„Den Blick für Probleme nicht verlieren“

01.07.2019
Unsere Demokratie
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Die Freiburgerin Reinhild Dettmer-Finke ist Dokumentarfilmerin und hat vor vielen Jahren einen Film über Bürgerstiftungen produziert. Die Arbeit der Stifter hat sie seinerzeit dazu inspiriert, selbst aktiv zu werden. Im Jahr 2006 gründete sie schließlich gemeinsam mit anderen Engagierten die Freiburger Bürgerstiftung – denn auch im Schwarzwald-Idyll gibt es genug zu tun.  

Reinhild Dettmer-Finke, Mitgründerin und Stiftungsrätin der Freiburger Bürgerstiftung
© privat
Reinhild Dettmer-Finke, Mitgründerin und Stiftungsrätin der Freiburger Bürgerstiftung

Ihr erstes Projekt waren damals nach der Gründung der Stiftung die „Stadtfotografen“. Worum ging es bei diesem Projekt?
Wir haben Fotografie-Studenten aus anderen Städten zu uns eingeladen, damit sie über mehrere Wochen hinweg das Leben in Freiburg in Bildern festhalten. Die Themen haben wir vorgegeben. Im ersten Jahr ging es um „Wohnen in Freiburg“, zwei Jahre später ums Arbeiten und danach um die Jugend in Freiburg. Wichtig war uns, dass uns jemand zeigt, wie Freiburg auf Außenstehende wirkt und welche Sichtweisen und Probleme in unserem „Postkartenidyll“ vielleicht untergehen. Im Jahr 2016 haben wir das Projekt gemeinsam mit Flüchtlingen umgesetzt. Sie haben uns gezeigt, wie sie ihr neues Zuhause wahrnehmen und welche Gemeinsamkeiten es mit ihrer Heimat gibt. Das war sehr aufschlussreich für beide Seiten. Alle Stadtfotografen haben während ihrer Arbeit und durch die erfolgreichen Ausstellungen unsere Stiftung stadtweit bekannt gemacht. 

Was ist als nächstes geplant?
Wir wollen das Projekt nun etwas anders umsetzen und arbeiten dafür mit der Justizvollzugsanstalt in Freiburg zusammen. Die JVA liegt zwar mitten in der Stadt, ist aber für die meisten Freiburger ein „Blinder Fleck“, der häufig vergessen wird. Das gilt auch für die Menschen, die dort in der Regel Jahrzehnte ihres Lebens verbringen müssen oder dort arbeiten. Deswegen werden wir entlang der Gefängnismauern Fotos aufhängen, die Rückenansichten der Insassen zeigen. Mit einem Foto- und Informationsprojekt wollen wir diesen verdrängten Teil der Stadt für alle „sichtbar“ machen und eine Auseinandersetzung mit Strafvollzug, Resozialisierung und Wegen zurück in die Gesellschaft anregen. 

Haben Sie Tipps für andere Stiftungen in Deutschland?
Man kann nur bedingt von der eigenen Stadt und Stiftung auf andere schließen. Besonders wichtig ist aber die Vielfalt der Stiftungsmitglieder. Kommen alle Stifter aus einem Milieu, einem Stadtteil oder haben den gleichen Hintergrund, Bildungsgrad und so weiter, befinden sie sich schnell in einer Blase und werden blind für Probleme oder Baustellen der Stadt und Gesellschaft. Das sollte nicht passieren. 

Wie verhindern Sie bei der Freiburger Stiftung, in eine solche Blase abzutauchen?
Unser erster Ansatz war ja das Projekt Stadtfotografen, bei dem uns Außenstehende regelmäßig neue Wege aber auch Probleme in Freiburg aufgezeigt haben. Zum anderen versuchen wir, über unsere Projekte alle Mitglieder der Freiburger Gesellschaft zu erreichen. Unsere Projekte fußen darum auf zwei Säulen, die wir uns selbst gesetzt haben: Die eine ist die Förderung von Kindern und Jugendlichen, die zweite das soziale Miteinander. Bei dem Projekt „Münsterderby“ haben wir beide Ansätze kombiniert und Kinder gegen Erwachsene antreten lassen. Das Ziel war es, Spenden für die Sanierung des Münsters zu sammeln. Wir haben die Kinder dazu aufgerufen, so viele Bücher zu lesen, dass die Buchrücken zusammen gerechnet so hoch wie das Freiburger Münster sind – das sind immerhin 116 Meter. Dem Konto der erwachsenen Freiburger wurde pro gespendeter 100 Euro zehn Zentimeter gutgeschrieben. Auf Seiten der Kinder haben 66 Klassen mit mehr als 1300 Schülern fleißig gelesen und kamen insgesamt sogar auf 406 Meter, das ist das dreieinhalbfache des Münsters. Die Erwachsenen haben immerhin 26 Meter geschafft. Ein klarer Sieg für die Kinder! Über einen digitalen Zähler vor dem Münster konnten während des Derbys alle Freiburger sehen, wie es um das Projekt steht. Kinder und Erwachsene haben gemeinsam für einen guten Zweck gekämpft und ein tolles Ergebnis erzielt. Besser kann es für ein Projekt nicht laufen. 

Autorin

Jennifer Garic

Über die Freiburger Bürgerstiftung

Die Freiburger Bürgerstiftung will möglichst vielen Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen aus Freiburg und den angrenzenden Gemeinden eine Gelegenheit bieten, durch finanzielles Engagement als Stifter oder Spender, aber auch durch persönlichen Einsatz als Zeitstifter bürgerschaftliches Engagement zu zeigen, direkt zu helfen und Hilfe zur Selbsthilfe zu fördern.

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