"Stiftungen müssen einen unübersehbaren Beitrag zu den großen Fragen unserer Zeit leisten"

10.12.2021
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Bildung, Digitalisierung, Gesundheit, Klima, gesellschaftlicher Zusammenhalt: Stiftungen spielen eine wichtige Rolle in unserer Demokratie. In seiner Dankesrede ruft Stifterpreisträger Hans Schöpflin zu mehr Engagement von Stiftungen auf.

Hans Schöpflin, Stifterpreisträger 2020
© David Ausserhofer
Hans Schöpflin, Stifterpreisträger 2020

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Stiftungswelt und aus meinem Team,
liebe Förderpartner, liebe Freunde,

"I want to thank everybody for making this night necessary!" Dies ist ein Zitat von Yogi Berra, einer amerikanischen Baseball-Legende, dessen verdrehte Sprüche mich mit ihrem Witz und ihrer verborgenen Klugheit begeistern. Was ich mit dem Zitat sagen will: Danke an all diejenigen, die dazu beigetragen haben, dass ich heute hier stehe!

Dieser Dank geht natürlich zunächst einmal an diejenigen die entschieden haben, ausgerechnet mir diesen Preis zu verleihen: Liebe Vertreterinnen und Vertreter des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, ich danke Ihnen sehr für diese wirklich große Ehre, die Sie mir mit dem Deutschen Stifterpreis erweisen. Zum Zweiten geht ein besonderer Dank an mein Team der Schöpflin Stiftung, ohne das nichts von all dem möglich wäre, was Sie hier loben. Denn eine gelingende Stiftung ist keine Frage des Geldes, sondern der klugen und kreativen Menschen, die sie tragen. Mit einem solchen Dream-Team darf ich täglich zusammenarbeiten.

Ein weiterer Dank geht an alle Förderpartnerinnen und Förderpartner, von denen heute auch viele nach Frankfurt gekommen sind. Sie sind es, die aus unseren Zielen, Ideen und Träumen von einer besseren Zukunft erst Wirklichkeit werden lassen! Zwei unserer Förderpartner haben Sie gerade schon kennengelernt: Herzlichen Dank, lieber Philipp von der Wippel und liebe Henrike Schlottmann von ProjectTogether für Ihre Laudatio. Sie hat mich sehr berührt. Ihre Worte werden mir ein Ansporn sein, meine Stiftungsarbeit auch in Zukunft offen, mutig und risikofreudig voranzutreiben.

Offenbar müssen wir alle – sowohl das ganze Team der Schöpflin Stiftung als auch unsere Förderpartner – etwas richtig gemacht haben, sonst stünde ich wohl jetzt nicht hier. Aber trotzdem möchte ich heute weniger darüber sprechen, was wir bereits geleistet haben, sondern vielmehr über die Aufgaben, die noch vor uns liegen. Ich möchte heute über drei Themen sprechen, die mir gerade besonders am Herzen liegen: Bildung, Digitalisierung und die Frage, wie wir als Stiftungen noch mehr Wirkung entfalten können.

Wie Sie vielleicht wissen, ist die Schöpflin Stiftung sowohl fördernd als auch operativ tätig – und so haben wir in diesem Jahr selbst eine Schule gegründet. Die ersten 20 Kinder sind diesen September nach einem innovativen Bildungsmodell in Lörrach in ihre Zukunft gestartet. Was wollen wir ihnen vermitteln? Welches Lernumfeld wollen wir schaffen? Damit bin ich beim ersten Thema, um das es mir heute geht.

Die Frage, was wir jungen Menschen für ihr Leben mitgeben können, beschäftigt mich schon sehr lange. In den USA, wo ich fast vier Jahrzehnte gelebt habe, ist gerade sehr viel die Rede von den "6 Cs" als Lernkompetenzen für das 21. Jahrhundert. Begonnen hat es ursprünglich mit den "4 Cs", nämlich: Communication, Collaboration, Critical Thinking, Creativity. Seit neuestem sind zwei weitere "Cs" dazugekommen: Character und Citizenship.

