Ilka und Esey
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Ilka und Esey

Name des Mentees: Esey 

Name der Mentorin: Ilka 

Wie hast du Esey kennengelernt? 
Esey ist letztes Jahr im April aus einer anderen Flüchtlingsunterkunft nach Ostfildern verlegt worden. Da ich damals in der Grundschule im Rahmen der Notbetreuung gearbeitet habe, habe ich direkt gesehen: Dieses Kind braucht Förderung. 

Und wie förderst du ihn? 
Er ist einer von acht Schülern, mit denen ich bei mir zuhause Hausaufgabenhilfe mache. Mit sieben davon bestehen Patenschaften. 

Wow, wie viel Zeit nimmt das in Anspruch? 
Wenn man wirklich jede Minute zählt, die auch für Mails und solche Sachen draufgehen, dann sind es 20 bis 30 Stunden die Woche. Aber die reine Arbeit mit dem Kind, bei acht Kindern, die ein- bis zweimal die Woche kommen, da sind es 14 Stunden. 

Wie bist du auf die Idee gekommen, so etwas anzubieten? 
Seit 2010 habe ich mit Kinder-Patenschaften zu tun, damals aber noch im Rahmen eines anderen Projekts. 2016 hatte ich dann Patenschaften mit jungen Männern, aber das war nicht so mein Ding. Ende 2016, Anfang 2017 bin ich ganz gezielt auf eine Sozialarbeiterin in der Flüchtlingsunterkunft zugegangen und habe gesagt, dass ich gerne Hausaufgabenhilfe für Grundschulkinder anbieten würde. Bei der bin ich offene Türen eingerannt, aber ich habe sofort gemerkt, dass ich dumm wie Knäckebrot bin. (lacht) 

Warum?
Es waren damals acht-neun Kinder von der ersten bis zur dritten Klasse, ganz frisch nach Deutschland gekommen, diesen Bedürfnissen kannst du nicht in einer Gruppe gerecht werden. Ich habe es zweimal echt probiert und gemerkt, es geht nicht. Die Kinder brauchen Einzelbetreuung. 

Wo habt ihr euch bis dahin getroffen? 
In einem Gruppenraum in der Unterkunft. Als der mal unter nicht zur Verfügung stand, sind wir zu den Kindern nach Hause gegangen. Das war nicht ganz so zufriedenstellend, die Eltern wollten mich rauf und runter bewirten und ich habe immer auf die Uhr geguckt und musste sagen, dass da noch ein anderes Kind auf mich wartet. Und dann hat mir Corona echt in die Tasche gespielt.. 

Inwiefern? 
Es hieß, dass Mentoren die Unterkünfte nicht mehr betreten dürfen. Aber mit Erstklässlern kannst du auch nicht per Whatsapp kommunizieren. Da sind die Kinder dann zu mir gekommen, ich wohne ganz in der Nähe der Schule. Weil das vom Wetter her ging, haben wir auf der Terrasse Hausaufgaben gemacht. Da musste auch keiner Maske tragen. Früher wollte ich das Engagement nicht so nah an meinen Privatraum ranlassen. Aber da habe ich gemerkt, dass das auch für mich sehr bequem ist, wenn die zu mir kommen. Es ist für die Kinder toll, weil die einfach mal woanders hinkommen. Und ich habe meine Materialien alle zuhause und muss nichts durch die Gegend schleppen. 

Aus welchen Ländern kommen deine “Hausaufgaben-Kinder”? 
Aus Syrien, Afghanistan, Esey kommt aus Eritrea. Ich habe auch eine Türkin, die in der vierten Generation in Deutschland lebt, aber das Gros der Kinder hat syrische oder afghanische Wurzeln. 

Warst du früher mal Lehrerin? 
Nein, ich bin zwar gelernte Gymnastiklehrerin und Physiotherapeutin, aber das ist lange her. Ich bin vor allem Mutter von vier Kindern, die ich durch eine starke berufliche Einspannung meines Mannes eigentlich allein groß gezogen habe. 

