Personalentwicklung: Das Vermögen der Stiftung

Wer sich mittels einer Stiftung für das Gemeinwohl engagieren will, wie es 95 Prozent der rechtsfähigen Stiftungen in Deutschland tun, benötigt Vermögen. Dabei denken die allermeisten zunächst an Kapitalvermögen, eventuell auch an Immobilien oder Wertgegenstände. Was hingegen allzu häufig aus dem Blick gerät, ist, dass diese Werte erst dann im Sinne des Gemeinwohls wirksam werden können, wenn ein weiteres Vermögen hinzukommt: die Wertvorstellungen, Überzeugungen und Ideen, insbesondere aber auch das Wissen, Können und Wollen von Menschen, die sich für den jeweiligen Stiftungszweck engagieren, sei es als Angestellte oder als ehrenamtlich Mitarbeitende. Was sie mit den Erträgen aus dem Grundstock der Stiftung zu tun vermögen, entscheidet in der Praxis darüber, inwieweit der Stifterwille beziehungsweise das Gemeinwohl realisiert und der gewollte Mehrwert tatsächlich gestiftet werden kann.

Aus der Perspektive des Managements einer Stiftung bedeutet dies, Mitarbeitende nicht nur als Verwaltungsaufwand und Kostenfaktor in den Blick zu nehmen, sondern – um es mit einem etwas unschönen Wort auszudrücken – gleichsam als das Humankapital einer Stiftung anzusehen. Dieses besondere Kapital darf im Sinne der Stiftung und des Stifters nicht weniger gut und nachhaltig bewirtschaftet werden als das finanzielle Kapital, bei dem dies ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird. In diesem Sinne ist Personalentwicklung für Stiftungen – ökonomisch betrachtet – als ein Investment mit möglichem Ertrag zu sehen, das nur dann nachhaltig sein kann, wenn eine solche Personalentwicklung systematisch, also nicht nur zufällig oder nach Belieben, und auf strategischen Entscheidungen der Geschäftsführung bzw. des Vorstandes basierend erfolgt.

Dass dies keine akademische Überlegung ist, sondern den Nerv vieler Stifter, Vorstände und Personalverantwortlicher in Stiftungen trifft, ließ sich jüngst in nahezu allen Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zweier Veranstaltungen des Bundesverbandes zum Thema beobachten (Tagung „Zukunftsorientiertes Führen. Personalentwicklung in kleineren und mittleren Stiftungen“ am 14. März 2018 im Haus Deutscher Stiftungen in Berlin; Panel „Arbeiten im Stiftungssektor“ auf dem Deutschen StiftungsTag am 16. Mai 2018 in Nürnberg). Es gibt ein gewachsenes Bewusstsein für Personalthemen und gleich mehrere Treiber hierfür. Neben sinkenden Kapitalerträgen ist zuerst der zunehmend anspruchsvoller und enger werdende Arbeitsmarkt zu nennen. Die Auswirkungen beider Entwicklungen stellen Stiftungen bereits heute vor größere Probleme und werden zukünftig eher zu- als abnehmen. Im Austausch miteinander zeigte sich zugleich, dass die Mehrheit der Stiftungen selten eine systematische, über einzelne punktuelle Maßnahmen hinausgehende Personalentwicklung praktiziert.

Personalentwicklung und Führung in Stiftungen

Was aber bedeutet Personalentwicklung für Stiftungen? Wie lässt sie sich in Stiftungen umsetzen? Was kostet Personalentwicklung? Eine Vielzahl von Fragen stehen für die Verantwortlichen in Stiftungen im Raum. Sie alle kreisen im Kern zunächst um eine dahinterliegende Problematik: Ist Personalentwicklung in Stiftungen etwas grundlegend anderes als in anderen Organisationen – oder nicht? Eine Fragestellung, die ihrerseits nochmals dadurch verkompliziert wird, dass nicht jede Antwort, die für große Stiftungen richtig sein mag, auch für kleine oder mittlere passen muss.

Das dritte ThinkLab des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen hat sich wie dafür geschaffen erwiesen, nach adäquaten Antworten auf derart vertrackte Fragen zu suchen, Ideen für eine praktische Umsetzung zu entwickeln und neue Impulse zu setzen. Zehn Vertreterinnen und Vertreter von Stiftungen haben sich dem Setting des Denklabors in den vergangenen fünf Monaten ausgesetzt und dabei einen für alle Beteiligten ebenso spannenden wie kreativen Prozess durchlaufen.

