Belfast vor dem Brexit

Grenze Irland Nordirland
Impuls
© Anke Pätsch
12.04.2019
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Der Austausch unter Förderstiftungen, Aktivistinnen und Aktivisten, die zum Ariadne* Policy Briefing kommen, findet im geschützten Raum statt. Tweets sind nicht erlaubt. Dieses Jahr bot das Titanic Belfast den 80 Teilnehmenden den Rahmen. Ein Konferenzzentrum mit Museum und der Möglichkeit, das Sinken der in Belfast gebauten Titanic nachzuempfinden. Klingt absurd?  Dass die Ariadne-Mitglieder Belfast als Tagungsort wählten, war jedoch kein Zufall. In kaum einer anderen Stadt wird so deutlich, wie viel durch den Brexit auf dem Spiel steht.  

Belfast: Geteilt trotz des Friedensabkommens

Häuserwand Belfast
© Anke Pätsch

Belfast ist auch 20 Jahren nach dem Good Friday Peace Agreement eine geteilte Stadt. 1998 unterzeichneten die Republik Irland, Großbritannien und die nordirischen Konfliktparteien das Karfreitagsabkommen und beendeten damit die gewalttätige Phase des Nordirland-Konfliktes. Zwischen den Belfaster Wohnvierteln stehen noch heute Zäune, seit 1969. Einige sind acht Meter hoch. Der längste drei Kilometerlang. Oft auf Bitten der Bevölkerung errichtet. Auch wenn diskutiert wird, sie abzubauen, noch sind sie da. An zwei Stellen werden Straßenzüge durch Tore abgeschlossen. Jeden Abend. Wunden, die nicht heilen 

Letzten Freitag drückt mir der Mann an der Mauer den Schlüssel für das Vorhängeschloss in die Hand. Kein gutes Gefühl. Lachen aus Verlegenheit. Wir waren genau zur Schließzeit mit den Black Cabs angekommen. Die Taxifahrer der Black Cabs erklären Menschen aus aller Welt anhand von Wandbemalungen und Gedenkorte, den Nordirland-Konflikt. Schwer verständlich, nicht nur durch den harten Akzent. So neutral wie möglich, das gelingt nicht jedem Taxifahrer. Zu tief sind die Wunden.  

Die Gedenkorte zeigen auf der protestantischen Seite Fotos von den Anschlägen der IRA und deren Opfern. Sie listen Politiker wie Tony Blair und Jeremy Corbyn auf, die ihrer Meinung nach zu IRA-freundlich sind. Auf der katholischen Seite Fotos von den Opfern, freiwilligen Kämpfern und Kämpferinnen der IRA, die von protestantischen paramilitärischen Gruppen getötet wurden. Insgesamt sind es auf beiden Seiten 3.500 Tote. Bei Besuchen von NGOs in Belfast erfahren wir auch von Gewalttaten, die nur ein paar Monate zurückliegen. Es brodelt noch in Belfast.  

Brexit: Angst vor neuer Gewalt  

Eine mögliche harte Grenze zwischen der zur EU gehörigen Republik Irland und dem zu Großbritannien gehörigen Nordirland, kann den Konflikt neu entfachen. Der Brexit die Konfliktlinie verhärten. Denn die beiden Länder, die sich gemeinsam dem Projekt „Frieden in Nordirland“ verpflichtet haben, stünden durch den Brexit erneut auf unterschiedlichen Seiten. 

In Nordirland stimmte die Mehrheit der Bevölkerung (56 Prozent) für den Verbleib in der EU. Und im Detail war die Bevölkerung in ihrer Zustimmung zum Brexit geteilt: Katholikinnen und Katholiken in Nordirland stimmten zu 85 Prozent für den Verbleib in der EU, im Vergleich zu nur 37 Prozent in der protestantischen Bevölkerung. Aus Sicht der NGOs hat die EU-Mitgliedschaft enorm zur Normalisierung und Entpolitisierung im Friedensprozess beigetragen. EU-Gelder, investiert in die Zivilgesellschaft, ermöglichten Gespräche und Austausch. Aktivitäten und Kampagnen von NGOs sind für viele Menschen in Nordirland der einzige Lichtblick. Wohnungsnot, Bildungsmisere, Arbeitslosigkeit, fehlende Gesundheitsdienstleistungen, Unterstützung von Minderheiten – die Liste der Aufgaben, die NGOs bearbeiten, ist lang. Stiftungen: Das Menschliche im Blick 

Wirtschaftlich ist Nordirland inzwischen weit abgefallen von der Republik Irland. Für die Menschen vor Ort ist der Brexit eine reale Bedrohung. „Silence is dominating, when the topic is toxic“, beschrieb ein Uniprofessor die Situation im privaten Umfeld. Das Thema Brexit werde selbst im Familien- und Freundeskreis nicht angesprochen, wenn unterschiedliche Ansichten zusammentreffen. Das zeigt, wie tief der Riss durch die Gesellschaft geht.  

Die menschliche Komponente komme zu kurz bei den parteipolitischen Debatten, heißt es auch im abschließenden Statement von Ariadne: „Having heard directly from a broad range of local civil society actors and community leaders it is concerned that the Brexit debate has overly focused on party politics and trade. The unfortunate consequence is that there has been insufficient progress made on addressing the fundamental issues of human rights, equality and citizenship. These were the very issues that were at the core of the Good Friday/Belfast Peace Agreement. They remain central to continuing peace and stability. We urge all those involved nationally and internationally to ensure that these issues are placed firmly at the forefront of the remaining negotiations.” 

*Ariadne ist das europäische Netzwerk von etwa 600 Menschen aus Stiftungen für sozialen Wandel und Menschenrechte. 
www.ariadne-network.eu

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