Neue Zahlen über Bürgerstiftungen in Europa

Neue Zahlen über Bürgerstiftungen in Europa
Globales Engagement
23.11.2018
Globales Engagement
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Wie viele Bürgerstiftungen gibt es in Europa? Neue Zahlen der European Community Foundation Initiative zeigen: Aktuell gibt es 798 Bürgerstiftungen in 26 Ländern. Tendenz wachsend.

Neuer Report erschienen: "Community Foundation Support Organizations and Nationalchampions in Europe (2018)"

47 Länder gehören zum Kontinent Europa. Wie viele Bürgerstiftungen in welchen dieser Länder wirken, hat zuletzt 2014 der Community Foundation Atlas beantwortet. Nun hat die European Community Foundation Initiative diese Frage erneut aufgegriffen und in einer Umfrage unter nationalen Dachverbänden nach aktuellen Zahlen und Entwicklungen gefragt.  

Wer oder was eine Bürgerstiftung ist, diese Frage kann nur landesspezifisch beantwortet werden. Ein Blick auf die Landkarte von Europa zeigt die Vielfalt der 47 Länder, die geografisch bis nach Asien reichen. Nicht nur die sprachliche Vielfalt, soziokulturelle Besonderheiten sowie wirtschaftliche und politische Unterschiede prägen diesen Kontinent, sondern auch die Anschauung darüber, was eine Bürgerstiftung ist. 

Nur wenige Länder wie Großbritannien und Deutschland verbinden mit der aus Amerika stammenden Stiftungsform spezifische Merkmale, wie zum Beispiel die Notwendigkeit, Kapital aufzubauen. Vor allem in osteuropäischen Ländern ist die Frage nach dem Kapitalaufbau eine, die nur selten beantwortet werden kann. Dennoch bleibt in allen Ländern die gemeinsame Anschauung, dass Bürgerstiftungen lokal verankerte, von der Zivilgesellschaft getragene Einrichtungen sind, deren Akteure die Verbesserung des Gemeinwesens in die Hand nehmen, um langfristige Wirkung zu erzielen. 

Es sind vielfach nationale Dachverbände, die die Rolle übernommen haben, diese Form des zivilgesellschaftlichen Engagements nationalen Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen und zu verbreiten. 

Und darum sind diese Dachverbände auch die geeigneten Partner, um der Frage nachzugehen: Wie viele Bürgerstiftungen in Europa gibt es denn nun eigentlich?  

32 Teilnehmer haben mit ihren Antworten dazu beigetragen, dass die European Community Foundation Initiative nun mitteilen kann: Es gibt aktuell 798 Bürgerstiftungen in 26 Ländern. Tendenz wachsend. 

Zwölf der Umfrageteilnehmer beschäftigen sich als nationaler Interessenverband ausschließlich mit Bürgerstiftungen. Sieben Umfrageteilnehmer sind reine Mitgliedsorganisationen für Bürgerstiftungen. In drei Ländern übernehmen größere Dachverbände zusätzlich die Aufgabe, Bürgerstiftungen zu betreuen und in fünf Ländern sind es Bürgerstiftungen selbst, die eine führende Rolle im Land einnehmen.  

798 Bürgerstiftungen. Was sagt diese Zahl aus?  

Hinter dieser Zahl steht die Erkenntnis, dass Deutschland nach wie vor das Land ist, das zahlenmäßig die meisten Bürgerstiftungen aufzeigt: 408 Bürgerstiftungen sind es gemäß Auskunft der beiden nationalen Interessenvertretungen, Bündnis der Bürgerstiftungen Deutschlands sowie Aktive Bürgerschaft. Zahlenmäßig deutlich kleiner, dafür vermögensmäßig erheblich größer, sieht die Situation in Großbritannien aus. Dort ist es die UK Community Foundations, eine Mitgliedsorganisation für Bürgerstiftungen, die sich um 46 Mitglieder kümmert. Über das aufsummierte Kapitalvermögen können beide Länder Auskunft geben: 360 Millionen Euro stehen 650 Millionen Euro (Stand jeweils Ende 2016) gegenüber. 

