„Bei allen Projekten geht es um Demokratie“

31.05.2019
Unsere Demokratie
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Was ist die Rolle von Stiftungen in der Demokratie? Wo und vor allem wie sollen sie sich ­engagieren? Hierüber und über das ­vielseitige Engagement der Schöpflin Stiftung sprachen wir mit dem ­Vorstandsvorsitzenden Hans Schöpflin und dem ­Geschäftsführenden Vorstand Tim Göbel

© Arno Dietsche
Hans Schöpflin, Vorstandsvorsitzender der Schöpflin Stiftung

Die Adresse, die die Pressesprecherin der Schöpflin Stiftung als Ort für das Interview nennt, ist ungewöhnlich und doch typisch Berlin: ein riesiges ehemaliges Industriegebäude im Stadtteil Rummelsburg im Osten der Hauptstadt, in dem sich die beiden Interviewer erst einmal gründlich verlaufen. Besorgte Anrufe, wo wir denn blieben. Per Handy lotst uns Tim Göbel dann durch endlose, kafkaesk anmutende Gänge ins Architektur­büro AFF auf der Rückseite des Gebäudes. In der Besprechungsecke des riesigen Großraumbüros warten unsere beiden Gesprächspartner auf uns. Sie haben bereits den ganzen Tag hier verbracht, um mit dem Chef von AFF über das jüngste Großprojekt der Stiftung zu sprechen: das Haus des gemeinnützigen Journalismus. Doch dazu später mehr.

 

Stiftungswelt: Herr Schöpflin, Demokratieförderung ist einer der Schwerpunkte Ihrer Stiftung. Woher kommt Ihr Interesse an dem Thema?
Hans Schöpflin: Das habe ich aus den USA mitgebracht, wo ich mit meiner Familie viele Jahre lang gelebt habe. Ich habe ja auch in Kalifornien eine Stiftung, die sich bereits Ende der 1990er-Jahre intensiv mit dem Thema Globalisierung auseinandergesetzt hat und mit der Frage, wie sich die Zivilgesellschaft gegen die Übermacht der großen Wirtschaftskonzerne behaupten kann. Da ging es ganz klar um Demokratie. Als ich dann 2013/14 zurück nach Deutschland kam, wurde gerade das Freihandelsabkommen TTIP verhandelt und in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert; auch bei uns in Lörrach fand eine Podiumsdiskussion dazu statt. Ich habe mir das alles angehört – und auf einmal wurde mir schlagartig klar: Hier geht es nicht um die Freihandelsfrage, hier geht es um Demokratie, um das Aushebeln demokratischer Prozesse durch Großkonzerne, die ihren Einfluss auf die Politik nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Tim Göbel: Eigentlich zieht sich das Thema Demokratie wie ein roter Faden durch unsere Stiftung. Bei unserem Programmbereich „Gemeinnütziger Journalismus“ ist es evident: Es braucht ein starkes Mediensystem als vierte Gewalt, um Demokratie zu stützen. Ähnlich deutlich ist der Bezug in unserem Bereich „Wirtschaft und Demokratie“, wo es darum geht, wie sich die Interessen der Unternehmen auf der einen und die der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite in ein gutes Gleichgewicht bringen lassen. Aber auch unsere beiden anderen Programmbereiche, „Schule und Entwicklung“ und „Flucht und Integration“ , sind klar unter dem Demokratieaspekt gewählt.

Inwiefern?
Göbel: Die Schule ist ja in der Regel die erste Institution, die Kinder bewusst erleben. Da geht es um die Frage, wie man zusammen lebt und arbeitet. Insofern hat Schule eine ganz wichtige Sozialisationsfunktion für ein demokratisches Gemeinwesen. Flucht und Integration wiederum sind die großen Themen unserer Zeit, an denen sich ablesen lässt, ob sich eine Gesellschaft in eine gute oder eine kritische Richtung entwickelt. Wir werden oft gefragt, wie unsere vier Programmbereiche inhaltlich zusammenhängen. Die Antwort lautet: Bei allen geht es um Demokratie.

Schöpflin: Oder anders gesagt: Es geht um die vier Ks – Kollaboration, Kommunikation, kritisches Denken und Kreativität. Die Grundfrage lautet: Wie können wir unsere Demokratie am Leben erhalten und junge Menschen, die ja heute ungemein vielen Einflüssen ausgesetzt sind, dazu bringen, sich kritisch und kreativ mit demokratischen Prozessen auseinanderzusetzen?

