Von Farbklecksen zu Feinheiten: Die Zukunft der Hirnforschung

Mannheim/Heidelberg, 11. April 2024. In einer bisher unübertroffenen Präzision können Forschende am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Gehirne abbilden. Der hierfür verwendete 7-Tesla-Magnetresonanztomograph (7-Tesla-MRT) ist in Europa noch eine Seltenheit. Damit lassen sich neben feinsten Strukturen sogar molekulare Vorgänge im Gehirn darstellen. Gabriele Ende und Markus Sack, beide promovierte Physiker in der Abteilung Neuroimaging, erklären, wie sie damit schon heute die Auswirkungen von Alkoholismus auf das Gehirn sichtbar machen, den Therapieverlauf kontrollieren können und schon bald die personalisierte Medizin ein Stück voranbringen könnten. Die Klaus Tschira Stiftung hat die Anschaffung der hochmodernen Anlage ermöglicht.

„Was beim 3-Tesla-MRT nur als Farbklecks zu sehen war, lässt sich mit dem 7-Tesla-MRT in seiner ganzen Feinheit auflösen“, betont Gabriele Ende. Die Professorin leitet die Abteilung Neuroimaging am ZI, wo mit Hilfe des bildgebenden MRT Behandlungsoptionen für psychiatrische Erkrankungen entwickelt werden. Zum Beispiel für die Untersuchung von Aggressionen, Alkoholabhängigkeit oder auch Long-Covid. In einer aktuellen Studie zur langanhaltenden Corona-Erkrankung wiesen sie beispielsweise mit dem MRT einen Adenosintriphosphat-Mangel im Gehirn nach – und zwar genau in den Regionen, in denen Forschende den Ursprung von Long-Covid-Symptomen vermuten. Die hohe Auflösung des 7-Tesla-MRT ermöglicht nun, die Ursachen dieses beeinträchtigten Energiestoffwechsels noch besser zu untersuchen. Und möglicherweise medikamentös gegenzusteuern.

Die begrenzte Verweildauer der Probandinnen und Probanden im MRT – länger als eine Stunde fällt es den meisten Menschen schwer, bewegungslos im Tomographen zu verweilen – kann mit der neuen Anlage effektiver genutzt werden. Grob gilt: Je mehr Tesla, also je stärker das magnetische Feld, desto höher die Auflösung. Durch die hohe Auflösung des 7-Tesla-MRT seien weniger Messungen für das gleiche Ergebnis notwendig, beschreibt Ende. Dies sei insbesondere bei Menschen mit Suchtproblematik hilfreich, die aufgrund eines Entzugs nicht lange stillliegen können.

Auch deshalb betont Gabriele Ende: „Es ist enorm wichtig, eine möglichst angenehme Atmosphäre zu schaffen.“ Dass dies gelungen ist, wird bei einem Blick in den MRT-Raum deutlich: Der Boden erinnert an eine grüne Wiese. Passend dazu sind an der Decke einige weiße Wolken in einem blauen Himmel zu sehen. In der Messkammer selbst blickt man über einen Spiegel auf einen großen Bildschirm. Hier laufen beruhigende Naturszenen, wenn gerade keine Aufgabe zu lösen ist.

Über diesen Bildschirm werden auch andere Bilder gezeigt, zum Beispiel von alkoholischen Getränken. „Über die gemessene Gehirnaktivität können wir dann den Erfolg von Therapien überprüfen“, erklärt Gabriele Ende. Zu sehen ist, ob die Betroffenen gelernt haben, ihr Belohnungssystem zu normalisieren. Was Alkoholabhängigkeit im Gehirn verändert, konnten sie in einer Pilotstudie zeigen. Alkoholpatientinnen und Patienten im akuten Entzug wiesen einen signifikanten Anstieg von Glutamat in einer Gehirnregion auf, in der dieser häufigste und anregende Neurotransmitter unter anderem die Impulsivität steuert. Eine zu hohe Konzentration schadet unseren Nervenzellen. Aus diesem Grund ähneln die Schäden auf Gehirn-Aufnahmen von Alkoholabhängigen oft denen von Demenzkranken.

„Man sieht so viel mehr bei 7 Tesla.“

Zur Messung von Glutamat kommt die Magnetresonanzspektroskopie (MRS) zum Einsatz. Sie erlaubt die Konzentrationsbestimmung von Hirnmetaboliten. „Man erhält quasi ein biochemisches Profil einer Hirnregion“, erklärt Markus Sack, der ebenfalls in der Abteilung Neuroimaging tätig ist. Vor allem bei der Bestimmung von Glutamat und GABA, dem hemmenden Gegenpart, profitiert man vom stärkeren Magnetfeld. Doch hier ist für das ZI noch nicht Schluss: Mithilfe der sogenannten 13C-MRS will man noch tiefer blicken. „Bei der normalen Protonen-Spektroskopie erhalten wir einen Ist-Zustand, können aber nicht unbedingt sagen, warum er so ist“, führt Markus Sack aus. Die 13C-MRS mache sich zunutze, dass das besondere Kohlenstoffisotop 13C im MRT messbar ist – ganz im Gegensatz zum natürlichen Kohlenstoff 12C. Werde mit diesem Isotop markierte Glukose (Zucker) verabreicht, lasse sich durch sukzessive Aufnahmen seine Verstoffwechselung im Gehirn verfolgen und damit auch die Umwandlung zu Glutamat. Im Prinzip könne so auch die Umsetzung von Medikamenten beobachtet werden. „Man sieht so viel mehr bei 7 Tesla“, betont Markus Sack.

„Unser Ziel ist, mit dem MRT in Zukunft sagen zu können, ob ein Medikament wirkt oder nicht“, sagt Gabriele Ende. Angesichts der hohen Vielfalt allein an Antidepressiva sei damit schon viel gewonnen. „Teilweise braucht es Wochen, bis ein Antidepressivum wirkt. Aber die strukturellen Veränderungen im Gehirn lassen sich oft bereits nach wenigen Stunden oder Tagen feststellen“, unterstreicht sie. Bisher könne man beispielsweise bei Depressiven feststellen, dass bestimmte Gehirnregionen aktiver sind als andere. „Umgekehrt lässt sich durch eine Messung aber keine Depression feststellen“, stellt Ende klar. Mit den neuen Möglichkeiten erwarte sie, einen Schritt in Richtung individualisierter Diagnosen gehen zu können.

Gabriele Ende, ebenso wie Markus Sack, promovierten nicht in Psychologie, sondern in Physik. Außerdem sind Expertinnen und Experten aus der Biologie, Mathematik oder den Ingenieurswissenschaften am Institut tätig. „Am ZI haben wir eine gute Mischung. Die braucht es aber auch unbedingt“, stellen die beiden Forschenden klar. Letztlich gäbe es keinen 7-Tesla-MRT ohne die Verknüpfung von naturwissenschaftlicher, technischer und medizinischer Forschung. Die Interdisziplinarität ist hier also entscheidend für den wissenschaftlichen Erfolg. Und war auch ein Grund für die Klaus Tschira Stiftung, dieses Ausnahmeprojekt zu fördern.

Klaus Tschira Stiftung

Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de.

Ansprechperson:

Uli Ellwanger
Leiter Kommunikation und Medien
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Telefon: 0621 1703-1301
E-Mail: uli.ellwanger[at]zi-mannheim[punkt]de

Autor:

Kevin Pierre Hoffmann
Kommunikation
Telefon: +49 6221 533 191
E-Mail: kevin.hoffmann[at]klaus-tschira-stiftung[punkt]de