Gemeinsam ins Europawahljahr 2019 - mit dem „European Philanthropy Manifesto“

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28.03.2019
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Hanna Surmatz, Foto: privat

Stellen Sie sich folgendes Gedankenexperiment vor: Sie arbeiten in Belgien und zahlen dort Ihre Steuern. Nun möchten Sie Ihrer ehemaligen Universität in Deutschland eine Spende überweisen.  Diese können Sie in Belgien nur dann steuerlich geltend machen, wenn Sie nachweisen, dass die deutsche Universität mit einer belgischen, für den Spendenabzug anerkannten Organisation vergleichbar ist.  

So verhält es sich mit allen grenzüberschreitenden Spenden innerhalb der EU. Für Stiftungen ist das ein Problem, denn sowohl das grenzüberschreitende Spenden, als auch das Investieren bei der Vermögensanlage zu „Gemeinnützigkeitskonditionen“ ist in der EU noch nicht zufriedenstellend geregelt. Zwar gilt offiziell die Kapitalverkehrsfreiheit und das Nicht-Diskriminierungsgebot auch für philanthropische Geldflüsse. In der Praxis sind die Regelungen jedoch unklar, kompliziert und mit vielen Kosten und Mühen verbunden. Eine Sitzverlegung ins Ausland? Eine grenzüberschreitende Zusammenlegung? Eine uneingeschränkte Anerkennung im EU-Ausland? Für Unternehmen ist all das kein Problem – für Stiftungen schon! 

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Max von Abendroth, Foto: privat

Deshalb haben sich DAFNE (Donors and Foundations Networks in Europe) und EFC (European Foundation Centre) in dem gemeinsamen Projekt „Philanthropy Advocacy“ zusammengetan, um bei den EU-Institutionen für einen Binnenmarkt für die europäische Philanthropie zu werben. 

Handlungsempfehlungen für einen Binnenmarkt für Philanthropie in Europa 

Am 20. März 2019 hat die europäische Stiftungswelt in einem Festakt im Philanthropy House in Brüssel den Vertretern der EU Institutionen das „European Philanthropy Manifesto“ vorgestellt. Dieses Manifest schlägt den politischen Entscheidungsträgern vier Handlungsempfehlungen vor: 

1. Philanthropie anerkennen und fördern  

Die Philanthropie und ihre Bedeutung für die Förderung der Zivilgesellschaft, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der europäischen Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssen in den EU-Verträgen besser verankert werden. 

Weiterhin sollen sich die entsprechenden EU Grundfreiheiten (wie z.B. die Kapitalverkehrsfreiheit) und die europäische Grundrechtscharta (insbesondere Vereinigungsfreiheit) klar auf Förderer/Stifter und Stiftungen beziehen, damit die institutionelle Philanthropie ihr volles Potenzial für unsere demokratische Gesellschaft entfalten kann. 

2. Grenzüberschreitende Philanthropie ermöglichen  

Im Mittelpunkt eines Binnenmarktes für Philanthropie steht die Anerkennung eines freien Kapitalflusses innerhalb Europas sowie eine vernünftigere Anwendung des Nichtdiskriminierungsprinzips zur Beseitigung administrativer Hindernisse und zur Erleichterung einer steuerwirksamen grenzüberschreitenden Philanthropie. 

Beschränkungen der Auslandsfinanzierung (foreign funding restrictions) sollen aufgehoben und ein Zugang zu Bank- und Finanzdienstleistungen sowie sicheren Kanälen für den Fluss von philanthropischen Geldern innerhalb und außerhalb der EU gewährleistet werden. 

Nationale Gesetze und die Politik auf EU-Ebene sollten die grenzüberschreitende Philanthropie fördern und in Einklang bringen mit den Grundrechten und -werten der EU sowie den Grundfreiheiten. 

Der Binnenmarkt für Philanthropie soll es weiterhin ermöglichen, Stiftungen innerhalb der EU als Rechtspersönlichkeiten anzuerkennen, sowie die Sitzverlegung ins EU Ausland und Zusammenlegung von Stiftungen zuzulassen.  

3. Philanthropie stärken und schützen  

Die europäische Philanthropie könnte bei verbesserten Rahmenbedingungen und Schutzmechanismen noch effektiver sein. Nationale und europäische Rechtsvorschriften sollten die Philanthropie stärken und in Einklang mit den EU Grundrechten und -werten und den Grundfreiheiten bringen.  

Die Europäische Kommission sollte weiterhin Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn gegen das EU-Recht und die damit verbundenen Rechte aus der Charta verstoßen wird.  

Die Vorschriften auf nationaler und EU-Ebene über Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Terrorismusbekämpfung müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den zu bewältigenden Risiken stehen und dürfen rechtmäßige gemeinnützige Vorhaben nicht übermäßig einschränken. 

Der Stiftungssektor muss weiterhin Zugang zu Finanzdienstleistungen haben, um sichere grenzüberschreitende Transfers zu tätigen.  

Wir fordern die europäischen und nationalen Politiker auf, eine gerechtere Mehrwertsteuerregelung für gemeinnützige Organisationen zu schaffen. 

4. Ko-Finanzierungs- und Investitionsprogramme zum Wohl der Allgemeinheit und der Zivilgesellschaft einführen  

Die EU könnte private Ressourcen zum Wohl der Allgemeinheit mobilisieren und verstärken, indem sie Ko-Finanzierungsprogramme entwickelt, an denen sich private Stiftungen beteiligen. Dabei sollten sie auf Risikogarantien für wirkungsorientierte Vermögensanlage zurückgreifen können.  

Des Weiteren fordern wir einen EU-Fonds für Gerechtigkeit, Rechte und Werte, um die unter Druck stehende europäische Zivilgesellschaft neben philanthropischem Engagement auch von öffentlicher Seite her zu stärken.  

Wir alle profitieren von einem Binnenmarkt für Philanthropie 

Im Europawahljahr 2019 scheinen diese Forderungen Gehör zu finden. Einige nationale Wahlprogramme reflektieren bereits einzelne dieser Punkte. Die Vorschläge aus dem Manifesto erhalten Eingang in die Briefings für die neuen EU-Kommissare, die ab Ende des Jahres ihre Arbeit in Brüssel aufnehmen. Und schließlich hat die Europäische Kommission im Dezember 2018 einen informellen Arbeitskreis „Philanthropie“ eingerichtet, der die Anliegen unseres Sektors systematisch bearbeitet. 

Damit sind die Weichen gestellt, um in der nächsten Legislaturperiode der EU den Ansatz des Binnenmarktes für Philanthropie politisch hoffähig zu machen und die einzelnen Bausteine peu à peu umzusetzen. Hierzu empfehlen wir auch einen Besuch auf unserer DAFNE/EFC Philanthropy Advocacy Internetseite: www.philanthropyadvocacy.eu

Wir laden Sie herzlich ein, dieses Vorhaben nach Kräften zu unterstützen. Am Ende werden wir alle von einem Binnenmarkt für Philanthropie in Europa profitieren!

Max von Abendroth & Hanna Surmatz

Über die Autoren

Hanna Surmatz
Enabling Environment Manager, EFC
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Max von Abendroth
DAFNE Executive Director
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