Die Frage nach dem Kapitalvermögen braucht man in Ländern Osteuropas nicht zu stellen. Dort überzeugt der Elan, trotz erschwerter Rahmenbedingungen weitere Gründungen voranzutreiben. In Bulgarien, wo aktuell 13 Bürgerstiftungen gezählt werden, rechnen wir bald mit zwei Neugründungen. Ebenso in Polen (drei Neugründungen zusätzlich zu 27), Rumänien (vier zusätzlich zu 16), Russland (fünf bis elf zusätzlich zu 70) und der Ukraine (drei zusätzlich zu 33). Mit in Summe geschätzten 60 Neugründungen in den nächsten Jahren bleiben Bürgerstiftungen daher eine attraktive Form des zivilgesellschaftlichen Engagements! 

Interessant wird es in Ländern wie Frankreich, Holland und Dänemark. Dort ist die Frage nach der aktuellen Zahl von aktiven Bürgerstiftungen schwierig, da es an Definitionen und darauf basierenden nationalen Untersuchungen fehlt. Es ist davon auszugehen, dass sich deren Anschauung in den kommenden Jahren verändern wird. Wir, die European Community Foundation Initiative, lernen daraus, dass wir mit länderübergreifendem Erfahrungsaustausch dazu beitragen wollen, in diesen Ländern Verständnisgewinne zu erzielen. 

Wir blicken auch mit großem Interesse auf Italien, wo der Dachverband Assifero in den letzten Jahren mit Netzwerkarbeit und Beratungen zu Neugründungen beigetragen hat und weiter beitragen wird: fünf weitere Bürgerstiftungen werden wohl bald zum Kreis der 37 Bestehenden dazugehören.  

Wirkung von Dachverbänden  

Auch wenn der Nachweis ausbleibt, dass an dieser Weiterentwicklung der Dachverband maßgeblich beteiligt war, ist der Einfluss nationaler Dachverbände in und für die Entwicklung von Bürgerstiftungen Stiftungswesen doch unbestritten. 

ECFIs Bericht zeigt, dass sie trotz begrenzter Kapazitäten eine entscheidende Rolle gespielt haben und auch weiterhin spielen werden. Sie bieten nicht nur professionelle Unterstützung, insbesondere in der Anfangsphase der Entwicklung, sondern bauen die Professionalisierung des Sektors aus und helfen bei offenen Gesprächen und der Entwicklung von Praktiken für neue Ansätze und Arbeitsbereiche.  

Interessant ist der Blick auf die Herausforderungen und Themen, mit denen sich Dachorganisationen und Bürgerstiftungen aktuell beschäftigen. Während in Westeuropa vor allem das niedrige Zinsniveau, Extremismus und Digitalisierung die Arbeit prägen, sind es in Osteuropa vordergründig die eingeschränkten Handlungsspielräume und die schwieriger werdenden politischen Rahmenbedingungen, die die Bürgerstiftungen beschäftigen. „Diaspora Philantropy“ ist ein Thema, das in Osteuropa anstatt in Westeuropa diskutiert wird. 

Für ECFI bietet dieser Report einen hervorragenden Ausgangspunkt, um zielgerichtet in den nächsten Jahren an länderübergreifenden Austauschprogrammen und Themen zu arbeiten. Durch Schaffung physischer und virtueller Räume für das Lernen und den Beziehungsaufbau wird die European Community Foundation Initiative weiterhin dazu beitragen, die europäische Bürgerstiftungsbewegung zu stärken. 

Und was bringt das in Summe? Dass es bald schon über 800 Partner für andere Stiftungen, Kommunen und weitere Stakeholder gibt, die gemeinsam mit lokal verankerten Bürgerstiftungen an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen arbeiten können.  

Grenzüberschreitende Zivilgesellschaft zur Stärkung Europas! Das ist das Ziel, an dem wir arbeiten.

Anja Böllhof

Leiterin European Community Foundations Initiative

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