Stiften von Anfang an

Blick hinter die Tapete
Stiftungsvermögen
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22.12.2020
Stiftungsvermögen
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Die ethisch-nachhaltige Geldanlage ist heute eine zweite Säule der ­Stiftungstätigkeit. Weit weniger im Fokus steht die Herkunft der Stiftungsmittel. Doch lässt sich die Frage, ob das Kapital einer Stiftung auf das Gemeinwohl schädigende Weise erwirtschaftet wurde, einfach ausblenden?

"Ein philanthropisches Handeln im Stiftungssektor könnte mit einem unternehmerischen Handeln beginnen, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht in erster Linie das Renditeinteresse."
Dr. Marcus Roggatz, WALA Stiftung

Seit dem Altertum ist die Unterstützung des Gemeinwesens durch Wohlhabende bekannt. Stiften – das war in seinen ersten Anfängen ein Schenken. Die frühesten Stiftungen vollzogen sich meist im Rahmen kirchlichen Lebens als Schenkungen von Reliquien und Kunstschätzen. Das Prinzip der Schenkung ist ursprünglich nicht nur materiell in Erscheinung getreten, sondern früher noch als geistiger Impuls in die Menschheit hinein: Wir sprechen von Religions-„Stiftern“ in dem berechtigten Verständnis dafür, dass auch Weisheit und spirituelle Wahrheiten den Menschen als Geschenk durch „erleuchtete“ Personen wie Zarathustra, Buddha oder Lao Tse gegeben wurden.

Diese vielfache Form des Beschenkens lebt auch im Handeln heutiger Stiftungen. Die Unterstützung karitativer, sozialer, kultureller oder medizinischer Aufgaben dient der Verbesserung der Lebensverhältnisse und der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft, sie rettet Kulturgüter und sogar menschliches Leben. Und das Stiften entwickelt sich weiter, in Form etwa von „Giving Circles“, Spendeninitiativen oder „For Profit Philanthrophy“ – den nächsten Formen des Gebens, wie es in der Winter-Ausgabe 2019 der Stiftungswelt hieß.

Bemerkenswert ist, dass diese unendlich vielen Formen wohltätiger und sinnvoller Stiftungsaktivitäten ihren Wert allein durch die – in aller Regel von Idealen getragene – segensreiche Verwendung der eingesetzten Gelder erhalten. Offensichtlich reichen die oft genug Not wendenden Stiftungsaktivitäten als Legitimation dafür aus, dass die dafür benötigten Mittel irgendwie erwirtschaftet werden.

Es ist noch nicht so lange her, dass Banken damit begonnen haben, ethisch-nachhaltige Fonds als zum Stiftungsgedanken passende Geldanlagen aufzulegen. Der Gedanke, dass die Ideale, die das Stiftungshandeln tragen und prägen, schon bei der Wahl der Vermögensverwaltung zum Ausdruck kommen sollten, war jedoch nicht seit jeher selbstverständlich. Der existenzielle Druck, eine Rendite erwirtschaften zu müssen, welche die Umsetzung der Stiftungsziele erst möglich macht, war und ist heute noch oft ausschlaggebend bei den Anlageentscheidungen. Engagierte Vorreiter im Bankensektor haben Wege zu einer dem Gemeinwohl verpflichteten Finanzwirtschaft geebnet und die ethische und umweltbewusste Geldanlage zu einer zweiten Säule der Stiftungstätigkeit gemacht.

Es ist nun naheliegend und vielleicht folgerichtig, nicht bei der Frage der Mittelverwendung und auch nicht bei der Suche nach einer verantwortungsvollen Geldanlage stehen zu bleiben, sondern das Erwirtschaften des benötigten Kapitals zu betrachten. Diese Frage berührt zweifellos einen Kern der Stiftungstätigkeit. Schließlich will das Stiftungswesen entscheidend zum Wohl der Gesellschaft und der Menschheit als Ganzes beitragen.

Stiftungen widmen sich den Fragen, Bedürfnissen und Nöten der Menschen, der Gesellschaft, der Natur, der Erde. Diese entstehen durch das Handeln von uns allen, auch durch wirtschaftliches Handeln. Die Verantwortung der Wirtschaft für die Zukunft unseres Planeten wird in den letzten Jahren immer drängender angemahnt. Bis vor nicht allzu langer Zeit galt es als selbstverständlich, dass für die überindividuellen Ziele und Ideale der Menschheit die Pädagogik, die Medizin, die Kultur, die Kirchen und andere soziale Einrichtungen, letztlich auch die Zivilgesellschaft, zuständig seien. Demgegenüber schien es ein ehernes Gesetz zu sein, dass unternehmerische Ziele durchaus von Eigennutz getrieben und nicht primär altruistisch sein dürften.