Göbel: Ein weiterer Aspekt, der all unseren Aktivitäten zugrunde liegt, ist der des Bottom-up. Dem Begriff der Demokratie, wenn man diesen wörtlich als „Herrschaft des Volkes“ übersetzt, wohnt er ja bereits inne. Sicherlich braucht es manchmal Top-down-Lösungen, etwa bei der Gesetzgebung. Grundsätzlich aber glauben wir an Lösungen, die von unten, also von uns allen, kommen.

Die Schule als sozialisierende Kraft, die Medien als vierte Gewalt der Demokratie. Welche Rolle können Ihrer Meinung nach Stiftungen in diesem Kontext spielen?
Göbel: Ich denke, sie sollten sich als eine Art Geburtshelfer für innovative Demokratieprojekte verstehen. So ist jedenfalls unser eigenes Selbstverständnis. Wir fördern ja oft in einer sehr frühen Phase. Das Social-Start-up Kiron etwa, das 2015 ein Online-Studienprogramm für geflüchtete Menschen entwickelt hat, haben wir von Beginn an unterstützt. Ähnlich ist es bei der „Bürgerbewegung Finanzwende“, die der ehemalige Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick Anfang des Jahres gegründet hat mit dem Ziel, das Bankensystem zu reformieren. Damit unterscheiden wir uns von vielen anderen Stiftungen, denen eine solch frühe Förderung zu riskant erscheint.

Interessant, dass Sie die „Bürgerbewegung Finanzwende“ unterstützen. Wie verträgt sich Herrn Schicks Kritik an unserem Finanzsystem mit Ihrem Geist als Investor, Herr Schöpflin?
Schöpflin:
 Die verträgt sich hervorragend mit meiner Weltsicht. Wenn Sie sehen, was in der Finanzkrise 2008 passiert ist – ich habe ja damals in den USA gelebt –, dann kann man Herrn Schick nur zustimmen. Wenn überhaupt irgendwo, dann muss Politik hier eine zentrale Rolle spielen. Die Banken brauchen eine Ordnungspolitik von oben nach unten. Den Sektor auf der Basis freiwilliger Selbstverpflichtung bändigen zu wollen, können Sie vergessen. Ich finde, es gibt Auswüchse, die müssen angegangen und auch belangt werden.

Zurück zu Ihrer Stiftung: Finden Sie die Bezeichnung „Geburtshelferin“, die Herr Göbel eben verwendet hat, treffend?
Schöpflin: Auf jeden Fall. Ein anderer Begriff, den wir oft benutzen, ist „Anschubfinanzierung“. Übrigens fördern wir nicht nur längerfristige Projekte wie etwa die „Bürgerbewegung Finanzwende“, sondern auch sehr kurzfristige – getreu dem Ausspruch des britischen Ökonomen John M. Keynes: „In the long run we are all dead.“ Bei den Europawahlen Ende Mai etwa müssen wir verdammt aufpassen, dass wir nicht den Rechtspopulisten das Feld überlassen, da ist schnelles Handeln geboten.

Göbel: Wir haben uns deshalb entschieden, die Initiative der Europa-Demonstrationen „Ein Europa für Alle“ zu unterstützen, die eine Woche vor den Wahlen mit Demonstrationen und Festivals in 15 europäischen Städten die Menschen zu mobilisieren versucht. Diese Initiative wird sicherlich viele Einzelspenden bekommen, aber uns war es wichtig zu zeigen, dass auch Stiftungen dabei sind.

Wie läuft bei Ihnen der Entscheidungsprozess, ­welche Initiative, welches Projekt gefördert wird?
Schöpflin:
 Im Vergleich zu anderen Stiftungen haben wir sehr kurze Entscheidungswege. Für den Entschluss, dass wir die Europademonstrationen unterstützen, haben wir keine Woche gebraucht. Das liegt vermutlich daran, dass ich ein Stifter mit der warmen Hand bin, nicht mit der kalten.

Also entscheiden Sie das meiste?
Schöpflin: 
Herr Göbel und ich entscheiden als Vorstand gemeinsam.

