Wir zeigen die Stärke der Frauen

Geschlechtergerechtigkeit
08.03.2018
Geschlechtergerechtigkeit
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Anlässlich des Weltfrauentages sprachen wir mit Katrin Wolf, stellv. Geschäftsführerin von filia.die frauenstiftung, über den Ansatz der Stiftung, vor allem junge Frauen zu fördern, und die Situation von Frauenstiftungen in Mittelosteuropa.

Katrin Wolf, stellvertretende Geschäftsführerin von filia.die frauenstiftung

Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Vor rund 100 Jahren auf Initiative sozialistischer Organisationen im Kampf um die Gleichberechtigung entstanden, ist sein Anliegen bis heute aktuell. Anlässlich des Welttages sprachen wir mit Katrin Wolf, stellv. Geschäftsführerin von filia.die frauenstiftung, über den Ansatz der Stiftung, vor allem junge Frauen zu fördern, die Situation von Frauenstiftungen in Mittelosteuropa und eindrückliche Wiederbegegnungen in Kiew.

filia.die frauenstiftung hat sich das Ziel gesetzt, im Interesse von Frauen und Mädchen sozialen Wandel zu fördern. Es geht um Geschlechtergerechtigkeit und gleichen Zugang zu allen gesellschaftlichen Ressourcen. „Freiheit von Gewalt“ und „Partizipation“ sind die Schwerpunktthemen. Dazu gehören auch die Auswirkungen des Klimawandels auf Frauen (bisher nur im Globalen Süden) sowie das Thema Frauen und Flucht und die Förderung des intergenerativen Dialogs. Wir haben mit Katrin Wolf, stellvertretende Geschäftsführerin von filia.die frauenstiftung über die Arbeit von filia in anderen Ländern, den Intergenerationen-Dialog und langfristige Wirkungen von Stiftungsarbeit gesprochen.

Frau Wolf, Sie waren im November 2017 in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Was haben Sie dort gemacht?
Mit ungefähr 50 Prozent aller Mittel fördert filia seit ihrer Gründung Projekte und Organisationen in Mittel- und Osteuropa. Seit 2015 kooperiert die Stiftung außerdem innerhalb eines Programms mit dem Auswärtigen Amt. Dieses Programm stärkt die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft. Es versetzt uns in die Lage, eigene Projekte gemeinsam mit den Partnerinnen zu entwickeln. Dabei ist es möglich, auch an die Partnerinnen vor Ort – oft sind das ebenfalls Frauenstiftungen –, Geld zu vergeben, das sie wiederum an kleinere Organisationen weitergeben (Re-Granting), die wir und die uns noch gar nicht kennen können. Das Vertrauen kommt durch die gute Partnerschaft.

In Kiew konnten wir eine Konferenz gemeinsam gestalten. Diese Konferenz war der Höhepunkt eines Trialogs zum „Intergenerativen Dialog“. In Georgien, der Ukraine und in Deutschland haben jeweils drei Frauenorganisationen zu dem Thema „Back to the Future – bridging the gaps“ Aktivistinnen unterschiedlicher Generationen zusammengebracht. Auf der Konferenz sahen wir die Resultate. Es war ein wunderbarer Austausch – nur viel zu kurz.

 

Wie ist die Zusammenarbeit mit Frauenstiftungen in Mittelosteuropa zustande gekommen? 
Es gibt ein weltweites Netzwerk von Frauenstiftungen namens „Prospera – International Network of Women’s Funds”, in dem auch filia seit Gründung Mitglied ist. In dem regionalen Netzwerk für Europa arbeiten die sieben Frauenstiftungen der mittelosteuropäischen Länder mit. In der Ukraine etwa gibt es eine ziemlich große Frauenstiftung. In anderen Ländern sind die Frauenstiftungen zwar teilweise sehr klein, aber zugleich ganz aktiv. Sie machen eine tolle Arbeit und versuchen, die Frauenbewegung in Gang zu halten und zu beflügeln. In Serbien zum Beispiel der Reconstruction Women’s Fund, der SlovakCzech Women‘s Fund – oder in Georgien der Women‘s Fund of Georgia. Es gibt sehr wenig Wissen darüber hier bei uns.

Wen fördern Sie im Rahmen des Programms, das durch das Auswärtige Amt finanziert wird?
Wir machen jetzt schon seit 2015 ein georgisch-deutsches Austauschprogramm, und zwar mit und unter sehr jungen Frauen. In Georgien konnte dadurch ein Programm für Mädchen und junge Frauen ausgeschrieben werden. Mit großem Erfolg. Auch in Deutschland fördert filia ausschließlich junge Frauen und Mädchen.

Warum nur junge Frauen? 
Das war eine strategische Entscheidung. Unser Budget ist begrenzt. Wir mussten uns überlegen, wie wir uns ein Profil geben, das in die Zukunft weist. Die Stiftung muss sich fokussieren und uns ist auch klar, dass wir altern – wo sind dann die jungen Frauen, die unsere Arbeit übernehmen und weiterentwickeln werden? Seitdem fördern wir in Deutschland ausschließlich Mädchenprojekte. Dafür hat filia einen Mädchenbeirat ins Leben gerufen. Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 22 Jahren entscheiden darüber, welche Projekte gefördert werden.

