Philanthropen unter Palmen

Sandstrand mit Palme am blauen Meer
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18.02.2020
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Niedrige Kosten und ein Arbeitsplatz unter der Sonne: Sogenannte Digitalnomaden verdienen ihr Geld von ihren Laptops aus – und erfinden dabei das Arbeitsleben neu. Aber können sie auch geben?

„The 4-Hour Workweek: Escape 9–5, Live Anywhere and Join the New Rich”: So lautet der Titel eines Ratgebers des US-amerikanischen Unternehmers und Autors Timothy Ferriss, der über vier Jahre auf der Bestsellerliste der „New York Times“ stand und bis heute weit über zwei Millionen Mal verkauft wurde. Tenor des Buches: Heutzutage muss niemand mehr im Büro 40 Stunden pro Woche bis zur Rente schuften, stattdessen kann jeder mit einigen smarten Techniken (und Technologien) so arbeiten, wie er möchte – und das überall auf der Welt. Ferriss nennt das: „Lifestyle Design“.

Der Erfolg des Buches zeigt, dass der Autor einen Nerv getroffen hat – gerade in der Generation der „Digital Natives“. Reisen und arbeiten von unterwegs, dieser Lebensstil scheint attraktiv. Er klingt aber auch nach Entwurzelung und nach einer Flucht in digitale Welten, in denen reale Probleme weit weg sind. Und er klingt egozen­trisch – und damit nach dem genauen Gegenteil des Stiftungsgedankens. Die interessante Frage lautet daher: Können Digitalnomaden auch geben? Und finden sie durch ihren Lebensstil sogar zu völlig neuen Formen philanthropischen Engagements?

Die Suche nach Antworten beginnt natürlich online. Genauer gesagt, bei Facebook. Auch wenn das Netzwerk in den letzten Jahren oft totgesagt wurde, sind vor allem die Millionen geschlossener Gruppen quicklebendig. So auch die der Digitalnomaden: In Gruppen wie „Digital Nomads in Asia“ tauschen sich mehrere Tausend Mitglieder regelmäßig über den digitalen Lebensstil aus: Jobangebote, kostenlose Web-Seminare oder einfach süße Fotos vom Reisen mit dem Hund – erst einmal ist hier alles erlaubt.

Die digitale Arbeit kann ein Ausweg sein

Eine der Moderatorinnen der Gruppe ist Kari Javier. Sie kommt aus der philippinischen Hauptstadt Manila und ist Gründerin des Non-Profit-Start-ups Virtual Assistant Network Asia (VANA), mit dem sie sogenannte Virtuelle Assistenten, kurz VAs, unterstützt. VAs sind Menschen aus der ganzen Welt, die über das Internet als Assistenten für alle möglichen Unternehmen tätig sind. „Mit VANA möchten wir noch unerfahrene VAs aus Asien durch kostenlose Web-Seminare und durch die Community dabei unterstützen, sich zu vernetzen und Jobangebote zu finden“, so Javier. Als Plattformen nutzt sie vor allem die sozialen Medien wie Facebook und Instagram, wo sich mittlerweile eine digitale Gemeinschaft gebildet hat, die ähnlich denkt wie sie. Außerdem hat sie eine Webseite, auf der sie einen eigenen Blog betreibt.

Das Motto von VANA lautet #VirtuallyEmpowered, was sich in etwa mit „Mündigkeit durch Virtualität“ übersetzen lässt. Man versteht es erst, wenn man sich die Artikel in Javiers Blog ansieht. Die Arbeit ihrer VAs, die dank Internet von jedem Ort der Welt aus durchführbar ist, sieht sie als eine Möglichkeit, Eigenständigkeit zu erlangen, egal wo jemand herkommt. Das gilt gerade für Menschen aus Schwellen- oder Entwicklungsländern, für welche die Digitalisierung und Globalisierung der Arbeitswelt eine große Chance darstellt.

Zumindest für Javier war sie ein Ausweg: Sie kündigte ihren sicheren, aber monoton gewordenen Job in Manila und entschied sich für ein Leben als Digitalnomadin. Sich selbst bezeichnet sie als „Third World Nomad“. Ihre Erfahrungen will sie mit VANA nun weitergeben: „Ich möchte Menschen, die aus schwierigen Lebensverhältnissen, gerade auch aus Entwicklungsländern, kommen, dabei helfen, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Lifestyle Design? Oder schon Philanthropie?

Ist das schon Philanthropie?

Die Spurensuche nach der Philanthropie geht weiter. Diesmal in Vietnam, in der Küstenstadt Da Nang. Da Nang ist eine aufstrebende Stadt in der Mitte des Landes und wird in einigen Blogs als neuer Hotspot für Digitalnomaden in Südostasien gehandelt. Und tatsächlich gibt es hier das, was digitale Nomaden suchen und brauchen: niedrige Lebenshaltungskosten, ruhige Cafés, Coworking Spaces zum Arbeiten – und einen kilometerlangen weißen Sandstrand. Auch die Internetverbindung ist stark und günstig: Für drei Euro im Monat bekommt man ein Datenvolumen von vier Gigabyte – am Tag!

