Stiftungen stehen für Ideen und Innovationen

Dr. Ellen Ueberschär
Unsere Demokratie
© Heinrich-Böll-Stiftung, CC-BY-SA 3.0
12.07.2019
Unsere Demokratie
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Wem nützt das dauernde Gerede von der Krise? Was können Stiftungen dagegen tun? Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, bezieht klare Kante für unsere Demokratie.

"Die liberale Demokratie ist nicht in Gefahr durch die Wenigen, die sie grundsätzlich in Frage stellen - die gab es (leider) schon immer. Die wahre Gefahr sind die Vielen, die Demokratie, Freiheit und Menschenrechte für garantiert halten."
Dr. Ellen Ueberschär

Wie stark ist unser demokratisches Fundament? Sind wir auch für die kommenden 70 Jahre gerüstet?
Dr. Ellen Ueberschär:
Das demokratische Fundament der Bundesrepublik Deutschland ist stabil. Das haben Krisen und Anspannungen über die Jahrzehnte der Geltung des Grundgesetzes bewiesen. Wenn auch die Deutsche Einheit 1990 eine Gelegenheit gewesen wäre, gemeinsam eine neue Verfassung zu erarbeiten, hat sich erwiesen, dass die Demokratie auch in den neuen Bundesländern auf der Basis des Grundgesetzes gelebt wird. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass das Grundgesetz immer deutlicher von einer legalen Grundlage zu einem Wertekanon für das demokratische Zusammenleben geworden ist.

Herausforderungen für die Demokratie ergeben sich dort, wo republikanische Institutionen in Zweifel gezogen werden, wo der Irrglaube verbreitet wird, politische Eliten würden das „wahre Volk“ nicht vertreten, wo einem rückwärtsgewandten Nationalismus das Wort geredet wird und wo Freiheit nur für einige wenige gelten soll, für Minderheiten und Andersdenkende aber nicht. Das widerspricht dem Geist des Grundgesetzes und der Demokratie. Die Antwort auf rechtsradikale Positionen und Aktionen ist und bleibt die wehrhafte Demokratie, während der Umgang mit Andersdenkenden eine konstruktive Streitkompetenz erfordert und von Kontroversität und Pluralität als Prinzipien der demokratischen Debatte ausgeht.

Die liberale Demokratie ist nicht in Gefahr durch die Wenigen, die sie grundsätzlich in Frage stellen - die gab es (leider) schon immer. Die wahre Gefahr sind die Vielen, die Demokratie, Freiheit und Menschenrechte für garantiert halten. Vielmehr müssen wir die liberale Demokratie wieder neu verteidigen und um jeden Einzelnen kämpfen: mit Leidenschaft, Haltung und den vielen guten Argumenten. Für die nächsten 70 Jahre braucht es stabile Institutionen und eine lebendige, starke Zivilgesellschaft. Beides zu befördern, darin liegt unsere Aufgabe für heute und die nächsten 70 Jahre.

Welche (neuen) Schwerpunkte setzen Sie als parteinahe Stiftung in den nächsten Jahren? Wo braucht es (auch) neue Ansätze um Antworten auf die aktuellen Fragen zu geben?
Dr. Ellen Ueberschär: Die Heinrich-Böll-Stiftung steht für eine Gesellschaft der Teilhabe, der Toleranz und der Vielfalt – das ist unser Markenzeichen. Deshalb entwickeln wir Konzepte für eine inklusive Gesellschaft, die die Teilhabe aller an Freiheit und Wohlstand - unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe - ermöglicht. Damit schaffen wir eine Vision für eine vielfältige Gesellschaft im Einwanderungsland Deutschland.

Aber eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der Offenheit muss erarbeitet und vor allem erlernt werden. Eines unserer erfolgreichen Bildungsprojekte ist das Planspiel „ZUSAMMEN - Spiel dich fit für Vielfalt“, das explizit für Berufsschüler/innen entwickelt wurde und aufzeigt, wie Zusammenleben in Vielfalt gelingen kann. Wie stellen wir gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer sich stärker ausdifferenzierenden Gesellschaft her? Darauf müssen wir Antworten finden, die über bloße Sonntagsreden hinausgehen.

Was sind ihre Wünsche, ihre Vorstellungen an den Stiftungssektor? Wo können und wo sollen sich Stiftungen stärker für unsere Demokratie engagieren?
Dr. Ellen Ueberschär: Stiftungen stehen für die Lebendigkeit und Vielfalt der Gesellschaft, für Ideen und gesellschaftliche Innovationen. Das sollte stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht werden. Dazu gehört auch, demokratische Grundhaltungen durchaus nach außen zu transportieren und klar Position zu beziehen.

Der anti-demokratische, rechtsautoritäre Diskurs lebt vom dauernden Gerede von der Krise. Diesem Krisendiskurs müssen Stiftungen entgegentreten, ihm die Legitimation entziehen und nicht selbst einstimmen, sondern vielmehr zukunftsfördernde Argumente stark machen. Ein Beispiel ist das Integrationsbarometer des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen: Es zeigt, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen, unabhängig von der Frage des eigenen Migrationshintergrundes, das Klima in der Einwanderungsgesellschaft positiv bewertet.
Zweitens, wir müssen uns dafür einsetzen, Infrastrukturen der demokratischen Teilhabe zu stärken. Denn nur eine Demokratie, die die Teilhabe aller ermöglicht, ist stabil. Die Glaubwürdigkeit der Demokratie in ganz Europa entscheidet sich an der Frage, ob es gelingt, Infrastrukturen der Teilhabe neu zu bauen oder zu stärken. Da geht es um öffentliche Verkehrsnetze, die funktionieren, um Brücken, die sicher sind, um Bildungseinrichtungen, die gut ausgestattet sind mit Personal und W-LAN, da geht es um öffentliche Räume und Plätze, an denen Menschen sich gern begegnen, da geht es um soziale Sicherungssysteme, die für alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zugänglich sind, da geht es um das Funktionieren des Rechtsstaates und eine handlungsfähige, bürgernahe Polizei. An der Güte und der Qualität freiheitlicher, sozial verantwortlich gestalteter Räume der Teilhabe wird sich entscheiden, wie loyal die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und in Europa zur Demokratie stehen und wie widerstandsfähig sie gegen den Krisendiskurs sind. Nicht reagieren, sondern agieren – darin liegt die Strategie für eine resiliente Demokratie.

Zur Person

Als Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung ist Dr. Ellen Ueberschär verantwortlich für die Inlandsarbeit der Stiftung sowie für Außen- und Sicherheitspolitik, Europa und Nordamerika. Außerdem betreut sie das Studienwerk, die "Grüne Akademie", einen ‚think tank‘ von Wissenschaftler/innen und Politiker/innen, sowie das Archiv "Grünes Gedächtnis", ein zeitgeschichtliches Archiv der Grünen und der neuen sozialen Bewegungen.

Über die Heinrich-Böll-Stiftung

Vorrangiger Gegenstand der Stiftung ist die politische Bildungsarbeit im In- und Ausland zur Förderung der demokratischen Willensbildung, des gesellschaftspolitischen Engagements und der Völkerverständigung. Darüber hinaus fördert sie Kunst und Kultur sowie Wissenschaft und Forschung und die Entwicklungszusammenarbeit. Dabei orientiert sie sich an den politischen Grundwerten Ökologie, Demokratie, Solidarität und Gewaltfreiheit. Sie arbeitet als föderale Bundesstiftung in rechtlicher Selbständigkeit und geistiger Offenheit.

www.boell.de

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