Wie fördert filia im Rahmen des Programms für die Mittelosteuropäischen Länder? 
filia fördert strategisch und strukturell. Sie werden bei uns keine aufgerissenen Kinderaugen zu sehen bekommen. Wir wollen kein Mitleid erregen. Wir zeigen die Stärke von Frauen und unterstützen sie in ihrem Handeln. Sie treffen selbstbestimmt Entscheidungen, um ihre Situation zu verbessern. filia unterstützt sie dabei. Das ist ein etwas anderer Ansatz, als ihn die meisten anderen Stiftungen verfolgen. Es ist übrigens auch schwerer, damit Geld einzuwerben. Mit Mitleid kann man mehr Geld, sprich Spenden und Zustiftungen, bekommen. Die Stiftung Women’s Fund in Georgia haben wir gefragt: „Habt ihr Lust, ein Mädchenprogramm auszuschreiben?“ Die Reaktion war: „Wow, das wollten wir schon lange machen, wir haben aber kein Geld dafür.“ Und dann haben wir 2015 und 2016 dort gemeinsam ein Mädchenaustauschprogramm im Rahmen des vom Auswärtigen Amt finanzierten Vorhabens gestartet.

Was heißt das konkret? 
Die Stiftung Women’s Fund in Georgia hat zunächst eine Ausschreibung veröffentlicht: Alle, die zwischen 14 und 22 Jahre alt sind und Lust haben, ein Projekt zu Frauenrechten zu starten, konnten einen Antrag stellen. Es standen jeweils 2.500 EUR für fünf Projekte zur Verfügung. Die Stiftung hatte zuerst Bedenken, ob sich überhaupt jemand bewerben würde und ob sie die Projekte nicht übermäßig betreuen müssten. Sie sind doppelt überrascht worden! Die jungen Frauen haben ganz existenzielle Basisthemen angesprochen und waren unheimlich mutig, haben aber auch bei der Umsetzung selbst Gewalt erfahren. Sie haben sich dennoch entschieden, weiterzumachen, denn: Wer sollte es sonst tun? Dadurch ist ein enormer Entwicklungsprozess in Gang gekommen, weil ihnen deutlich wurde, wie wichtig das eigene Handeln ist.

Im November 2015 kamen die Mädchen aus den fünf Projekten für eine Woche nach Berlin und wir haben hier mit ihnen viele Institutionen besucht, darunter die Redaktion der Zeitschrift Missy Magazine, ein autonomes Kinderzentrum und verschiedene Frauenzentren. Außerdem haben sie die Mädchen aus unserem Beirat kennen gelernt – und sind dann voller Ideen zurück nach Georgien gefahren. 2016 dann sind umgekehrt wir mit Mädchenbeiräten und Teilnehmerinnen aus ausgewählten Mädchenprojekten in Deutschland nach Georgien gefahren und haben erleben können, wie sie dort arbeiten. Das war sehr befruchtend für beide Seiten.

Was hat filia in dieser Kooperation mit jungen Frauen und Mädchen für die eigene Arbeit gelernt?
Dass diesen Mädchen und jungen Frauen viel zu wenig zugetraut wird, dass sie erstaunlich klar benennen können, was sie brauchen und was ihnen fehlt. Und dass es für die jungen Frauen einmalige Erlebnisse sind, wenn sie in einem anderen Land ähnlichen Fragestellungen begegnen: Empowerment pur. Wir haben aber auch festgestellt, dass es eine Kluft gibt zwischen den jüngeren und den älteren aktiven Frauen und auch viel Kränkung. Die älteren Frauen finden oft: Wir haben so viel für euch erkämpft, und ihr baut darauf so selbstverständlich auf, als ob es nichts ist, und ignoriert uns ansonsten. Und die jungen Frauen sagen: Ihr kennt unsere Welt doch gar nicht. Wir kommunizieren anders, wir haben ganz andere Probleme. filia hat daher 2017 in jedem Land – in Deutschland, Georgien und der Ukraine – jeweils drei Projekte zum intergenerativen Dialog initiiert. Die sollten auf passende kreative Weise von den jungen Frauen und Mädchen dokumentiert werden.

Mit welchem Ansatz geht filia in die Projekte, um Frauen zu fördern? 
Der Ursprungsansatz – und der hat mich damals bewogen, zu filia zu gehen, weil er mir so gut gefallen hat – ist folgender: Die Stiftung sieht die Frauen als Expertinnen ihrer eigenen Situation. Niemand muss ihnen sagen, was sie zu tun haben, das wissen sie selbst. Sie können ihre Lage analysieren und sie entwickeln auch die Wege zu möglichen Veränderungen. Das möchten wir auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit tun. Wir zeigen eher die kraftvollen Frauen und dass Frauen handlungsfähig sind und etwas tun. Das bedeutet: Es wird nicht für die Frauen, sondern mit ihnen oder von ihnen ausgehend gefördert.