Auf diese sechs kommt es an! Dieses Konzept betrachtet jedes Kind, jeden Menschen als autonomes Wesen mit individuellen Stärken und Fähigkeiten. Ich bin zutiefst überzeugt, dass junge Menschen in einer solchen Schule auf Augenhöhe – ja, gelebter Augenhöhe! – mit ihren Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern zu kritischen, empathischen, sozialen und kreativen Bürgerinnen und Bürgern heranwachsen. Genau das muss die Schule der Zukunft leisten, wenn wir unsere Demokratie lebendig halten wollen.

Nun werden Sie vielleicht sagen, das sei eine Utopie. Mag sein! Aber – wie es der Werkraum Schöpflin (unser Kultur- und Debattenort in Lörrach) in seiner aktuellen Veranstaltungsreihe formuliert: Welcome to Utopia! Zukunft entsteht im Kopf. Also, lassen Sie uns doch gemeinsam träumen! Denn: If you can dream it, you can do it. Eine bessere Welt ist möglich, solange wir die Kreativität und Offenheit bewahren, sie uns vorzustellen und den Mut und die sozialen Fähigkeiten, um sie umzusetzen.

Was wäre wohl aus mir geworden, wenn die "6 Cs" auch meine Schulzeit geprägt hätten? Hätte ich schon früher einen anderen Weg eingeschlagen? Lange Zeit stand für mich das Geldverdienen an erster Stelle. Erst die schwerste Zeit meines Lebens, als mein Sohn Axel an einer Überdosis Drogen starb, hat mich dazu gebracht innezuhalten und alles, wirklich alles auf den Prüfstand zu stellen. Meine tiefe Erkenntnis war, dass mit dem finanziellen Erfolg auch gesellschaftliche Verantwortung verbunden ist. Das hatte mir zuvor bereits mein hochverehrter Mentor Sol Price eingeschärft: Zum Nehmen gehört das Geben!

Und: It’s better to give with a warm hand than with a cold hand. Aber Spenden allein war mir nicht mehr genug. Ich wollte mehr tun, mehr erreichen. Ich gründete also zuerst die Panta Rhea Foundation in Kalifornien und ein paar Jahre später zusammen mit meinen Geschwistern Heidi und Albert die Schöpflin Stiftung in Lörrach.

Wir starteten unsere Stiftung mit der Villa Schöpflin – einem Zentrum für Suchtprävention, das bis heute Programme für junge Menschen auflegt – und da geht es schon lange nicht mehr nur um Alkohol, Nikotin oder Cannabis, sondern immer mehr um Nicht-Stoffliches wie Internet-basierte Sucht und den Umgang mit digitalen Medien. – Womit ich zum zweiten Thema für heute komme:

Wie halten Sie es eigentlich mit den digitalen Medien? Ja, jeder einzelne von uns? Wie häufig greifen Sie zum Smartphone? Wie viel Zeit verbringen wir mit Social Media: Facebook, Instagram, Twitter, TikTok? Oder mit Games und Dating-Apps? Wie viele Schritte hat Ihr Fitness-Tracker heute für Sie gezählt?

Warum tun wir das wohl alle? Diese "digitalen Schnuller" machen uns süchtig, weil wir es lieben, unsere eigene Performance zu messen, im Wettbewerb gegen uns selbst oder andere anzutreten, uns selbst zu optimieren. Wir genießen es, immer wieder kleine Belohnungen und positives Feedback zu bekommen. Die Glückshormone beherrschen uns! So bleiben wir dran – und die Digitalkonzerne freuen sich. Ihre Geschäftsidee funktioniert, macht Gewinn und erzeugt Internet basierte Sucht. Eine Sucht, die nicht mehr nur unsere Körper zerstört, sondern unsere Fähigkeit zu den "6 C": unsere Kommunikation miteinander, unsere Fähigkeit zur Kollaboration, unser kritisches Denken, unsere Kreativität, unseren Charakter. Diese Sucht gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt, d. h. unsere Citizenship.

