens in die Institutionen, die der Demokratie zugrunde liegen. Die Ursachen sind vielfältig, und die Institutionen selbst tragen dafür auch eine gewisse Verantwortung. Das Aufkommen der Sozialen Medien, in denen jeder Verleger und Autor sein kann, mindert unweigerlich die Macht der alten Nachrichtenmarken. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Fehlinformation durch dieses neue Medien-System stellt ein scheinbar unüberwindbares Hindernis dar. Zugleich sehe ich gerade hier, wie die Technik zur Retterin werden kann. Ich denke, wir haben bislang falsch gedacht. Wir haben als Redakteure gedacht, nicht als Ingenieure. Ein Redakteur möchte 10.000 Faktenprüfer einstellen. Ein Ingenieur würde einen Code schreiben wollen, um die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage herauszufinden. Wir setzen auf das Erste und verlieren. Ich sage, wir sollten jetzt auf die digitale Technologie setzen, um etwas zu retten, das der Wahrheit ähnelt.

Die Knight Foundation hat sich schon früh dem Thema Technologie gewidmet. Was war der Grund dafür? 
Knight’s Ansatz zur Finanzierung von Technologie im Journalismus begann vor elf Jahren mit der Erkenntnis, dass wir keine Antworten auf die kommenden Herausforderungen hatten. Außerdem wollten wir wissen, wie sich besser informierte Gemeinschaften aufbauen lassen. Deshalb haben wir die Knight News Challenge ins Leben gerufen, um nicht nur die Ideen von Digital-Journalisten einzubringen, sondern auch die Ansätze von Technologen. Die Ergebnisse waren überzeugend. Was das Geschäftsmodell anbelangt, so wird es letztlich der Markt richten müssen. Wir haben in gewinnorientierte Unternehmen investiert, die Technologie nutzen, um guten Journalismus aufrechtzuerhalten. Wir haben auch gemeinnützigen lokalen Nachrichtenseiten geholfen, Geld von ihren Gemeinden zu sammeln. Und wir haben gemeinde- und ortsgebundene Stiftungen ermutigt, lokale Informationsprojekte zu unterstützen.

Wie gehen Sie mit Blick auf Ihre anderen Tätigkeitsfelder – Kunst und Städte – vor?
Kunst stärkt die Gemeinschaft, indem sie Menschen an Orte bindet. Sie tut dies, indem sie einzigartige, authentische Erlebnisse bietet. Die Frage ist: Wie können wir Technologie nutzen, um diese Erfahrungen auf neue Zielgruppen auszudehnen oder die Erfahrungen bestehender Zielgruppen zu erweitern? Im Frühjahr haben wir eingeladen, dazu Ideen beizutragen. Wir finanzieren auch Stellen für "digitale Kuratoren" an Kunstinstitutionen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, durch den Einsatz von Technologie ein neues Publikum zu gewinnen. In Städten bemühen wir uns aktiv darum, den Stadtverwaltungen dabei zu helfen, die Bürger mit nützlichen und verwertbaren Informationen zu erreichen. Im Gegensatz zu einem Unternehmen, das Waren verkauft, oder Regierungen, die Dienstleistungen bereitstellen, wollen wir unsere Bemühungen um "intelligente Städte" darauf konzentrieren, die Bürger sagen und bekommen zu lassen, was sie wollen.

Für welchen Bereich der Gesellschaft sehen Sie die größten Gefahren durch den Einsatz künstlicher Intelligenz? 
Künstliche Intelligenz beeinflusst jeden Aspekt unseres modernen Lebens. Technologie und Handel werden dafür sorgen, dass sie sich auf jede Gesellschaft der Erde auswirkt. Doch es gibt eine merkwürdige Annahme, was Künstliche Intelligenz betrifft, nämlich dass Künstliche-Intelligenz-Agenten und maschinelles Lernen, die es Computern ermöglichen, Entscheidungen wie Menschen und für Menschen zu treffen, neutrale Prozesse sind. Das sind sie nicht. Selbst Algorithmen haben Eltern, und diese Eltern sind die Computer-Programmierer mit ihren jeweils eigenen Werten und Annahmen. Diese Werte – und dazu gehört auch, wer bestimmen kann, was diese Werte sind, und wer ihre Anwendung kontrolliert – werden dazu beitragen, das digitale Zeitalter zu definieren. Es gibt diverse Beispiele dafür, wie Computer-Programmierer bewusst oder unbewusst Algorithmen entwickelt haben, die auf der Grundlage von Rasse, Geschlecht oder wirtschaftlichem Status urteilen – je nach den Werten, die ihr Programmierer vertritt. Algorithmen, die optimiert sind, um Engagement zu bewirken, entscheiden darüber, was wir in den Sozialen Medien sehen und lesen. Das wiederum kann Einfluss darauf haben, wie wir uns als Bürgerinnen und Bürger verhalten.

Was war für die Knight Foundation der Grund, in den Ethics and Governance of Artificial Intelligence Fund zu investieren, der weltweit Projekte im Bereich Künstliche Intelligenz unterstützt?
Für die Knight Foundation und unsere tief verwurzelte Überzeugung, dass informierte und engagierte Gemeinschaften für eine Demokratie unbedingt notwendig sind, ist die Erforschung Künstlicher Intelligenz eine Selbstverständlichkeit. Die Art und Weise, wie wir das Potenzial der Künstlichen Intelligenz zum Vorteil der Gesellschaft bestmöglich nutzen – und ihren möglichen Schaden minimieren – besteht darin, dass wir die ethischen Fragen, die mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz einhergehen, identifizieren, dass wir helfen zu bestimmen, wer sie entscheidet, und dass wir darüber hinaus verschiedene Perspektiven einbringen.

Knight Foundation

Die Knight Foundation ist eine 1950 gegründete US-amerikanische Stiftung mit Sitz in Florida. Ihr Stiftungszweck konzentriert sich auf Journalismus, Kunst und die Entwicklung der Städte, in denen die Stifter John S. und James L. Knight ihre Zeitungen veröffentlichten. Die Stiftung möchte informierte und engagierte Gemeinschaften fördern, da diese die Grundlage für eine gut funktionierende repräsentative Demokratie seien. Seit elf Jahren beschäftigt sich die Knight Foundation mit Technologie und Digitalisierung. Im Januar 2017 hat sie in Kooperation mit dem Omidyar Network,  LinkedIn-Gründer Reid Hoffmann, der William and Flora Hewlett Foundation und dem Unternehmer Jim Pallotta den Ethics and Governance of Artificial Intelligence Fund initiiert.

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