Wasserversorgung über Sozialunternehmertum
Das oberste Wirkungsziel der Siemens Stiftung ist nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung. Mit ihren Arbeitsgebieten Entwicklungskooperation, Bildung und Kultur engagiert sich die Stiftung schon lange für Themen, die in den SDGs festgeschrieben sind. Vor allem Wasser, Energie, Bildung, Gesundheit und die Reduzierung von Armut stehen dabei im Vordergrund. Die Ansätze, wie die Siemens Stiftung Veränderung bewirken will, unterscheiden sich jedoch von vielen anderen Stiftungen: Im Mittelpunkt stehen innovative Technologien, unternehmerische Modelle und starke Kooperationen. Wer einen Blick auf das Engagement der Stiftung im Bereich Entwicklungskooperation wirft, erkennt, was damit gemeint ist.
Um dauerhaft in einer Gesellschaft wirken zu können, braucht es passende Strukturen.
Bereits seit ihrer Gründung arbeitet die Siemens Stiftung daran, mit einfachen Technologien existenzielle Versorgungsdefizite in den Bereichen Wasser und Energie abzubauen. Anfangs setzte sie dabei noch auf klassische Hilfsprojekte, aber bald schon auf selbsttragende Lösungen nach einem sozialunternehmerischen Modell: Die Safe Water Enterprises in Ostafrika beispielsweise verkaufen in örtlicher Verantwortung gereinigtes Wasser zu einem erschwinglichen Preis, sodass sich die einzelnen Standorte selbst finanzieren. Die Wirkung kann sich sehen lassen: Inzwischen gibt es 20 Standorte, und Tausende Familien profitieren vom sauberen Wasser. Lebensgefährliche Erkrankungen wie Cholera, Typhus und Diarrhö sind deutlich zurückgegangen und neue Einkommensmöglichkeiten für die Gemeindemitglieder entstanden. Doch ein weiteres Wachstum eines gemeindebasierten Modells wäre für uns als Stiftung mit Sitz in Deutschland ohne eigene lokale Organisation oder Mitarbeiter nicht effizient umsetzbar gewesen.
Im Januar 2019 ging die Siemens Stiftung deshalb einen neuen Weg: Mit der WE!Hub Victoria Limited hat sie in Kenia ein eigenes Sozialunternehmen als hundertprozentige Stiftungstochter gegründet. Unter dem Markennamen WeTu kombiniert das Unternehmen mit derzeit rund 30 Mitarbeitern und klarer Verortung unter kenianischem Recht lokale Ideen mit afrikanischem und internationalem Know-how. So soll die Wasser- und Energieversorgung der Region um den Viktoriasee langfristig verbessert werden. Die finanziellen Mittel zum Erwerb der Grundstücke, Gebäude und technischen Anlagen wurden durch die Siemens Stiftung in Form eines Gesellschafterdarlehens zu günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt.
Nahezu keines der Nachhaltigkeitsziele kann ohne geeignete technische Lösungen erreicht werden. Unser Sozialunternehmen WeTu bündelt zahlreiche Angebote und trägt dazu bei, die Wasser- und Luftverschmutzung deutlich zu reduzieren.
Das Kerngeschäft von WeTu basiert auf dem Verleih von solarbetriebenen Fischerlaternen am Viktoriasee, auf dem Vertrieb von sauberem Trinkwasser sowie auf der Bereitstellung von E-Mobility-Lösungen, die eigens für den Bedarf vor Ort entwickelt und produziert werden. Mit diesen Lösungen sowie sozialen und ökologischen Geschäftsmodellen sollen die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessert, Jobs geschaffen und neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnet werden. Ein klarer Beitrag zu den SDGs, der langfristig Zehntausende Menschen erreichen soll. Beteiligt sind unterschiedliche Technologiepartner, die ihre Angebote gezielt auf die lokalen Bedürfnisse abstimmen. Wie im Bereich E-Mobility: Der Geschäftszweig WeMobility von WeTu testet derzeit verschiedene Fahrzeuge und Geschäftsmodelle rund um Kreislaufwirtschaft und Verleihmodelle. Aufgeladen wird alles von Solaranlagen, die die Energie kostengünstig, sauber und zuverlässig bereitstellen.
Das Unternehmen soll nicht auf Dauer im Stiftungsbesitz bleiben. Deshalb wird lokales Know-how aufgebaut – im technischen und betriebswirtschaftlichen Bereich genauso wie bei Hygiene, Gesundheit und sozialer Einbindung. Die Stiftung setzt hier zum einen auf bereits erprobte Trainings- und Schulungsmaßnahmen, zum anderen baut sie Partnerschaften mit lokalen Hochschulen aus und bindet verschiedene Start-ups in die sich entwickelnden Strukturen vor Ort ein.