Hier lebt und arbeitet seit einem guten halben Jahr Manuel Brandt. Der 20-jährige Deutsche empfängt uns mit einem schiefen Grinsen und nach einem schnellen Frühstück an einem vietnamesischen Straßenimbiss gehen wir in sein Lieblingscafé, in dem er fast täglich arbeitet. Wir bestellen starken vietnamesischen Kaffee und er beginnt zu erzählen. Ursprünglich kommt Brandt aus dem niedersächsischen Twistringen, nach dem Abitur zog es ihn jedoch nach Südostasien, zunächst nach Kambodscha. Über eine Work-and-Travel-Plattform stieß er auf ein Projekt an einer Schule, an der er als Freiwilliger arbeitete. Der Deal: Gegen freie Kost und Logis unterrichtete er die Kinder in Englisch und Informatik. „Die Schule hatte ein Kambodschaner aufgebaut, der sich um alles ganz alleine kümmerte. Ihn wollte ich unterstützen“, erinnert sich Brandt. Deshalb kam ihm eine Idee: Er baute eine Spendenplattform auf, die genau solchen Projekten hilft – möglichst schnell, möglichst direkt.

70 Stunden Arbeit pro Woche

Dies war die Geburtsstunde von „Infinite Charity“. Von einem anderen Freiwilligen hatte Brandt in Kambodscha gelernt, mit der Software Wordpress umzugehen, mit der er sich kurzerhand eine passende Internetseite baute. Die Schule in Kambodscha wurde das erste Projekt. „Ich wollte keine reine Spendenplattform aufbauen, sondern eine Art Übersichtsseite über verschiedene Projekte, die dann jeder unterstützen kann“, erzählt Brandt. „Mit Geld oder auch als Freiwilliger, der unentgeltlich für die Projekte arbeitet.“

Auch Infinite Charity selbst soll von Freiwilligen getragen werden, wobei das Engagement wiederum digital geleistet werden kann. Jeder, der etwas Zeit übrig hat, kann von überall auf der Welt einen Beitrag leisten. Ein Freund aus Vietnam hat Brandt beim Webdesign geholfen, eine Engländerin, die mit ihm in Kambodscha arbeitete, schrieb Texte für den Blog, um die Projekte zu bewerben.

Das Leben in Da Nang finanziert Brandt wie viele Digitalnomaden als Freelancer im Online-Marketing. Durch die Gründung von Infinite Charity hat er sich die nötigen Fähigkeiten im Bereich Webseitenerstellung und -pflege angeeignet, sodass er vermehrt auch bezahlte Aufträge annehmen konnte. Heute sitzt er etwa 70 Stunden pro Woche vor dem Rechner. Das klingt zwar nicht nach 4-Stunden-Woche, doch er sagt dazu: „Ich möchte viel arbeiten, mir macht das Spaß.“ Gerade ist er dabei, sein erstes Unternehmen, eine Agentur für Online-Marketing, zu gründen. Auch das übrigens über das Internet: Seine Agentur wird in Estland gemeldet sein, dem derzeit einzigen Land, in dem sich über eine sogenannte „e-Residency“ online ein Unternehmen gründen lässt.

Da einerseits die Gründung und die Arbeit im Online-Marketing viel Zeit kosten und Brandt andererseits Probleme hat, genügend Freiwillige zu finden, die sich für Infinite Charity engagieren, ruht das Projekt derzeit. „Leider merke ich auch, dass viele Leute zwar sagen, sie möchten sich engagieren, letztendlich kommt dann aber nicht viel. Gerade wenn sich alles online abspielt – und das war ja die Idee –, ist die Unverbindlichkeit sehr hoch“, so Brandts Resümee.

Die Arbeit als Digitalnomade endet, wo das Analoge beginnt. Die Pflege im Altenheim oder die Arbeit mit behinderten Menschen braucht die körperliche Anwesenheit und die soziale Nähe. Dennoch wird der digitale Teil des ehrenamtlichen und eben auch des stifterischen Engagements unterschätzt. Auch wenn Digitalnomaden das Geben nicht neu erfinden, so zeigen die Beispiele von Kari Javier und Manuel Brandt, wie sich eine neue – und leider oft stiftungsferne – Generation durch digitale Technologien schneller und direkter für das Gemeinwohl engagiert. Die Motivation ist, anders als sich zunächst vermuten ließe, stifterischer Natur: Es ist der Wunsch, einen gesellschaftlichenMehrwert zu stiften.

Magazin Stiftungswelt

Stiften bleibt anders. Hier entsteht das neue Geben

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