Was können wir gegen die profitgesteuerte Macht der Digitalkonzerne und ihre negativen Effekte auf unsere Gesellschaft tun? Mein Vorschlag in diesem Fall: Fight fire with fire! Ich gebe zu: Meine Schrittzähler-App hat mich fest im Griff. Aber wissen Sie was: Umso besser! Sie hält mich und Millionen anderer Menschen fit. – Und was lehrt uns der Erfolg einer so simplen Erfindung wie der Fitness-App? Wir können die Digitalisierung nicht rückgängig machen, aber wir können sie ins Positive wenden. Also, warum nicht den Spieß umdrehen und das Potenzial des Digital Age für unsere Zwecke nutzen?

Wie wäre es z. B., wenn es uns gelänge, eine App zu entwickeln, die so »sticky« ist, dass sie uns individuell motiviert, mehr gegen den Klimawandel zu tun – eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit? Diese App darf uns nicht den freien Willen rauben, aber sie muss so starke Anreize schaffen, dass wir unser Verhalten gegen unsere eigene Bequemlichkeit verändern. Damit wir endlich CO2-neutraler leben.

Oder, anders gesagt: Lassen Sie uns das positive Potenzial von Algorithmen bewusst nutzen! Hier gibt es bereits viele gute Ansätze und Ideen, auch schon unterstützt von Stiftungen, aber es könnten noch so viel mehr sein! You fight fire with fire! Und zwar am besten gemeinsam. Wir alle gemeinsam – das ist mein drittes Thema. Noch ein Traum, wenn Sie so wollen:

Heute Abend sind hier in diesem Saal viele deutsche Stiftungen vertreten – was könnten wir zusammen wohl erreichen, wenn wir mehr gemeinsam auftreten, gemeinsam fördern und damit viel mehr Wirkung entfalten? Oder kritisch gefragt: Wo waren wir gemeinsam zum Höhepunkt der Coronakrise? Was machen wir gemeinsam zu den Herausforderungen, vor die das digitale Zeitalter unsere Kinder und Jugendlichen stellt? Was könnten wir erreichen, wenn wir gemeinsam Position beziehen würden – gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung, gegen Fake News, gegen Machtmissbrauch in Politik und Wirtschaft? Ich möchte es nicht beim Stiften belassen, ich will auch anstiften: Lassen Sie uns doch auch davon einmal gemeinsam träumen!

Auch hier sind ja schon Anfänge gemacht. Sicherlich kennen Sie die Initiative einiger Stiftungen #VertrauenMachtWirkung. Zusammen haben Stiftungen neun Thesen formuliert, wie Stiftungsarbeit zukunftsfähig werden kann, nämlich wenn wir diverser, kollaborativer und partizipativer arbeiten, wenn wir gut zuhören, statt zu viel selber zu reden – oder wie Yogi Berra sagte: "You can observe a lot by just watching." Oder in meinen Worten: You can hear a lot by just listening. Zuhören. Ja! Darauf kommt es an!

Mit der Initiative #VertrauenMachtWirkung streben wir an, unsere Arbeit, unsere Förderungen und unsere Methoden transparent zu machen, gemeinsam in Netzwerken aufzutreten, innovativ und mit Weitblick zu fördern und schließlich viel mehr als nur Geld zu geben. Auch eine moderne Fehlerkultur gehört dazu. Partnerschaft auf Augenhöhe mit den geförderten Organisationen.

Meine Vision ist es, dass wir alle gemeinsam – wir als Stiftungen in Deutschland – zu einer Aufbruchstimmung in Politik und Gesellschaft beitragen. Denn wir Stiftungen spielen ja eine wichtige Rolle in unserer Demokratie – und wir müssen einen unübersehbaren Beitrag zu den großen Fragen unserer Zeit leisten: Zur Bildung, zur Digitalisierung, zur Gesundheit, zum Klima, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kurz, zu der Frage: Wie wollen wir in Zukunft in dieser Welt leben?

"I have a dream", hat Martin Luther King in seiner unvergesslichen Rede vor langer Zeit gesagt. Lassen Sie uns gemeinsam träumen – und sorgen wir dafür, dass unsere Träume wahr werden. Wir haben die Mittel dazu.

Ich danke Ihnen.

© Dirk Enters

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