Die politische Aussöhnung der nationalen Regierung mit den regionalen politischen Akteuren im Westen des Landes führte zu einer Befriedung und Stabilisierung an den Küsten des Viktoriasees. Es herrscht nun Aufbruchsstimmung unter der jungen Bevölkerung, kombiniert mit Ideenreichtum rund um die IT-Branche. In Kisumu, der größten Stadt Westkenias, entstand eine lokale Initiative zur Gründung eines IT-Start-ups außerhalb der Hauptstadt. Die Siemens Stiftung brachte ihre langjährige Erfahrung bei der Gründung und Begleitung von Start-up-Centern in mehreren Ländern Afrikas nach Kisumu. Der Unternehmenssitz von WeTu zog als Ankermieter in die neu gefundenen Räumlichkeiten ein. Im November 2019 konnte gemeinsam mit Lake-Hub ein Accelerator-Programm für Jungunternehmen der Region gestartet werden.
Ideen im Netzwerk stark machen
Auch bei anderen Projekten im Bereich der Entwicklungskooperation bringt die Siemens Stiftung ihre Expertise in größere Netzwerke ein. In ihrem empowering people. Network beispielsweise vereint sie rund 80 Organisationen aus der ganzen Welt, die mit einfachen Technologien die Versorgung von Menschen in Entwicklungsregionen verbessern und Perspektiven durch neue Jobs und bessere Einkommen schaffen. Technologie- und Wissenstransfer stehen dabei ebenso im Vordergrund wie die Unterstützung auf dem Weg zu organisatorischer Weiterentwicklung. Bei TEAM UP, einer bislang einmaligen Initiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), bei der private Stiftungen und der öffentliche Sektor zusammenarbeiten, engagiert sich die Siemens Stiftung ebenfalls mit ihrer Expertise im Bereich Wasser. Ziel ist es, Perspektiven für junge Menschen in ländlichen Räumen Ostafrikas zu schaffen. Durch die Kooperation können die Partner ihre Stärken kombinieren, Innovationspotenzial bündeln und so deutlich mehr Menschen erreichen. Gerade in solchen Kooperationen sieht die Siemens Stiftung die Zukunft ihrer Arbeit, davon ist Rolf Huber überzeugt: „Nur so entsteht Fortschritt. Und wir brauchen dringend neue Ideen in der Entwicklungszusammenarbeit. Denn wie ein viel zitiertes afrikanisches Sprichwort sagt: ‘Wer schnell ans Ziel kommen will, geht alleine, wer weit kommen will, geht gemeinsam.’”
Nur wenn viele Akteure ihre Kompetenzen bündeln, können signifikante Veränderungen erzielt werden.
Die Siemens Stiftung hat in Kenia die WE!Hub Victoria Ltd. gegründet. Als Sozialunternehmen soll sie nachhaltige Lösungen und Strukturen für die Trinkwasser- und Energieversorgung sowie E-Mobility-Lösungen aufbauen. Rolf Huber, Geschäftsführender Vorstand der Siemens Stiftung, gibt Einblick in die Herausforderungen im Gründungsprozess.
Welche Rolle haben bei Ihren Überlegungen, ein eigenes Sozialunternehmen in Kenia zu gründen, das deutsche Stiftungsrecht und die Anforderungen des Finanzamtes gespielt?
Wir haben in diesem Bereich über die Jahre viel gelernt. Wir arbeiten weltweit eng in einer Gemeinschaft mit Sozialunternehmern und haben gemeinsam Herangehensweisen entwickelt, die sowohl an den lokalen rechtlichen Rahmenbedingungen als auch an dem deutschen Stiftungsrecht orientiert sind. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen wirken in diesem Zusammenhang als Beschleuniger: Sie fördern die Kooperation über Sektorengrenzen hinweg, gemeinnützige Stiftungen arbeiten mit privatwirtschaftlichen Organisationen zusammen, staatliche Stellen und internationale Organisationen unterstützen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Unser Stiftungsrecht setzt enge Grenzen, die wichtig sind, um den gemeinnützigen Auftrag von Stiftungen sicherzustellen. In diesem Rahmen ist es möglich, durch Zusammenarbeit passgenaue Lösungen mit den Finanzbehörden zu erarbeiten. Wir haben hier einiges an Zeit und Geld investiert und einige Erfahrungen gemacht, die wir mit unseren Partnern im Netzwerk der Sozialunternehmer und anderen Stiftungen teilen werden. Wenn wir unsere Wirkung im Ausland optimieren und Ideengeber auch für andere Sektoren sein wollen, sind gerade wir Stiftungen gefordert, neue Wege zu beschreiten. Ich bin davon überzeugt, dass wir davon in Zukunft viel mehr sehen werden.