Die Diskussionen im ThinkLab3 „Zukunftsorientierte Führung und Personalentwicklung“ waren von Beginn an durch eine mehrfache Spannung geprägt. Nicht nur galt es immer wieder zu klären, wo Stiftungsspezifika für eine Personalentwicklung Relevanz haben und wo nicht. Ebenso kontrovers stellte sich fortwährend die Frage, ob ein zeitgemäßer Umgang mit den Mitarbeitenden nicht ein grundsätzlich neues Denken erforderlich mache oder ob vielmehr erst einmal die instrumentellen Grundlagen für ein professionelles Personalmanagement geschaffen werden müssten. Unsicherheit herrschte auch darüber, ob man den Freiraum nutzen sollte, einen Blick in die Zukunft der Personalentwicklung zu werfen oder doch zunächst einmal die eigene Praxis zu reflektieren und unmittelbar daran anzuknüpfen. Dass das ThinkLab, gefangen in diesen Dilemmata, dennoch Ergebnisse entwickeln konnte, dürfte wesentlich seiner Zusammensetzung zu verdanken sein. Denn in diesem von allem Handlungsdruck entlasteten Denkraum trafen alle relevanten Perspektiven der Stiftungswelt zusammen: Vertreten waren die Sichtweisen von Stifterinnen und Stiftern, Vorständen, Geschäftsführungen, Führungskräften und Personalverantwortlichen ebenso wie die aller Stiftungstypen und -größen. Sie konnten sich herausfordern oder ergänzen und wurden zudem durch Impulse von außerhalb der Stiftungswelt angeregt.

Die Antworten, die sich dabei nach und nach herausgebildet haben, lassen sich auf zwei Ebenen beschreiben. Die dabei zugrundeliegenden Gedanken sind thesenhaft und verstehen sich als Einladung, neu und mit geschärftem Blick auf die eigene Organisation zu schauen.

Die Haltung zur Personalentwicklung ändern

Dies fängt bei der Führungsebene an. Richtig verstanden ist Personalentwicklung eine nicht delegierbare Führungsaufgabe. Dies bedeutet, dass sie nichts der Stiftungsarbeit Äußerliches ist. Sie lässt sich nicht wie andere Verwaltungsaufgaben, sei es die Vermögensverwaltung, die Steuer oder das Justiziariat, outsourcen und einfach als Dienstleistung einkaufen. Sie lässt sich somit auch nicht auf ein gehobenes Veranstaltungsmanagement verkürzen. Sie sollte erkennbar mit einem klaren Mandat und Auftrag der Führungsspitze ausgestattet und fester Bestandteil des Führungshandelns auf allen Ebenen sein. Erst dann kann eine Kultur der Personalentwicklung entstehen, die ein Klima erzeugt, in dem Entwicklung angeregt und gefördert wird.

Das fordert viele Führungskräfte nachvollziehbar nicht nur operativ, sondern insbesondere auch in ihrem Selbstverständnis heraus. Es bedeutet nämlich im Zweifel auch, zuzulassen, dass sich mit dem Personal die eigene Organisation (weiter-)entwickelt. Zudem werden Führungskräfte dem Spagat ausgesetzt, einerseits Freiräume und (Arbeits-)Zeit für die Entwicklung von einzelnen Mitarbeitenden oder Teams gewähren zu müssen. Andererseits dürfen sie Personalentwicklung nicht ins Zufällige oder Beliebige entgleiten lassen, sondern sollten sie im Sinne einer regelhaften Managementaufgabe auch entsprechend planen, steuern und überprüfen. Wer sich als moderne Führungskraft versteht, für den mag dies selbstverständlich klingen – und doch ist es keine Kleinigkeit. Denn anders als bei vielen anderen Führungsaufgaben läuft bei der Personalentwicklung nichts, wenn sich nicht auf Augenhöhe bewegt wird, wenn also die Ziele der Organisation sich nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Mitarbeitenden treffen und überschneiden. In diesem Sinne benötigt es spiegelbildlich eben auch eine entsprechende Haltung auf Seiten der Mitarbeitenden, namentlich die Bereitschaft, sich auf Neues, auf das sich selbst Infragestellen und die Widrigkeiten von (offenen) Entwicklungsprozessen einzulassen – zumal dann, wenn an deren Ende in den seltensten Fälle große Karrieresprünge oder finanzielle Zuwächse stehen oder die vermeintliche Stabilität eines Arbeitsplatzes in einem konservativen Milieu Beweglichkeit zu weichen verspricht. Genau darin sollten Führungskräfte dann wiederum ein sichtbares und glaubwürdiges Vorbild sein.

Personalentwicklung anstoßen und umsetzen

An gutwilligen Bekenntnissen zur Personalentwicklung hat es, in welchen Sektor man auch hineinhört, keinen Mangel. Das liegt vermutlich daran, dass sie umsonst zu haben sind. Soll es dann konkret werden, wird oft mit den Kosten argumentiert. Personalentwicklung sei teuer und man habe keine Budgets zur Verfügung. Das ist ein beliebtes, und – da entlastend – gern gepflegtes Missverständnis. Dem steht gegenüber, dass der ganz überwiegende Teil von Personalentwicklung sich auf der Basis von „Eh-da-Kosten“ abspielt. Es geht nicht in erster Linie darum, neue Führungsinstrumente einzuführen, zu reorganisieren oder von der Arbeit freizustellen. Die entscheidende Grundlage für eine gelingende, zielführende Personalentwicklung liegt vielmehr darin, wie geführt, wie organisiert und wie gearbeitet wird.

