Es wird heißer. Debatte über die gesellschaftliche Rolle von Stiftungen

Notre-Dame in Flammen
Next Philanthropy
© manhhai (CC BY 2.0)
28.02.2020
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In den USA ist eine Debatte über die Legitimität von Stiftungen entbrannt, die auch Europa erreicht. Doch wie berechtigt ist diese Kritik? Und wie wird sie in Deutschland wahrgenommen?

Wer im internationalen Kontext über Stiftungen liest – seien es Artikel im Wirtschaftsmagazin „Forbes“, Forschungsbeiträge, die in der bekannten Routledge-Reihe des gleichnamigen britischen Verlagshauses erschienen sind, oder Nachrichten auf Twitter –, stellt schnell fest, dass Philanthropie oft aus der Perspektive des US-amerikanischen Stiftungssektors beleuchtet wird. Das ist wenig verwunderlich, denn die weltweit größten und vermögendsten Stiftungen stammen aus den USA, darunter die Bill & Melinda Gates Foundation mit einem Vermögen von über 43 Milliarden US-Dollar, die Ford Foundation (11,7 Milliarden US-Dollar), die Lilly Endowment (10,1 Milliarden US-Dollar) oder die Open Society Foundations (3,3 Milliarden US-Dollar). Der US-amerikanische Stiftungssektor ist darüber hinaus gut organisiert und vernetzt. Ein Blick in die Liste der Superreichen vermittelt weitere Anhaltspunkte: Laut der 2019 erschienenen Studie der Beratungsfirma PWC und der Schweizer Bank UBS sind die USA mit 607 Milliardären die reichste Nation der Welt. 397 Milliardäre leben in Westeuropa – 114 davon in Deutschland.

Vor dem Hintergrund wachsender sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Polarisierung sind Stiftungen in den letzten Jahren verstärkt ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. In den USA ist eine Reihe von Büchern erschienen, die die Rolle von Stiftungen und vermögenden Eliten kritisch in den Blick nimmt. Private Stiftungen seien Ausdruck von Macht, beeinflussten Politik und öffentliche Meinungsbildung und gefährdeten demokratische Institutionen, so das gängige Urteil.

Winners Take All?

Einer dieser Kritiker ist Rob Reich. Der Professor für Politikwissenschaften, der an der Universität Stanford lehrt, veröffentlichte 2018 sein viel beachtetes Buch „Just Giving: Why Philanthropy is Failing Democracy and How it Can Do Better“. Darin befasst sich Reich, dessen Familie mütterlicherseits aus Deutschland stammt, mit der Rolle von Philanthropie in der heutigen amerikanischen Gesellschaft. Er stellt kritisch fest, dass Stiftungen kaum einen Beitrag zur Überwindung von Ungleichheit leisteten, größtenteils intransparent seien, eine Gefahr für die Demokratie darstellten – und bei all dem auch noch steuerliche Privilegien genössen. Dabei könnten Stiftungen eine wichtige gesellschaftliche Rolle bei der Förderung von Innovation und Wissenschaft spielen, so der Politologe.

Mit seiner Kritik an Stiftungen und wohlhabenden Spendern steht Reich nicht alleine. „Winners Take All: The Elite Charade of Changing the World“ des US-amerikanischen Journalisten Anand Giridharadas ist ein weiteres viel zitiertes Buch, in dem ein düsteres Bild der Philanthropie gezeichnet wird. Stiftungen würden den Erhalt des Status quo unterstützen, statt die bestehenden Machtstrukturen zu hinterfragen und Antworten auf die soziale Ungleichheit zu finden, so Giridharadas. Der Publizist bemängelt den zunehmenden Einfluss von Stiftungen auf politische Entscheidungsträger und Medien. Reiche Förderer und private Stiftungen würden komplexe soziale Probleme betriebswirtschaftlicher Logik unterwerfen und nach effizienten Lösungen sowie Win-win-Situationen suchen.

Ähnliche Tendenzen beobachtet auch Phil Buchanan, Geschäftsführer und Gründer des Center for Effective Philanthropy, der sich allerdings nicht als Kritiker der Philanthropie, sondern als ihr Verteidiger positioniert. In seinem 2019 erschienen Buch „Giving Done Right: Effective Philanthropy and Making Every Dollar Count“ rechtfertigt Buchanan die Existenz von Stiftungen, weil sie einen Beitrag zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen leisteten, den weder Wirtschaft noch Politik bieten könnten.