Sie sprechen davon, dass die Gründung von WeTu eng mit dem zuständigen deutschen Finanzamt abgestimmt wurde. Was genau war zu klären und was waren die besonderen Herausforderungen?
Zwei Rahmenbedingungen galt es zu klären: Erstens, die Beteiligung an der Limited fällt formal in den Bereich der Vermögensverwaltung der Stiftung. Grundsätzlich sollten hier ja möglichst gute Erträge bei möglichst geringem Risiko erwirtschaftet werden. Die Beteiligung an der lokalen Gesellschaft ist jedoch nicht an der Erzielung von Erträgen für die Stiftung ausgerichtet und sie könnte im schlimmsten Falle sogar zu einem Totalverlust der eingesetzten Mittel führen. Zweitens: Die Finanzausstattung zum Erwerb der bestehenden Vermögenswerte – also die Grundstücke, Gebäude und die technische Infrastruktur am Viktoriasee – sollte WeTu in Form eines Darlehens aus „zeitnah zu verwendenden Mitteln“ der Siemens Stiftung zur Verfügung gestellt werden – also aus dem „ideellen Bereich“ und dann gegebenenfalls zu marktunüblichen Konditionen. Um dies zu ermöglichen, galt es, die Satzung der WeTu entsprechend einer aus deutscher Sicht gemeinnützigen GmbH aufzusetzen. Zusammengefasst haben wir eine hundertprozentige Beteiligung in der Vermögensverwaltung, die aber gleichzeitig durch zeitnah zu verwendende Mittel unterstützt werden kann und deren etwaigen Verluste im worst case keine negativen Auswirkungen auf die Stiftung bzw. die gemeinnützige Mittelverwendung haben. Diese Ansätze wurden vom Finanzamt so bestätigt.
Ist ein solches Geschäftsmodell die Zukunft für deutsche Stiftungen, die grenzüberschreitend die nachhaltige Entwicklung fördern wollen?
Es ist sicherlich nur eine von mehreren Möglichkeiten. Auch wir werden und können nicht all unsere Stiftungsarbeit auf dieser Basis umsetzen, es müssen immer Lösungen und Ansätze erarbeitet werden, die für genau die jeweilige Situation passen. Unternehmerische Modelle sind nahe an den bewährten Traditionen in vielen Gesellschaften und Gemeinden, von Genossenschaften bis zu Kreditvereinen mit Investitionsmodellen. Offenheit und Innovationskraft ist gefragt, um die jeweiligen lokalen Strukturen und Entwicklungspotenziale bestmöglich mit globalem Wissen zu verbinden.
Das gesamte Interview mit Rolf Huber, Geschäftsführender Vorstand der Siemens Stiftung, über die Herausforderungen im Gründungsprozess von WE!Hub Victoria Ltd. ist im Blog des Bundesverbands Deutscher Stiftungen erschienen.
Welche Rolle spielen Stiftungen bei der Umsetzung der SDGs?
Die Sustainable Development Goals sind Ziele, die sich die Weltgemeinschaft gesetzt hat. Um sie zu erreichen, sind alle gefragt – selbstverständlich auch Stiftungen. Stiftungen sind im Vergleich zu Regierungsorganisationen sehr viel kleiner und arbeiten mit weniger Budget. Das macht sie jedoch auch flexibler. In kleinem Rahmen können innovative Modellprojekte getestet werden, die bei Erfolg skaliert werden können. Denn am Ende geht es nicht nur um die Finanzierung. Stiftungen bringen zusätzlich über lange Zeiträume entwickelte Expertise und Netzwerke als entscheidende Erfolgsfaktoren mit ein.
Die Besonderheit beim Engagement von Stiftungen liegt darin, dass die Stiftungen oftmals schon viel länger als die SDGs existieren, ihr Stiftungszweck in vielen Fällen aber darauf einzahlt. Hier gilt es, die bestehenden Aktivitäten neu zu überdenken oder in größere Wirkungszusammenhänge einzufügen.
Wie viele Ressourcen setzen Sie für Ihr SDG-relevantes Wirken ein?
