Naturschutz mit demokratischen Mitteln stärken

Kraniche am Wasser
Unsere Demokratie
© Ralf Donat
16.08.2019
Unsere Demokratie
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Wenn die Politik Fakten ignoriert, stehen der Zivilgesellschaft diverse Möglichkeiten zur Verfügung, um den Bürgerwillen durchzusetzen. Nirgendwo ist das nötiger als beim Erhalt der biologischen Vielfalt. Ein Appell.

Über 1,75 Millionen Menschen haben im Januar und Februar dieses Jahres das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in Bayern unterstützt. Das Ergebnis: Der Text des Referendums wird ohne Änderungen zum Gesetz werden. Die Bürgerinnen und Bürger hatten das Heft des Handelns in der Umweltschutzpolitik selbst in die Hand genommen.

"Die Gesellschaft wird immer politischer und polarisierter. Deshalb können Stiftungen nicht so tun, als sei ihre Arbeit apolitisch, denn sie wird als politisch wahrgenommen."
Michael Meyer-Resendeist Executive Director von Democracy Reporting International

Seit August 2018 streikt die schwedische Schülerin Greta Thunberg für den Klimaschutz. Etwas mehr als ein halbes Jahr später gehen am 15. März 2019 in 125 Staaten über eine Million Demonstrantinnen und Demonstranten beim Global Climate Strike For Future auf die Straße. Fridays for Future ist eine politische Bewegung geworden. Der Schülerstreik ist ein demokratisches Mittel, um Interessen durchzusetzten.

Menschenmassen sind eine Sprache, die die Politik versteht. Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) erkennt die Macht der Straße an und bezog in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ Stellung für die Demonstranten. Anderen gelingt dies nach wie vor nicht. Dieses Verhalten ist nur mit politökonomischen Interessen und Machtkonstellationen zu erklären.

Bewusstsein für globale Risiken steigt

Generationen von Naturschützerinnen und Naturschützern dürften die aktuellen Entwicklungen mit dem Stoßseufzer „Endlich!“ kommentieren. Jahrzehntelange Grundlagenforschung, Warnungen, Mahnungen, ehrenamtliches Engagement und immer wieder Rückschläge machen müde. Nun ist die Stunde derer gekommen, die akribisch Insekten zählen oder Vögel kartieren, die Kröten und Frösche von A nach B tragen oder Fledermauskästen kontrollieren.

Naturschutz ist nicht mehr das Schmuddelkind, der Verhinderer. Naturschutz ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Akzeptanz ist enorm, denn die Auswirkungen des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt werden im Alltag sichtbar. Die Erkenntnis, dass der Schutz der Natur auch der Schutz unserer Lebensgrundlagen ist, führt zu der Frage: Was tut die Politik dafür? Wenn Politiker und Behörden nicht handeln, stehen der Zivilgesellschaft verschiedene demokratische Mittel zur Verfügung, um den Bürgerwillen durchzusetzen.

Aus der Zivilgesellschaft heraus kann in einer Demokratie auf vielfältige Weise Druck ausgeübt werden. Das Instrument der Selbstverpflichtung kann bei der Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen maßgeblich helfen. Im Bereich Naturschutz kommt es dabei auf eine gute Vernetzung zwischen den Akteuren an. Im Grunde beschreibt dies eine Art von Lobbyismus für die Natur und damit für die Menschen. Und weil die Interessen nicht die Einzelner sind, sondern dem Gemeinwohl dienen, ist dieses Vorgehen demokratisch.

Lobbyismus für den Zwergtaucher

Die Heinz Sielmann Stiftung ist in Beiräten und Kuratorien mit Politik, Wirtschaft und Landnutzern vernetzt. In „Sielmanns Biotopverbund Bodensee“ wurde von Anfang an auf die Kommunikation zwischen den Akteuren gesetzt. In den letzten 15 Jahren wurden an 44 Standorten gemeinsam mit Städten und Gemeinden insgesamt 127 Biotopbausteine geschaffen. Das ist ein großer Erfolg für den Erhalt der biologischen Vielfalt in unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft.