Wie läuft so eine Hausaufgabenbetreuung ab? 
Sie zeigen mir ihr Hausaufgabenheft, da steht ja alles drin. Und was ich auch immer mache: den Ranzen einmal umdrehen und gucken, was da sonst noch so drin ist - vergammeltes Obst oder Zettel von Lehrern. Manchmal mache ich auch so kleinere Events und wir gehen in die Wilhelma, den Stuttgarter Zoo. Oder ich organisiere, dass Kinder im Sommerlager angemeldet werden. Bei Esey habe ich auch dafür gesorgt, dass er zu einer Kindertherapeutin gehen kann, weil er ganz klar eine harte Fluchtgeschichte hat. Oder ich habe gesehen, dass er dringend neue Sandalen braucht und dann frage ich in der Nachbarschaft rum, wer Jungsklamotten in der Größe hat.  

Was weißt du über Eseys Geschichte? 
Er ist jetzt fast neun, seit sieben Jahren lebt die Familie in Deutschland. Die Mutter ist alleinerziehend, der Vater lebt aber auch hier. Von allen Patenschülern ist er schon derjenige, zu dem ich den intensivsten Kontakt habe. Das hat sich so entwickelt, weil die Mutter eines Tages bei mir vor der Tür stand. Der soziale Dienst hatte ihr die Adresse von einer Sprachschule gegeben, weil sie dort einen Alphabetisierungskurs machen sollte. Aber es war völlig klar, dass der nicht kompatibel ist mit den Schulzeiten von Esey. Da bin ich dann über meinen Schatten gesprungen und habe gesagt: „Du machst den Kurs und ich nehme das Kind.“ Ich hatte ihn dann drei oder vier Mal morgens für eine halbe Stunde und nachmittags zwei Mal etwas länger. Dadurch ist natürlich eine extreme Bindung an das Kind entstanden. Nach den Sommerferien haben sie aber einen Hortplatz bekommen und ab da wurde es reduziert auf zwei Mal die Woche. 

Also bist du auch für die Mutter eine Ansprechperson geworden, nicht nur für Esey? 
Ja, schon. Sie hat früher oft angerufen und manchmal war es mir auch zu viel. Aber letztes Jahr hat sie mir gesagt, dass es das erste Mal gewesen wäre, dass sich jemand um sie gekümmert hat. Da muss man einmal tief schlucken. Jeder muss sich ja selbst überlegen: Wie ginge es mir, wenn ich übermorgen in ein Land käme, wo ich gar nichts verstehe? Und Esey ist jemand, wo ich sage: „Die haben es so schwer gehabt, das machen wir jetzt.“ Für ihn ist das ganz wichtig zu wissen, dass seine Mutter und er immer zu meinem Mann und mir kommen können. Das ist ein sicherer Hafen. Ich bin eigentlich wie so eine Oma. 

Überfordert dich das Engagement auch manchmal? 
Das ist bei jeder Patenschaft die Frage: Wie viel bin ich bereit, dem Einzelnen zu geben? Ich wehre mich zum Beispiel mit Händen und Füßen, irgendwelchen Papierkram zu machen. Aber ich bin über die vielen Jahre einfach sehr gut vernetzt und kann sagen: „Wende dich doch an den oder den.“ Manchmal wünsche ich mir, dass es in Ostfildern mehr Mentorinnen gäbe und ich nur ein Kind hätte, um das mich intensiv kümmere. Aber auf der anderen Seite finde ich das auch so ungerecht den anderen gegenüber, weil ich ja von der Grundschule weiß, wie groß der Bedarf ist. 

Über die Mitgliedsorganisation:

Die Bürgerstiftung Ostfildern kooperiert für ihr Mentoring-Programm mit dem dortigen Freundeskreis Asyl und der Stadt Ostfildern. Ziel ist es, Patenschaften zwischen Geflüchteten und Ostfilderner Bürgern jeden Alters zu initiieren und zu begleiten. Konkret kann es dabei um den Erwerb der deutschen Sprache, den Berufseinstieg, Schulabschluss, die Ausbildung oder einfach das Kennenlernen von Freizeitangeboten gehen.

Weitere Informationen: https://www.buergerstiftung-ostfildern.de/project/mentoring/
Text: Lena Guntenhöner

Lachende und fröhliche Menschen
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Programm Chancenpatenschaften

Der Bundesverband Deutscher Stiftungen unterstützt als Träger des Bundesprogramms "Menschen stärken Menschen" Stiftungen bei der Durchführung ihrer Mentoring- und Patenschaftsprojekte.

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