Es gibt Ausschreibungen, auf die sich die Organisationen bewerben können. Danach werden die Projekte in einer Arbeitsgemeinschaft ausgewählt. Die Frauen des Stiftungsrates haben das letzte Wort. Oder es gibt strategische Partnerinnen, auf die filia zugeht. Dort übernimmt die Stiftung auch die sogenannten Core-Kosten für Personal und Verwaltung. Wir sehen die Frauen nicht als Opfer, sondern als Handelnde, und wir wollen sie unterstützen, wenn sie strukturell etwas verändern wollen.

Haben Sie bei filia manchmal das Gefühl, vielleicht doch in eine andere Richtung gehen zu müssen als von den Frauen angedacht, um noch viel mehr erreichen zu können?
Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Die Partnerinnen, mit denen wir kooperieren, machen eine sehr gute Arbeit und wir können uns als privilegiert betrachten, dass wir sie unterstützen dürfen. Es gibt manchmal Themen, wie den Intergenerationen-Dialog oder den Mädchenbeirat, da können wir etwas anstoßen, weil wir auch zusätzliche Gelder generieren. Das ist dann eine Win-Win-Situation. Die Frauen hätten es derzeit vermutlich alleine nicht gemacht, aber – und das ist auch ganz wichtig – in der Vorbereitung frage ich natürlich ganz genau bei den Partnerinnen nach, ob unsere Idee überhaupt Sinn ergibt. Im Fall des Intergenerationen-Themas kam die Rückmeldung, dass das genau das sei, was sie bräuchten, und dann haben wir die Idee gemeinsam weiterentwickelt – und es wurde ein Programm daraus.

Sie machen ja nun ganz viele tolle Sachen, die man eigentlich auch in einer anderen Organisationsform als der rechtsfähigen Stiftung machen könnte, sei es in einer NGO, sei es...
Da widerspreche ich Ihnen. Das stimmt nicht.

Was sind denn die Vorteile einer rechtsfähigen Stiftung für die Arbeit von filia und wo sehen Sie die Grenzen? 
Ich habe in NGOs gearbeitet und NGOs gegründet. Ich kenne die Szene ganz genau. Eine Stiftung hat wirklich einen anderen Auftrag. Eine Stiftung ist dafür da, Geld einzusammeln, ein gutes Konzept zu entwickeln, was sie unterstützen will, und das soll sie dann auf eine partizipatorische und transparente Art und Weise zu tun. Wir als filia bewegen nicht, es sind die Frauen und Mädchen vor Ort, die bewegen. Wir verstehen uns als Fundraising-Arm der Frauenbewegung – und das ist keine Aufgabe für eine NGO. Eine NGO ist dafür da, eigene Visionen und Projekte zu entwickeln und Geld zu akquirieren, um sie realisieren zu können. Eine NGO ist nicht dafür da, Geld zu sammeln und es weiterzugeben. Eine Stiftung hat ein Kapital und das soll sie erhalten. Durch die Finanzkrise ist das ganz schwer geworden und deshalb ist das Spendensammeln zunehmend wichtiger und das Kooperieren mit anderen, die ähnliche Visionen mit uns teilen.

Kann man denn mit internationaler Vernetzung wirklich eine nachhaltige Wirkung erzielen? 
Ich erzähle Ihnen eine kleine Anekdote, sie geht auf meine Vor-filia-Zeit bei dem Ost-West-Europäischen Frauen-Netzwerk OWEN e.V. zurück. Als wir im November letzten Jahres in Kiew waren, kamen zwei Frauen auf mich zu. Die eine war extra aus Lwiw und die andere aus Charkiv (Ostukraine) angereist. Die Frau aus Lwiw sagte zu mir: „Du warst diejenige, die das erste Mal das Wort „Gender“ in meinem Beisein verwendet hat.“ Das war Ende der 1990er-Jahre. Inzwischen unterstützt sie Frauen in ihrer Region dabei, in die Politik zu gehen. Und die Frau aus Charkiv war in den 1990er-Jahren Teilnehmerin eines Kurses von OWEN e.V. – damals von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert. Ohne dieses Projekt wäre das Frauenzentrum KRONA in Charkiv nicht entstanden, sie selbst hat eine Frauenzeitschrift namens „ICH“ gestaltet und baut heute das erste Frauenmuseum der Ukraine auf. Sie wird diese Tagung in Kiew auch in ihr Museum integrieren.

Solche Wiederbegegnungen sind für beide Seiten von Bedeutung. Zum einen ist es toll, zu sehen, welch nachhaltige Wirkung dieser Kurs zur Selbstorganisation von Frauen in der Ukraine hatte – in diesem Fall liegt er über 20 Jahre zurück. Und heute erleben wir, dass diese Frauen selbst Unterstützung weitergeben können, dass es weiterwirkt. Auch sollte man die Vorbildfunktion nicht unterschätzen. Du erlebst eine andere Frau und denkst: „So möchte ich auch sein oder so möchte ich auf keinen Fall sein.“ Das bekommst du weder über Facebook noch über Skype hin.

 

Die Fragen stellte Dr. Annette Kleinbrod

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