Wie lässt sich die Spaltung Europas verhindern?

Globales Engagement


Dr. Reinhard Krumm, Leiter des im März 2017 eröffneten Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Wien, liefert im Gespräch wertvolle Impulse.

StiftungsWelt: Herr Dr. Krumm, im März 2017 hat die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Wien ihr neues Regionalbüro für Zusammenarbeit und Frieden eröffnet. Was genau wollen Sie an diesem Standort bewirken?

Dr. Reinhard Krumm: Unser Ziel ist es, in sicherheitspolitisch turbulenten Zeiten den Friedensdialog zwischen den ost- und zentraleuropäischen Ländern und Russland zu befördern. Wien ist der ideale Ort dafür, da es eben kein deutsches Projekt sein soll, sondern ein europäisches. Wir möchten mit allen Ländern Europas – also nicht nur mit den Mitgliedsländern der EU – und bisweilen auch mit den USA Lösungskonzepte für die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen im ost- und zentraleuropäischen Raum erarbeiten. Denn wenn wir diese Herausforderungen nicht angehen, droht eine erneute Teilung Europas.

Können Sie uns Ihre Arbeit an einem konkreten Beispiel erläutern? 
Gern. Nehmen Sie unser Projekt „Heraus aus der Zwischenzone: Auf dem Weg zu einer inklusiven regionalen Sicherheitsordnung“. Es befasst sich mit den Ländern, die zwischen der EU und Russland liegen: Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und die Ukraine. Alle diese Staaten sind souverän. Doch im Ukraine-Konflikt haben wir auch gesehen, wie fragil sie sind. Die aktuelle politische Diskussion konzentriert sich weitgehend auf eine mögliche EU- und NATO-Mitgliedschaft der Ukraine – eine Perspektive, die von Russland kritisiert wird. Hier möchten wir neue Ideen zur Konfliktlösung einbringen und andere Herangehensweisen entwickeln. Dabei kooperieren wir mit dem Schweizer Außenministerium, der US-amerikanischen Denkfabrik RAND Corporation und der Carnegie Corporation of New York, einer US-Stiftung mit Fokus auf Bildungsprojekte weltweit. Um zu schauen, was in den Bereichen Sicherheitspolitik, Wirtschaft und Vertrauensbildung möglich ist, haben wir insgesamt drei Treffen von Expertinnen und Experten aus Russland, der Ukraine, den USA, Deutschland und Polen organisiert. Die Ergebnisse dieser Treffen werden Grundlage einer Publikation sein, die in ausgewählten Ländern Diskussionen in Gang setzen soll.

Inwieweit können Sie im Rahmen Ihrer Arbeit auch die Zivilgesellschaft und insbesondere Stiftungen in der Ukraine, Russland und anderen Ländern Osteuropas stärken?
Unsere Zielgruppen sind zum einen Politiker, zum anderen Experten und Vertreter der Zivilgesellschaft. Ex-Bundeskanzler Willy Brandt hat einmal gesagt, dass Außenpolitik zu wichtig sei, um sie allein den Regierungen und internationalen Behörden zu überlassen. Außenpolitik entwickelt sich auch durch den Dialog mit der Gesellschaft, und diese besteht aus Akteuren, die wichtige Positionen vertreten und bisweilen als Gegenpol zur Regierung fungieren. Es geht darum, diese Positionen zu verstehen und einzubeziehen. Selbst für ein autokratisches Regime ist es schwer, Politik gegen die eigene Bevölkerung zu machen. In diesem Sinne stärken wir im Rahmen unserer Arbeit auch zivilgesellschaftliche Akteure wie Stiftungen.