Das Vogelmonitoring am Heinz-Sielmann-Weiher bei Billafingen im Landkreis Bodenseekreis zeigt die Wirkung des Engagements der Stiftung. Nach Einrichtung des fünf Hektar großen Weihers stieg die Anzahl beobachteter Vogelarten bis heute auf 173 an, darunter 13 neue Brutvögel.


Weitere Biotopverbünde folgen und werden nach dem gleichen Erfolgsrezept aufgebaut. Dazu gehören die Biotopverbünde Ravensburg und Nordostbayern. Eine interessante zivilgesellschaftliche Kooperation hat sich hier ergeben: Der Lebensmittelhändler Lidl unterstützt den iotopverbund und kooperiert gleichzeitig mit der Stiftung und 21 Landwirten aus der Region Schwandorf sowie mit der Privatmolkerei Bechtel. Immer im Blick: ein nachhaltiger Umgang mit unseren Ressourcen. Die Unternehmen stärken den Schutz der biologischen Vielfalt durch mehr Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Die Gemeinden reaktivieren Biotope nicht nur für Tiere und Pflanzen, sondern auch als Erholungsräume für Bürgerinnen und Bürger.

Systemische Veränderungen anstoßen

Diese Naturschutzprojekte und Kooperationen allein können die Welt nicht retten. Dazu braucht es klare und mutige Entscheidungen aus der Politik. Aber aus ihnen heraus entstehen Kräfte, die wiederum Änderungen in der politischen Landschaft anstoßen. Aus kleinen Bausteinen werden systemische Veränderungen.

Eine weitere Chance des gemeinsamen zivilgesellschaftlichen Engagements von Unternehmen und Stiftungen im Bereich Naturschutz ist die verfügbare Finanzkraft. Die Frage ist nicht mehr, ob uns der Schutz der Natur etwas kosten darf. Bundesregierung und Länder haben in der Vergangenheit nur ein Drittel des Geldes ausgegeben, das eigentlich nötig wäre, um das EU-Naturschutzrecht umzusetzen. Für das Monitoring von Brutvögeln gibt der Staat derzeit etwa 300.000 Euro im Jahr aus. Im Aktionsprogramm Insektenschutz stellt die Bundesregierung fünf Millionen Euro bereit, die allerdings dem Bundesprogramm Biologische Vielfalt abgezogen werden. Dem stehen EU-Subventionen für eine überwiegend umweltschädliche Agrarindustrie in Höhe von etwa 365 Milliarden Euro entgegen – eine Milliarde am Tag.

Naturschutz und Landwirtschaft Hand in Hand

Die Heinz Sielmann Stiftung setzt seit 25 Jahren erfolgreich Naturschutzprojekte gemeinsam mit Landnutzern um und ist überzeugt: Eine andere Landwirtschaft ist möglich. Kritik der Bauernverbände, dass „der Naturschutz“ das Feindbild Landwirt propagiere, muss zurückgewiesen werden. Nicht der einzelne Landwirt, die einzelne Landwirtin wird für den Verlust der Artenvielfalt pauschal verurteilt. Den Bürgerinnen und Bürgern darf unterstellt werden, dass sie komplexe Zusammenhänge verstehen. Dass Landwirte unsere Ernährungssicherheit gewährleisten und Kulturlandschaften erhalten, steht außer Frage. Feindbilder sind Pestizide und die industrielle Landwirtschaft, die weder Tierwohl noch Nachhaltigkeit kennt und am Ende schlicht gesundheitsgefährdend ist.

Im Kern aber verfolgen Landwirte und Naturschutz dieselben Ziele. Beide wollen etwas langfristig erhalten und für die nächsten Generationen, für die Zukunft arbeiten. Landwirte wollen gar nicht gegen die Natur wirtschaften. Sie haben ja begriffen, dass Natur unsere Existenz sichert. Eben diese Natur darf nicht die Kampfzone zwischen Bauernverbänden und Naturschutzorganisationen sein. Ein Zusammenschluss im Sinne des Gemeinwohls als Interessenvertretung der Bürgerinnen und Bürger ist überfällig.

Über den Autor

Michael Beier ist Vorstandsvorsitzender der Heinz Sielmann Stiftung.

© Thomas Gasparini

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Der Arbeitskreis Umwelt ist eine Plattform für Stiftungen, die sich für den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz stark machen.

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