Göbel: Dazu muss man aber wissen, dass wir innerhalb der Stiftung und vor allem mit den Programmleitern eine intensive Debattenkultur führen. Ich glaube, sagen zu können, dass Herr Schöpflin und ich keine Entscheidung alleine treffen. Natürlich kommt es vor, dass wir eine andere Meinung zu einem Thema haben als unsere Programmleiter, und dann wird das noch mal in Frage gestellt oder auch abgelehnt. Bei uns kann man ja keine Anträge stellen im klassischen Sinne.

Sondern?
Göbel: Wir definieren potenzielle Wirkungsfelder, wie aktuell das zum gemeinnützigen Journalismus, und versuchen dann wirklich einzutauchen. Dabei spielen unsere Programmleiter eine enorm wichtige Rolle. Denn sie sind es, die im Feld unterwegs sind und innovative Ideen und spannende Projekte ausfindig machen – gewissermaßen wie „Trüffelschweine“.

Wie hat man sich dieses Eintauchen konkret vorzustellen?
Göbel: 
Wir lesen viel, reden mit vielen Leuten, besuchen Konferenzen, bauen über die Jahre Netzwerke auf – und irgendwann stoßen wir auf Menschen, von denen wir glauben, dass das passen könnte. Und dann steigen wir ein – über Gespräche, über die Analyse von Unterlagen, über Prüfprozesse. Vor allem aber wollen wir ein Gefühl dafür bekommen, wo diese Organisation hin will, welche Ziele sie sich gesetzt hat, ob dort Menschen tätig sind, denen wir vertrauen können und die Lust haben auf eine partnerschaftliche Beziehung. Dabei versuchen wir immer das eigentlich Unmögliche: auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten und die Macht-Asymmetrie, die über das Geld natürlich per se im Raum steht, so gut es geht zu minimieren.

Das klingt nach einem aufwendigen Prozess, der vielleicht sogar mehr Zeit kostet als die Bearbeitung klassischer Förderanträge.
Göbel:
 Wenn ich höre, wie viele Anträge andere Stiftungen tagtäglich bekommen, bin ich mir da nicht so sicher. Zudem entwickelt sich ja über diesen Anbahnungsprozess bereits eine Beziehung, die für den Fall, dass es zu einer Förderung kommt, in die Zukunft wirkt. Wir starten also ganz anders als jemand, der am Schreibtisch einen Projektantrag bewilligt hat und dann erst den Menschen hinter diesem Antrag kennenlernt. Zudem wollen wir bewusst weg von der Projektfinanzierung, die typisch ist für die deutsche Stiftungsszene. Die Stiftung von Herrn Schöpflin in Kalifornien etwa fördert Organisationen teilweise zehn oder 15 Jahre lang.

Schöpflin: Das ist meiner Erfahrung als Wagniskapitalgeber geschuldet. Wenn etwas gut läuft, dann verabschiede ich mich als Venture Capitalist ja nicht, sondern lege noch eins drauf. Dass sich die meisten deutschen Stiftungen nach spätestens drei Jahren aus der Projektförderung zurückziehen, halte ich für alles andere als nachhaltig.

© Arno Dietsche
Tim Göbel, Geschäftsführender Vorstand der Schöpflin Stiftung

Abgesehen von der Förderdauer: Worin sehen Sie die größten Unterschiede zwischen der deutschen Stiftungsszene einerseits und der US-amerikanischen andererseits?
Schöpflin: In den USA ist die Ausgangslage eine ganz andere als hierzulande. Viele US-amerikanische Stiftungen gibt es seit Jahrzehnten, sie sind institutionalisiert und haben eine wirklich progressiv-liberale Agenda. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass diesen Stiftungen altes institutionalisiertes Geld zur Verfügung steht, das die zumeist sehr progressiven Geschäftsführenden Vorstände dann in gesellschaftspolitisch wichtige Bereiche einbringen.

Es gibt in den USA aber ja auch das andere Extrem, nämlich äußerst konservative Stiftungen.
Schöpflin: Richtig, die Polarisierung ist in den USA viel größer. Hier hält man sich mehr in der Mitte oder schweigt sich aus.

Ist das so? In jüngster Zeit treten auch in Europa mehr und mehr Stiftungen in Erscheinung, die am rechten Rand agieren – ein Phänomen, das es in dieser Form zuvor nicht gegeben hat.
Schöpflin: In den letzten Jahren hat sich das natürlich sehr radikalisiert. Ich meine aber, eine gute Demokratie muss das aushalten können. Grundsätzlich gesehen gibt es in US-amerikanischen Stiftungen jedenfalls viel mehr Bereitschaft, sich politisch zu positionieren. Mein Eindruck ist, dass sich deutsche Stiftungen gern verstecken und keine Farbe bekennen. Ich habe meine Zweifel, ob das richtig ist.