Ambivalenz zwischen Idealen und Handlungen

Dieses ist nicht erst in Zeiten drohender Klimakatastrophen in Frage zu stellen. Die Spaltung menschlichen Handelns in scheinbar sinnvollen Mittelerwerb einerseits und wohltätiges Helfen-Wollen andererseits wurde mir bei einem Podiumsgespräch auf einem einige Jahre zurückliegenden Stiftungstag überdeutlich. Der Vorsitzende der Shell Foundation schilderte stolz die segensreiche Tätigkeit seiner Stiftung, die über ein Milliardenvermögen verfügt. Auf meine Frage nach der Diskrepanz zwischen von ihm geförderten Umweltmaßnahmen und der Verseuchung des Nigerdeltas sowie der Zerstörung des Lebensraums der dortigen Bewohner durch die Ölförderung seiner Firma sagte er, für die Geschäftspolitik des Mutterkonzerns Shell nicht verantwortlich zu sein und diese nicht beeinflussen zu können.

Die Ambivalenz zwischen Idealen und Handlungen erleben wir täglich an uns selbst und wir wissen, dass wir uns diese nicht mehr leisten können. Auch und gerade wirtschaftliches Handeln bleibt von diesem Dilemma nicht ausgenommen. Wenn das Stiftungswesen sich nicht vorhalten lassen will, dass es Probleme löst mit Mitteln, deren Erwirtschaftung unter Umständen auch diese Probleme mitverursacht, dann sollten wir über die Frage, wie Stiftungsgelder erwirtschaftet werden, ernsthaft nachdenken.

Was also ist zu tun? Sollten ab sofort Gelder nichtnachhaltiger Unternehmen verbannt werden? Sicher nicht sofort, und zwar nicht aus Opportunismus, sondern weil ein unter diesen Prämissen gestaltetes Umsteuern im Stiftungshandeln ein Prozess ist, dessen Umsetzung Jahre benötigen wird. Nicht um Moralisieren kann es gehen, sondern darum, eine Diskussion anzuregen, an deren Ende ein Kapitel stehen könnte, um das die „Grundsätze guter Stiftungspraxis“ erweitert würden.

Ein philanthropisches Handeln im Stiftungssektor könnte dann mit einem unternehmerischen Handeln beginnen, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht in erster Linie das Renditeinteresse. Ja, die Erträge solchen Handelns würden möglicherweise geringer ausfallen – die Lasten für die Allgemeinheit allerdings auch, und wohl um ein Vielfaches geringer.

Wenn in Zukunft die Stiftungsmittel generiert werden nach den Kriterien, die heute der Einrichtung ethisch verantwortlicher Geldanlagen zugrunde liegen, dann wird gemeinnütziges Handeln und gemeinwohlorientiertes Wirtschaften sinnvoll verbunden. Wenn die Gesinnung des ehrbaren Kaufmanns, des verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns, die so viele unserer heutigen Stiftungen hat entstehen lassen und heute noch deren Tätigkeit ermöglicht, als Vorbild dienen wird, werden wir von einem „Stiften von Anfang an“ sprechen können.

Gemeinnützigkeit sollte in Zukunft mit der Frage beginnen, auf welche Weise Stiftungsgelder erwirtschaftet werden. In diesem Zusammenhang wird sich das Spektrum des Stiftens außerdem um einen Impuls erweitern können: um Unternehmen nämlich, die als Stiftungsunternehmen ihr wirtschaftliches Handeln dem Gemeinwohl verschreiben. Hier besteht der Gemeinnutz in einer Form des Wirtschaftens, welches sich in ethisch verantwortbarem Handeln bei Produktentwicklung, Ressourcen-Verbrauch, Sozialverhalten und Finanzgebaren äußert. Denn auch Wirtschaftsprozesse könnten dem Gemeinnützigkeits-Sektor zuzurechnen sein, wenn ihr Wirtschaften der Gemeinschaft dient und nicht die Renditeerwartung von Eignern bedienen muss. Und wird Gemeinnützigkeit nicht auch dadurch entstehen, dass Wirtschaftsunternehmen als Stiftungsunternehmen im „Verantwortungseigentum“ stehen und nicht mehr im Besitz von Personen oder Institutionen sind?  Wenn auch solche Ideale unserer Stiftungslandschaft bereichern, dann wird Stiftungshandeln von Beginn an, schon beim unternehmerischen Handeln, ein Geschenk an die Gesellschaft sein können.

Über den Autor

Dr. Marcus Roggatz ist Vorstandsmitglied der WALA Stiftung, die Trägerin der WALA Heilmittel GmbH und der Dr. ­Hauschka Kosmetik ist. Er lebt als niedergelassener Arzt im Raum Freiburg.

Magazin Stiftungswelt

Auf Kurs. Wie der Sektor durch Gesetzesreformen und gutes Stiftungshandeln Fahrt aufnehmen kann.

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