Nach den Flammen in Notre-Dame

Eine rege Diskussion über die Rolle von Stiftungen und vermögenden Personen kam im April 2019 auch in Europa auf. Nach dem verheerenden Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame erklärten sich viele Firmen und Privatpersonen bereit, den Wiederaufbau der weltberühmten Kirche finanziell zu unterstützen. In nur wenigen Tagen kam eine Milliarde Euro für die Restaurierung des geschichtsträchtigen Gebäudes zusammen. Dies rief Kritik an der Spendenkampagne auf den Plan – in Frankreich und weit über die Landesgrenzen hinaus. Kritiker warfen den Superreichen vor, sich für die Belange der Bedürftigen nicht zu interessieren. Im Gegensatz zu Notre-Dame müssten Hilfsprojekte um jeden Euro kämpfen, so die verbreitete Reaktion.

Eine ähnliche Debatte wurde auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos losgetreten, als der niederländische Historiker Rutger Bregman höhere Steuern für Superreiche forderte und die Rolle von Stiftungen und Philanthropie grundsätzlich infrage stellte. Das Video mit seinem Auftritt ging im Internet viral und sorgte für eine intensive mediale Resonanz.

Steigende Erwartungen der Gesellschaft

Was bedeutet diese Diskussion für den deutschen Stiftungssektor? Nehmen auch Stiftungen hierzulande kritische Stimmen wahr? Edith Wolf, geschäftsführende Vorständin der Stuttgarter Vector Stiftung, betont, dass die Ausein­andersetzung mit den Themen Macht, Transparenz und demokratische Legitimität von Stiftungen auch für Deutschland relevant und zugleich nichts Neues sei. Besonders verbreitet sei das Vorurteil, dass Stiftungen ein Steuersparmodell seien – ein Vorwurf, der „schlicht falsch“ sei, so Wolf. Denn: „Wer Steuern sparen und damit sein Vermögen mehren will, gründet keine Stiftung. Unternehmensverbundene Stiftungen wie die Vector Stiftung erhalten eine Dividende aus dem versteuerten Gewinn des Unternehmens. Das Unternehmen spart hierbei keine Steuern.“

„Stiftungen in Deutschland werden viel zu wenig kritisiert, etwa was die Themen Transparenz und Diversität angeht“, meinen hingegen Romy Krämer und Antonis Schwarz von der Guerilla Foundation. Diese Themen werden „in Wirtschaftskreisen viel intensiver diskutiert als im Stiftungssektor. Das sollte sich unserer Meinung nach ändern. Viel zu wenige Stiftungen machen öffentlich, was und wie gefördert wird, wer die Entscheidungen trifft und so weiter.“

Das findet auch Wolf: „Stiftungen sollten für mehr Transparenz sorgen. Transparenz schafft Vertrauen.“ Noch nie sei es so leicht gewesen, der Öffentlichkeit Informationen bereitzustellen, etwa einen Jahresbericht. „Stiftungen können mit wenig Aufwand dazu beitragen, dass wir keine Transparenz-Diskussion mehr führen müssen“, so Wolf.

Kritik an Stiftungen und privaten Geldgebern ist nicht neu. Neu sind die Intensität der Debatte und die steigenden Erwartungen der Gesellschaft an die Legitimität und Transparenz von Stiftungen. Helmut Anheier, Professor an der Universität Heidelberg und der Hertie School of Governance, betont die Bedeutung von Selbstverpflichtungen wie den Grundätzen guter Stiftungspraxis für den Sektor. Nur so habe das Stiftungswesen auch im 21. Jahrhundert eine Zukunft. „Statt die kritische Diskussion passiv zu verfolgen, sollten wir uns an der Debatte konstruktiv beteiligen und diskutieren, was Stiftungen in einer demokratischen Gesellschaft leisten können und was nicht“, so Anheier.

Über die Autorin

Dr. Hanna Stähle ist Referentin für strategische und internationale Projekte beim Bundesverband Deutscher Stiftungen sowie Project and Communications Manager beim Donors and Foundations Networks in Europe (DAFNE).

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