Warum?
Schöpflin: Weil man als Stiftung eine Verantwortung hat. Aber da scheint es eine vielschichtige Angst zu geben, über die man sicherlich länger diskutieren könnte. Eine Angst, die unsere Stiftung jedenfalls nicht hat. Wir sind farbenblind, uns ist die politische Ausrichtung unserer Förderpartner vollkommen egal – vom rechten Rand natürlich abgesehen. Uns geht es um die Sache und nicht um das Dogma einer vermeintlichen Überparteilichkeit.

Göbel: In diese Frage spielt ja auch die immer wieder geführte Debatte hinein, welche Legitimation Stiftungen eigentlich haben. Wir würden uns hier mehr Ehrlichkeit wünschen. Natürlich haben Stiftungen bestimmte Interessen, natürlich versuchen sie, Einfluss zu nehmen – und natürlich sind sie, anders als unsere Volksvertreter, nicht gewählt. Aber auch die Medien, die ja als vierte Gewalt der Demokratie gelten, wurden nicht gewählt. Das zu reflektieren und die eigenen Ziele transparent zu machen, wäre sicherlich hilfreich. Das ist das eine. Das andere ist, dass sehr viele Stiftungen das Thema Demokratie über entsprechende Studien fördern …

Schöpflin: … über die Schublade …

Göbel: Ja, so lässt es sich etwas überspitzt auch ausdrücken. Jedenfalls würden wir uns wünschen, dass mehr Stiftungen Dinge einfach ausprobieren, sich an reale Gesellschaftsexperimente wagen. Nehmen Sie das Thema direkte Demokratie: Natürlich können Sie dazu stapelweise Bücher lesen. Aber machen Sie doch einfach mal! Wenn man etwas versucht hat, lässt sich danach viel besser darüber reden.

Dieser Ansatz impliziert vermutlich aber auch, dass Sie mitunter Projekte und Initiativen fördern, die dann auch mal scheitern?
Göbel: Zum Scheitern sagen am besten Sie etwas, Herr Schöpflin.

Schöpflin: (lacht) Gern. Als Unternehmer habe ich meinen Mitarbeitern immer gesagt: Ihr dürft Fehler machen. Wenn ihr keine Fehler macht, sind wir eine Art Versicherungsgesellschaft, aber verdienen werden wir dann nichts. Diese Haltung lässt sich auf die Philanthropie übertragen. Natürlich birgt das ein gewisses Risiko. Aber wir können dieses Risiko minimieren, indem wir sehr früh beratend mit einsteigen. Wenn wir uns für eine Förderung entscheiden, dann warten wir nicht, bis uns nach sechs Monaten oder einem Jahr ein schriftlicher Bericht vorgelegt wird. Unsere Programmleute sind mindestens alle sechs bis acht Wochen vor Ort. Sie sitzen nicht bei uns im Büro, nein, sie gehen zu dem Förderpartner hin und unterhalten sich mit ihm. Das heißt, wir sind sehr nah dran. Und dadurch können wir einiges abfedern, was vielleicht schiefgehen könnte.

Stellt sich da aber nicht wieder die Machtfrage? Wenn Sie als Geldgeber so nah dran sind an den Förderpartnern, wie sorgen Sie dafür, dass sich diese nicht von Ihnen bevormundet fühlen?
Schöpflin: Das ist eine gute Frage, die dürfen Sie nun beantworten, Herr Göbel. (lacht)

Göbel: Ich glaube, im Kern geht es um die Art, wie Sie das machen. Das fängt bei ganz kleinen Dingen an. Zum Beispiel bei der Frage, wer die Ziele definiert: Werden sie von der Stiftung festgelegt oder vom Förderpartner? Und wie werden bestimmte Erwartungen an diesen kommuniziert? Da geht es ganz viel um Fingerspitzengefühl.

