Heimat stiften

Unsere Demokratie
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09.04.2019
Unsere Demokratie
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Nach den Themen Demografie (2016), Bildung (2017) und Digitalisierung (2018) steht beim diesjährigen Deutschen StiftungsTag „Unsere Demokratie“ im Fokus. Welche Rolle das Thema Heimat – auch für Stiftungen – dabei spielt bzw. spielen sollte, dazu hat sich Dr. Wolf Schmidt, Stifter und Vorsitzender des Stiftungsrates der Mecklenburger AnStiftung, Gedanken gemacht. Ein Debattenbeitrag

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Wolf Schmidt

Vorausgegangen ist eine Studie des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen zu „Stiftungen und Demokratieförderung“, die Anfang 2018 erschienen ist. Die Autoren Theresa Ratajszczak und Jochen Suhnken verbinden darin normative Aussagen mit einer empirischen Erhebung.

Stiftungen und Demokratieförderung

In der Studie heißt es: „Demokratien brauchen Bürgerinnen und Bürger, die den normativen Anspruch der Volksherrschaft durch konkrete Teilhabe mit Leben erfüllen.“ Schaut man sich die empirischen Ergebnisse an, wie Stiftungen glauben, „demokratische Kultur“ und „tolerantes Miteinander“ zu fördern, dann steht mit weitem Abstand an der Spitze die „Förderung des bürgerschaftlichen Engagements“, gefolgt von „Arbeit für Toleranz, Vielfalt und gegen Diskriminierung“.

Beide Felder zeigen, wie schwierig es ist, Demokratieförderung operational zu fassen. Bürgerschaftliches Engagement ist ja keineswegs spezifisch für Demokratie. Sowohl die NS-Gesellschaft als auch der DDR-Sozialismus stützten sich in hohem Maße auf freiwilliges Engagement. Nun mag man einwenden, dem fehle das besondere Merkmal selbstbestimmter Eigensinnigkeit. Aber auch das löst sich nicht in reinem Schwarz-Weiß auf, sondern bedarf damals wie heute einiger Grautöne. Und was ist eigentlich mit einem bürgerschaftlichen Engagement, das von den in der Studie genannten, aber nicht definierten „un- oder gar antidemokratischen Sicht- und Verhaltensweisen“ geprägt ist?

„Vielfalt“ und Bekämpfung von „Diskriminierung“ sind Werte in westlichen Gesellschaften, die – in einer in den USA und Westeuropa unterschiedlichen Weise – noch kein halbes Jahrhundert Anerkennung genießen. Sie sind Elemente unserer politischen Kultur, aber nicht unbedingt konstitutiv für demokratische Staatsformen. Und sie sind nicht nur von rechts, sondern auch von links als liberale Identitätspolitik umstritten.

Wo Vertrauen ist, ist Heimat

Hier lohnt es sich, ein neues Buch von Henning von Vieregge zur Hand zu nehmen. Der Autor hat eine Karriere in der Kommunikationsbranche hinter sich, verfügt über einschlägige Erfahrungen als früherer Vorsitzender der Aktion Gemeinsinn und der Stiftung Mitarbeit, engagiert sich in der evangelischen Kirche und für die Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Unter dem Titel „Wo Vertrauen ist, ist Heimat – Auf dem Weg in eine engagierte Bürgergesellschaft“ (oekom 2018, 16 Euro) dekliniert er die verschiedensten Aspekte von Vertrauen, Engagement und Heimat durch.

Der gedankliche Ausgangspunkt ist bei von Vieregge offenbar derselbe wie beim Bundesverband: das politische Brodeln, das alle spüren. Aber als Kern fasst von Vieregge eben nicht Demokratie, sondern Heimat: „Die Gefahr wächst, dass der Sehnsuchtsort Heimat sich immer weiter aus der Gegenwart und nächsten Zukunft entfernt, uneinholbar, nurmehr Quelle von Resignation, Frust und Protest ist. Jede Veränderung wird zur Verunsicherung, alles Fremde zum Angriff auf den letzten verbliebenen Kern. Heimat wird zur Wagenburg, infrage gestellt von allen und allem. Dann ist auch nicht mehr Platz für Optimismus und Pragmatismus. Ein ‚Wir schaffen das‘ klingt wie Hohn und Spott auf das Gefühlte. Und zwar für beide, für Alteingesessene wie für die, die sesshaft werden wollen, die man aber nicht lässt.“ (Seite 178)

Von Vieregge will die „Quellen von Entheimatung“, der „tatsächlichen oder angenommenen“ aufspüren, die zu einer „Selbstradikalisierung“ führen (178f.). Entheimatung wird durch viele Prozesse der Globalisierung und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Dynamiken erzeugt. Einwanderung ist dabei ein wichtiger Aspekt: „Sowohl die Zugewanderten als auch die Abwehrer bringen eine Aggressionsspirale in Bewegung, die gefährlich werden kann, zumal die Wagenburgverteidiger mit ihren Reizparolen Gegenströmungen aktivieren, die für sich das Recht auf Gegengewalt in Anspruch nehmen (und umgekehrt). Aus Schlagworten werden Schlagstöcke. Die Kontrahenten meiden bewusst den offenen und demokratischen Diskurs.“ (Seite 114)