Alle Projekte und Initiativen unserer drei Arbeitsgebiete zahlen voll oder teilweise auf die SDGs ein. Der Finanzbericht der Stiftung gibt Auskunft über die Verwendung der Mittel in den Arbeitsgebieten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt sicherlich auf unseren beiden Arbeitsgebieten Bildung und Entwicklungskooperation; aber auch Aspekte unserer Kulturprojekte tragen zur Erreichung der SDGs bei.
Welche Wirkung haben Sie damit erzielt?
Im Großen geht es darum, vor allem existenzielle Versorgungsdefizite in den Bereichen Wasser und Energie abzubauen, durch (MINT-)Bildung Wissen für eine verantwortungsvolle Mitgestaltung der Zukunft zu vermitteln und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Die Ansätze und Wirkungsziele, wie wir dies erreichen, sind jedoch unterschiedlich.
Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Institutionalisierung von Lösungen mit selbsttragenden Strukturen: egal ob es darum geht, dass unser Bildungsprogramm Experimento in Zusammenarbeit mit starken Partnern vor Ort in den Bildungssystemen von 13 Ländern weltweit ankommt, oder ob unser eigens gegründetes Sozialunternehmen WeTu ohne langfristige Unterstützung Lösungen zur Versorgung mit sauberer Energie und Trinkwasser liefert. Gleichzeitig halten wir es für einen wirksamen Hebel, Akteure zu fördern, die mit ihrer Arbeit zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen, wie wir es beispielsweise in unserem empowering people. Network für Sozialunternehmer tun.
Welches sind Ihre wichtigsten Erfahrungen?
Als wichtig erachten wir als Siemens Stiftung, dass alle Akteure über die Sektoren hinweg sinnvoll zusammenarbeiten. Denn nur in koordinierter Kooperation können diese großen Ziele erreicht werden. Deshalb begrüßen wir Initiativen des BMZ, die mit speziellem Augenmerk auf Stiftungen verschiedene Akteure an einen Tisch holen. Bei Projekten wie TEAM UP in Uganda oder der Africa Cloud arbeiten wir ganz gezielt mit anderen Organisationen zusammen, um SDGs wie Bildung, Gesundheit und Beschäftigung zu verwirklichen.
Welche Hürden gibt es für Stiftungen beim Engagement für die SDGs?
Viele Stiftungen verfolgen einen anderen Stiftungszweck – und das ist völlig legitim und wichtig. Für Stiftungen, die sich allerdings in dem Bereich der SDGs im globalen Süden bewegen, erfordern die gemeinnützigen Rahmenbedingungen sorgfältige steuerrechtliche Betrachtungen der möglichen Partnerschaften. Für Stiftungen sind juristische Abklärungen mit den zuständigen deutschen Finanzbehörden und daraus resultierende komplexe Kooperationsverträge mit nach lokalem Recht agierenden Organisationen eine oft zu große ressourcenbindende Hürde. Die Kooperation mit privatwirtschaftlichen Akteuren wie lokalen Sozialunternehmern und Start-ups im Rahmen von klassischen Zuwendungsverträgen ist oftmals mit den Förderbedingungen unvereinbar. Die zu Recht oftmals beschworene Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Wirtschaft, staatlichen Stellen und gemeinnützigen Organisationen ist dann leider nicht möglich. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf, um schneller und nachhaltiger die von allen angestrebten Ziele erreichen zu können.
Was muss passieren, damit Stiftungen mehr Engagement für die SDGs zeigen?
In der Entwicklungskooperation müssen die Anstrengungen unterschiedlicher lokaler Initiativen stärker berücksichtigt werden. Zivilgesellschaftliche Akteure, Kleinunternehmer, klassische NGOs und staatliche Stellen bemühen sich, vor Ort neue gemeinsame Wege zu gehen. Deutsche Stiftungen sollten mehr Spielraum erhalten, um flexibel, zeitnah und verantwortungsvoll mit diesen Partnern auf Veränderungen reagieren zu können.
Innovative Lösungsansätze sind mit Risiken verbunden und das Scheitern bei der Implementierung ist möglich. Nicht nur der Klimawandel verändert das Umfeld oft überraschend schnell, und auf mehrere Jahre angelegte detaillierte Projektplanungen können dann nicht rasch genug umgeworfen werden und behindern eine wirkungsvolle Arbeit.
Insgesamt ist es ermutigend, dass immer mehr Stiftungspartner ihre Arbeitsweise verändern und anpassen. Wenn jetzt noch Förderrichtlinien und die Arbeit deutscher staatlicher Akteure von zu engen Fesseln befreit würden, wäre ein wirkungsvolleres Engagement in dem verbleibenden Jahrzehnt bis 2030 möglich.