Ihre Stiftung fördert unter anderem das Zentrum für politische Schönheit, das mit aufsehenerregenden Aktionen, wie jüngst dem Nachbau von Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals vor dem Wohnhaus von AfD-Politiker Björn Höcke, immer wieder für kontroverse Diskussionen sorgt. Wenn Sie so nah dran sind an Ihren Förderpartnern: Sind Sie dann über solche Aktionen vorab informiert?
Göbel: Nein, wir werden davon genauso überrascht wie Sie. Gerade das Zentrum für politische Schönheit würde jegliche Einmischung unsererseits schon aus seinem künstlerischen Selbstverständnis heraus ablehnen. Aber ganz grundsätzlich gilt: Sobald der Verdacht entstünde, dass wir in die Themen unserer Förderpartner hineinreden, wäre sowohl deren als auch unsere Glaubwürdigkeit zutiefst beschädigt.

Lassen Sie uns über das Konzept des gemeinnützigen Journalismus reden, dem Sie einen ganzen Programmbereich gewidmet haben. Was ist das eigentlich: gemeinnütziger Journalismus?
Göbel: Das versuchen wir gerade selbst im Rahmen einer Studie vertieft herauszufinden, die dieses Feld noch einmal analysiert, also eine gewisse Begriffsklärung betreibt und eine Art Kartografie versucht. Grundsätzlich ist damit gemeint, dass es neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den privatwirtschaftlichen Verlagen so etwas wie eine dritte Säule – oder eher ein Säulchen – gibt: Akteure, die steuerrechtlich gesehen gemeinnützig sind, also weder öffentlich-rechtlich grundfinanziert noch gewinnorientiert.

Und dieses Säulchen wollen Sie stärken?
Göbel: Ja, und zwar sowohl strukturell als auch inhaltlich. Was das Strukturelle angeht, denke ich an mitglieder- oder stiftungsfinanzierten Journalismus und an Hybride.

Und inhaltlich?
Göbel: Da ist es unser Ziel, bestimmte Nischen des Journalismus wiederzubeleben.

An welche Nischen denken Sie?
Göbel: Vor allem an den investigativen und den konstruktiven Journalismus und an journalistische Cross-Border-Projekte, wie es sie etwa bei den Panama Papers gab. Natürlich gibt es diese drei Spielarten des Journalismus auch in manchen Formaten der beiden anderen Säulen. Aber um sie aus ihrem Nischendasein herauszuholen, bedarf es unserer Meinung nach neuer Energie und zusätzlicher Akteure.

Was Sie als Stärkung des Journalismus sehen, dürfte von den bisherigen Platzhirschen des Qualitätsjournalismus nicht ganz zu Unrecht als Konkurrenz wahrgenommen werden. Wäre es nicht einfacher und fairer, bestehende Qualitätsmedien, deren Geschäftsmodell aufgrund der Digitalisierung zunehmend ins Wanken gerät, zu unterstützen, anstatt ein ganz neues Feld aufzumachen?
Göbel: Ich glaube, es braucht beides und das wird ja auch gemacht – in Form von Recherche-Stipendien etwa, die der „Spiegel“-Reporter genauso bekommt wie der von der „Süddeutschen“. Mit solchen Stipendien hilft man auch den Verlagen. Und viele unserer journalistischen Förderpartner, sei es Correctiv oder Investigate Europe oder RiffReporter, haben Kooperationen mit den klassischen Akteuren und publizieren in den traditionellen Medien.

Sie fördern nicht nur gemeinnützige Recherchebüros – derzeit lassen Sie ein ganzes Haus des gemeinnützigen Journalismus errichten, und zwar auf einem ehemaligen Friedhofsgelände in Berlin-Neukölln. Was hat es mit diesem Haus auf sich?
Göbel: Die Grundidee zu dem Haus kam von Correctiv-Gründer David Schraven, der feststellte, dass es zu wenig Orte des Austauschs für die Akteure untereinander gibt. Und weil wir von vielen unserer Berliner Förderpartner wissen, dass sie aufgrund der laufend steigenden Mieten dauernd umziehen müssen, sind wir irgendwann auf die Idee gekommen, dass die Förderung durch unsere Stiftung ja auch eine Art Kollektivförderung sein könnte, indem wir eine Infrastruktur als Kollaborationsangebot schaffen.

Schöpflin: Dabei geht es uns nicht darum, ein neues Medium zu schaffen, sondern einen Ort für Kollaboration. Die einzelnen Medien oder Publikationsorgane, die in dem Haus sitzen werden, werden in der Selbstständigkeit weiterarbeiten. Aber es könnte natürlich sein, dass zwei von ihnen sagen, wir machen ein Projekt zusammen.