Bürgerengagement, Politik und Verwaltung, Demokratie, Identität („Wagenburg“) und „bekennende Wurzellose“, die Heimat, Nation und Vaterland „in einen Topf der Verdammnis“ werfen (Seite 180), werden in all ihren Berechtigungen und Verwerfungen diskutiert. Bezugspunkt ist letztlich Robert D. Putnam mit seiner Idee des Vertrauens und des sozialen Kapitals. Vertrauen wächst durch Gemeinschaft, und Gemeinschaft wächst durch Engagement. Der Ortsbezug von Heimat – das Vertraute aus der Vergangenheit, das Selbstsicherheit und Zukunftsvertrauen stützt – spielt dabei eine zentrale Rolle. Dafür gilt es die Balance zu schaffen zwischen Identitätsbewahrung einerseits und Offenheit für Neue und Neues andererseits. „Inklusive Gemeinschaften“ sind ein Schlüsselbegriff des Buches.

Das Bemerkenswerte an Henning von Vieregges Studie ist nicht die Formulierung wohlfeiler Rezepte – die wird man vergeblich suchen. Vielmehr entfaltet er ein Programm der selbstkritischen Hinterfragung, dass den vielen Stiftungen, die sich um Bürgerengagement kümmern, Impulse geben kann. Sein Buch schließt mit These Nummer 52: „Ohne die Unterstützung institutionalisierter Akteure der Zivilgesellschaft, namentlich der Kirchen, Sportverbände und Musikvereinigungen (alle drei besonders niederschwellig), aber auch Stiftungen, insbesondere Bürgerstiftungen, bleibt das Konzept einer Beheimatung in der offenen Gesellschaft chancenlos.“ (Seite 228)

Heimat – der (neue) Schlüsselbegriff für Stiftungen? 

Heimat scheint mir tatsächlich ein Schlüsselbegriff für das Stiftungswesen zu sein. Demokratie ist nach einem Bonmot Churchills die beste unter den schlechten Herrschaftsformen. Sie führt weder zu den sachlich besten noch ethisch unangreifbarsten Entscheidungen, sondern zu solchen, die mehrheitsfähig sind. Mehrheiten zu organisieren macht aus Politik nicht selten ein schmutziges Geschäft. Demokratie bedeutet nicht zuletzt die Zumutung, die Freiheit des Andersdenkenden zu wahren. Sie schafft Regeln der Debatte und Entscheidungsfindung, die uns vor Bürgerkrieg oder Diktatur bewahren.

Demokratie ist eine Sache der Vernunft – Heimat dagegen eine der Emotion. Heimatliche Gefühle entwickelt der Atheist für den Kirchturm, der Republikaner für das Schloss, die Vegetarierin für den Saumagen. Heimat schließt das Schrullige und Hässliche ein. Heimat ohne Selbstironie funktioniert deshalb nicht. Heimat motiviert Menschen zum Stiften und zum Engagement. Zu dem Begriffspaar Stiftung – Heimat verzeichnet Google über 14 Millionen Fundstellen. 

Demokratieförderung ist ein wichtiges Stiftungsanliegen, rund wird es erst durch Heimatförderung. Es lohnt sich, diesen Zusammenhang stärker in den Blick zu nehmen.

Anmerkung der Redaktion: Der Text ist zuerst auf dem Stiftungsblog von Dr. Wolf Schmidt erschienen: www.stiftungsblog.dr-wolf-schmidt.de

Zur Person

Dr. Wolf Schmidt ist Stifter und Vorsitzender des Stiftungsrates der Mecklenburger AnStiftung. Er stammt aus Wismar, das die Familie als Opfer der „Aktion Rose“ 1953 verlassen musste. In der Hamburger Körber-Stiftung hat er 27 Jahre lang – davon sieben Jahre als Vorstand – Projekte realisiert und Verantwortung für die Entwicklung einer der größten deutschen Stiftungen getragen. Der studierte Historiker war deutscher Vorstand in dem internationalen Geschichtsnetzwerk EUSTORY, das in 22 Nationen tätig ist. Zehn Jahre lang hat er mit seiner Stiftungspraxis PhiPolisConsult Stifter und Stiftungen im deutschsprachigen Raum beraten. Seit 2011 ist er Sprecher des Landesnetzes der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern. 

Die Mecklenburger AnStiftung ist eine gemeinnützige Stiftung, die zu Initiativen anstiften und dafür Menschen begeistern will. Es handelt sich um die Gründung eines Mecklenburgers für Mecklenburg. Dabei ist die Stiftung allerdings weder auf den Landesteil Mecklenburg noch das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern begrenzt. Sie setzt ein Mecklenburger Zeichen, das auch anderswo sichtbar und wirksam werden soll. Mecklenburger AnStifter wollen ihre Erfahrungen, Netzwerke und Ideen einbringen, um Themen und Vorhaben aus verschiedenen Bereichen zu gestalten.

 

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