Auch in einer weiteren Hinsicht ist das Kostenargument nicht zutreffend: Schaut man sich die Kataloge von Maßnahmen und Instrumenten an, die zur Entwicklung von Personal eingesetzt werden können, wird schnell deutlich, dass mehr als 80 Prozent nicht mit direkten Kosten verbunden sind. Ob eine Mitarbeiterin durch anspruchsvollere Aufgaben herausgefordert wird, ob ein Mitarbeiter im Rahmen einer Rotation neue Perspektiven erproben darf, ob erfahrene Kolleginnen und Kollegen ihr Wissen und Können gezielt mit anderen teilen, ist keine Frage des Geldes. Personalentwicklung ist wesentlich mehr als Seminarbesuche und Coachingtermine. Und auch für die gilt: Die gerade im Finanzsektor kultivierte Haltung zur Personalentwicklung, je teurer Teilnahmeentgelte der Seminaranbieter oder Tagessätze der Beraterfirmen, desto besser, widerspricht der Erfahrung. Insoweit gäbe es zumindest bezüglich der Kostenargumente keinen Grund, nicht loszulegen.

Dass ein großer Teil der Stiftungen dennoch bei der systematischen Entwicklung ihres Personals laut eigener Einschätzung noch ganz am Anfang steht, hat eher damit zu tun, dass, wer sich in dieser Lage befindet, sich vor einer schier nicht zu bewältigenden Aufgabe sieht und folglich die sichere Option wählt, besser gar nicht erst anzufangen. Dass es anderen im Umfeld genauso geht, bestärkt die Zurückhaltung zusätzlich.

Um Bewegung in diese festgefahrene Situation zu bringen, bedarf es zweierlei: Zum einen sollte es denjenigen, die etwas für eine systematische Personalentwicklung tun wollen, möglichst leicht gemacht werden, einen Einstieg zu finden. Dies wäre möglich, wenn niedrigschwellige Angebote bereitstehen, die mit geringem Aufwand und schnell umzusetzen sind. Zum anderen sollte klar sein, dass sich insgesamt nur etwas bewegt, wenn organisationsübergreifende Initiativen unterstützend aktiv sind und sichtbar machen, dass sich etwas bewegt.

Ein Vorschlag …

Vor dem Hintergrund dieser Analysen und Diskussionen hat das ThinkLab3 einen Vorschlag erarbeitet, der sich an all diejenigen im Stiftungssektor richtet, die die beschriebene Haltung zu Personalentwicklung teilen und die durch eigenes Handeln ein sichtbares Zeichen zum Aufbau einer systematischen Personalentwicklung und damit zur Modernisierung des Stiftungssektors setzen wollen.

Das ThinkLab3 lädt alle, auf die dies zutrifft, ein, sich mit seinen Thesen zu zukunftsorientierter Führung und Personalentwicklung im Stiftungssektor auseinanderzusetzen. Darüber hinaus regen wir an, dass Stiftungen, die sich den Thesen anschließen können, dies öffentlich erklären und eigene Aktivitäten – organisationsinterne oder übergreifende – öffentlichkeitswirksam präsentieren (siehe Link rechte Spalte: Diskutieren Sie mit uns!).

In diesem Sinne hofft das ThinkLab3 einen Beitrag dazu zu leisten, dass langfristig das Vermögen von Stiftungen erhalten bleibt, gesellschaftlichen Mehrwert zu stiften. Auf mittlere Sicht möchte das ThinkLab mit seinem Impuls eine Debatte in den Stiftungen anstoßen, welche Rolle dabei Personalentwicklung spielen kann und wie diese zu verstehen ist. Diese Debatte werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ThinkLabs durch eigene Beiträge im kommenden Jahr fortsetzen und den öffentlichen Austausch über Erfahrungen und Erfolge in der Personalentwicklung weiterführen.

Autor

Mario Heller war von 2007 bis 2018 Leiter Personalentwicklung und Bildungswesen im Generalsekretariat des DRK e.V. Seit September 2018 leitet er das gemeinsame Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung von Universität und Hochschule Magdeburg.

Stiftungswelt Winter 2018

Der Artikel wurde in der Stiftungswelt Winter 2018 mit dem Schwerpunkt "Umbauen statt umfallen. Neue Wege für Stiftungen und ihr Personal" veröffentlicht.