Und die Geschichten, die aus solchen Projekten entstehen, werden dann wieder in den klassischen Medien erzählt?
Schöpflin:
 Da wird sich so viel ändern, allein durch die digitalen Entwicklungen. Wer weiß, was in drei oder fünf Jahren sein wird. Klar ist, dass wir eine technologische Infrastruktur auf die Beine stellen wollen, die nicht nur den Organisationen in dem Haus zur Verfügung stehen soll, sondern auch externen Gruppen, die vielleicht gerade einen Ort brauchen, wo sie zum Beispiel ein Video drehen können. Wir sehen das Haus mehr als eine Plattform.

Wann soll es eröffnet werden?
Göbel: Eine finale Zeitplanung werden wir nicht nennen, da man sich damit gerade in Berlin nur in die Nesseln setzt. Aber wir können sagen, dass wir mitten im Entwicklungsprozess sind, sowohl konzeptionell-inhaltlich als auch architektonisch.

Schöpflin: Wenn es uns gelingt, das Haus Ende 2022, Anfang 2023 zu eröffnen, dann haben wir gute Arbeit geleistet.

Von den Visionen für die Zukunft zurück ins Stiftungsgeschäft von heute. Seit drei Jahren sind Sie, Herr Göbel, Geschäftsführender Vorstand. Wie funktioniert die Aufgabenteilung zwischen Ihnen und Herrn Schöpflin?
Schöpflin: Eine gute Frage, die wollte ich auch immer schon mal stellen. (lacht)

Göbel: Auf der einen Seite haben wir natürlich relativ klassisch Aufgaben verteilt. Ich leite die Stiftung operativ und verantworte die Teams. Die Strategie hingegen machen wir gemeinsam, dazu sind wir in einem andauernden intensiven Gespräch.

Und wenn es dabei zu unterschiedlichen Auffassungen kommt?
Schöpflin: Dann wird das ausdiskutiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwann einmal gesagt habe, also Herr Göbel, mir ist ganz egal, was Sie empfehlen, machen Sie, was ich sage.

Göbel: Nein, das hat es noch nie gegeben. Es geht darum, den jeweils anderen mit Argumenten zu überzeugen. Das gilt auch für den erweiterten Kreis. Am Ende zählt das beste Argument, nicht die Hierarchie.

Schöpflin: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Vor Kurzem hat uns einer unserer Programmleiter ein Projekt vorgestellt. Ein tolles Projekt, aber nachdem ich die Leute dahinter kennengelernt hatte, hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache. Wir haben das dann diskutiert und uns schließlich gegen eine Förderung entschieden. Was ich damit sagen will: Letztlich sind es die Menschen, auf die es ankommt. Sie können die beste Idee haben, aber wenn die Leute, die sie umsetzen sollen, nicht hundertprozentig passen, dann ist die beste Idee nichts. Lieber die zweitbeste Idee, aber mit einem hervorragenden Team. Da spreche ich aus 30 Jahren Erfahrung.

Über die Gesprächspartner

Aus der südbadischen Unternehmerfamilie Schöpflin stammend, wuchs Hans Schöpflin mit dem Versandhandel auf. In Amerika machte er sich Anfang der 1980er-Jahre als Risikokapitalgeber selbstständig. 2001 gründete er in Kalifornien die Panta Rhea Foundation und kurz danach gemeinsam mit seinen zwei Geschwistern die Schöpflin Stiftung in Lörrach.

Tim Göbel, Jahrgang 1978, ist geschäftsführender Vorstand der Schöpflin Stiftung. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und war im Gründungsteam am Aufbau der privaten Zeppelin Universität in Friedrichshafen beteiligt, von 2008 bis 2016 als deren Vizepräsident.

Am 15. November 2019 hat der Bürgerrat 22 Empfehlungen vorgestellt, wie unsere Demokratie gestärkt werden kann. Bei der Übergabe forderte Hans Schöpflin in seinem Grußwort die Politik auf, Bürgebeteiligung ernst zu nehmen.
Zum Grußwort

Über die Schöpflin Stiftung

Die Schöpflin Stiftung mit Sitz im badischen Lörrach engagiert sich für ein selbstbestimmtes Leben der jungen und kommenden Generationen. Durch soziales Risikokapital werden Experimente ermöglicht und deren zivilgesellschaftliche Verbreitung gestärkt. Dabei setzt sich die Stiftung ein für kritische Bewusstseinsbildung, eine lebendige Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft – in Lörrach und europaweit.

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