Vor allem in einigen mittel- und osteuropäischen Ländern verschlechtern sich derzeit die politischen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von Stiftungen dramatisch. Bekommt die FES diese Entwicklung auch zu spüren?
Generell sind Stiftungen dafür da, zu erkennen, welche Themen relevant und adäquat sind. Gerade wenn es in einem Land Herausforderungen gibt, muss die Stiftung dort aktiv sein. Dass sich aktuell die politischen Rahmenbedingungen in einigen Staaten verschlechtern – man spricht von „Closing Spaces“ –, ist deshalb so augenfällig, weil die Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa in den 1990er-Jahren vergleichsweise viele Möglichkeiten zur Demokratieförderung eröffneten – Möglichkeiten, die damals genutzt wurden wie nie zuvor. Aber es gibt ja noch viele weitere relevante Bereiche, etwa die Sozial- oder die Sicherheitspolitik, in denen sich Stiftungen heute engagieren können. Problematisch wird es, wenn die Gesetzgebung eines Landes so gefasst ist, dass es schwierig ist, mit Partnern zu arbeiten.

Deutschland selbst hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine mehr als unrühmliche Rolle in Zentral- und Osteuropa gespielt. Erschwert diese Last der Geschichte die heutige Arbeit deutscher Stiftungen? 
Sicherlich wird in Mittel- und Osteuropa Deutschland als ein „besonderes Land“ – im Guten wie im Bösen – verstanden: wegen seiner Geschichte im vergangenen Jahrhundert und insbesondere aufgrund seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg; aber auch mit Blick auf die Rolle, die unser Land beim Ende des Kalten Krieges, in der Ostpolitik und bei den EU-Erweiterungen gespielt hat. Insgesamt wird Deutschland aber zugute gehalten, das es mit seiner Vergangenheit verantwortungsvoll umgegangen ist. Dieses Verständnis wird auch auf die in der Region aktiven deutschen Stiftungen übertragen. Das macht unsere Tätigkeit vielleicht noch anspruchsvoller.

Haben Sie eine Empfehlung für andere deutsche Stiftungen, die in Osteuropa tätig sind oder tätig werden möchten? 
Mit Empfehlungen möchte ich mich zurückhalten, denn Erfolg und Misserfolg sind schwer zu messen. Das Einzige, was ich anmerken möchte, mag banal klingen: Wir sollten uns von Rückschlägen bei Transformationsprozessen nicht so leicht entmutigen lassen und weniger emotional reagieren. Jede gesellschaftspolitische Entwicklung ist nur aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Es existieren keine Blaupausen für Reformen, sie müssen jeweils neu gedacht werden. Dabei sind auch Rückschläge und Misserfolge einzuplanen. Das sollten wir offen und ehrlich kommunizieren. Dann können deutsche Stiftungen gut gerüstet in einen konstruktiven Dialog gehen.

Wenn Sie einen Wunsch für den Friedensdialog in turbulenten Zeiten frei hätten, welcher wäre das? 
Ich wünsche mir, dass man, frei nach dem berühmten Soziologen Max Weber, die Verantwortungsethik („Was sind die Folgen des Handelns?“) und die Gesinnungsethik („Was sind die Werte des Handelns?“) in ein Verhältnis bringt, das der jeweiligen Situation angemessen ist. Besonders in den 1990er-Jahren haben wir uns bei den Transformationsprozessen in den früheren Ostblock-Staaten sehr auf Werte konzentriert, deren Umsetzung in Normen nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland sehr viel Zeit gebraucht hat. In jenen Jahren, welche von der Euphorie geprägt waren, die Welt sei besser geworden, haben wir die Beachtung von Interessen ein wenig aus den Augen verloren. Das rächt sich nun. Insofern wäre es wünschenswert, dass wir heute die eigenen Stärken und Schwächen sowie jene der anderen kritisch einschätzen und darauf basierend lösungsorientierter arbeiten.


Interview: Dr. Annette Kleinbrod

 

Autor

Dr. Reinhard Krumm
leitet das neue Regionalbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Wien, das im März 2017 offiziell eröffnet wurde. Für die FES hat er zudem das Referat Mittel- und Osteuropa in Berlin sowie die Büros in Zentralasien und der Russischen Föderation geleitet. Neben seiner Tätigkeit bei der FES ist Dr. Krumm Lehrbeauftragter für osteuropäische Geschichte an der Universität Regensburg.

StiftungsWelt 03-2017

Der Artikel wurde in der StiftungsWelt 03-2017 mit dem Schwerpunkt "Die Zukunft im Blick — Stiftungen entdecken globales Engagement" veröffentlicht.

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