Kinder ins digitale Zeitalter bringen

Schüler der SOS Kinderdörfer
Globales Engagement
© SOS Children’s Villages International
14.05.2018
Globales Engagement
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Digitalisierung + Kinder in Afrika = eine selbstbestimmte Zukunft. Die Hermann-Gmeiner-Stiftung hat dabei durch ihre Zuwendungen an die SOS-Kinderdörfer eine wichtige Rolle gespielt.

Ahmed Mihaimeed (links) und Thomas Rubatscher (5.von links)

Digitalisierung + Kinder in Afrika = eine selbstbestimmte Zukunft. Klingt eigentlich ganz einfach. Damit es auch wirklich klappt, braucht es gute Experten, viel Technik-Knowhow, gute Menschenkenntnis und nicht zuletzt die nötige Finanzierung. Daran, dass all dies zusammenkommen kann, hat die Hermann-Gmeiner-Stiftung durch ihre Zuschüsse an die SOS-Kinderdörfer einen großen Anteil. Die Stiftung wurde von dem Verein SOS-Kinderdörfer 2001 gegründet, um zur Finanzierung der Einrichtungen und Projekte der SOS-Kinderdörfer auf der ganzen Welt beizutragen. Die Digitalisierungsprojekte in Afrika werden neben der klassischen Spendenfinanzierung und durch Partnerschaftsprojekte auch durch Erträge aus der Stiftung und aus Zustiftungen ermöglicht. Die beiden Experten Thomas Rubatscher, International Director of Information and Communication Technology, aus Innsbruck und Ahmed Mihaimeed, Global ICT Advisor, aus dem Sudan geben Einblicke in ihre Arbeit und die Auswirkungen, die dadurch entstehen.

 

Herr Rubatscher, Herr Mihaimeed: SOS-Kinderdörfer werden zu digitalen Dörfern. Wie funktioniert das in Afrika?

Thomas Rubatscher: Das “Digital Village”-Project ist Teil der SOS-Strategie 2030 und zielt darauf ab, in unseren Dörfern – insbesondere in Afrika und Asien, wo der Bedarf am größten ist – Anleitung und Unterstützung für eine sichere Internetnutzung und grundlegende IT-Kenntnisse zur Verfügung zu stellen.

Ahmed Mihaimeed: Wir haben beobachtet, dass der Bedarf für das Projekt regional unterschiedlich ist. Asien und Afrika brauchen sowohl Zugang zum Internet als auch Kenntnisse, während in anderen Gegenden, wie zum Beispiel in der osteuropäischen Region, der Bedarf eher bei der sicheren Nutzung der Technologie als im Zugang mit dem Internet liegt.

Rubatscher: In Afrika brauchen unsere Kinder Zugang zum Internet und ein gewisses Maß an IT-Kenntnissen, um für Ausbildungen und bei etwaiger Arbeitsunfähigkeit nicht benachteiligt zu sein. Wir müssen sie und ihre Betreuer darin schulen, wie sie das Internet nutzen können und wie sie dies auf sichere Weise tun können. Dazu haben wir eine Reihe von Pilotprojekten ins Leben gerufen, die sowohl technische Unterstützung als auch Training bieten, und wir haben alle Erkenntnisse in einem leicht verständlichen Handbuch zusammengefasst, das wir kontinuierlich weiterentwickeln. Nicht zuletzt können unsere Mitarbeiter mit den angeschlossenen Dörfern auch effizienter arbeiten, die Betreuerinnen und Betreuer können Informationen austauschen und die Kommunikation mit den Spendenden funktioniert viel besser.

Was bedeutet das für das Leben afrikanischer Kinder und ihrer Familien?

Mihaimeed: Lassen Sie mich das Zitat mit Zahlen über den Zugang afrikanischer Jugendlicher zum Internet aus dem UNICEF-Bericht “The State of the World’s Children 2017: Children in a Digital World” anführen: „Die afrikanische Jugend ist am wenigsten verbunden: Rund 60 Prozent sind nicht online, während es in Europa nur 4 Prozent sind.“

Rubatscher: UNICEF stellte in diesem Bericht aber auch fest, dass Digitalisierung in den Entwicklungsländern, insbesondere für jüngere Menschen, zur Normalität wird. Zu wissen, wie man einen Computer benutzt, wie man im Internet recherchiert, wie man sich mit anderen Menschen verbindet und so weiter, wird jedes Jahr wichtiger. Oftmals gibt der Zugang zu Computern, Internet und so weiter auch Kindern mehr Selbstvertrauen. Sie fühlen sich nicht mehr ausgegrenzt und ausgeschlossen.

Mihaimeed: Meine Sichtweise ist: Wenn wir den Erfolg der Arbeit, die die meisten Entwicklungsorganisationen leisten, messen wollen, dann können wir das anhand des Grads der Eigenständigkeit ihrer Begünstigten tun. Während wir uns oft auf den finanziellen Teil der Eigenständigkeit konzentrieren, sehe ich, dass sich die Eigenständigkeit in der Gemeinschaft widerspiegelt, indem wir Eltern haben, die sich um ihre Kinder kümmern können, Kinder, die eine gute Ausbildung erhalten, junge Menschen, die in der Lage sind, Arbeit zu finden, eine Gemeinschaft, die sich des Kinderschutzes und der Sicherung bewusst ist. Das Schöne am Digital Village-Projekt ist, dass wir mit IT-Kenntnissen und Zugang zum Internet auf all diesen verschiedenen Gebieten aufbauen können.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine Mutter in einem SOS-Kinderdorf in Südafrika sagte mir, was es für sie bedeutet, Technologie nutzen zu können: „Es bedeutet, dass meine Kinder in Sicherheit sind! Meine Kinder gingen einen langen Weg zum nächsten Internetcafé, um ihre Hausaufgaben zu machen; jetzt können sie es von hier aus erledigen.“ Es ist kein Geheimnis, dass Sicherheit in vielen Ländern Afrikas eine Herausforderung ist. Technik kann in dieser Hinsicht helfen.

Rubatscher: Oder ein anderes Beispiel aus Nairobi, wo mir unser lokaler Bildungsbeauftragter und ein Lehrer an unserer Schule dort gezeigt haben, wie mit Hilfe einiger Tablet-Computer in einer Klasse von 30 oder mehr Kindern einen lebendiger und moderner Unterricht möglich ist. Oft reichen schon ein Notebook und ein Projektor aus, damit der Lehrer spannende Unterrichtsinhalte vermitteln kann. Eine externe Studie in Kenia bewies zudem 2016, dass in unseren Tablet-Computer-Klassen in Nairobi – die Teil unseres OSL-Projekts sind – die Noten der Schüler messbar besser waren als in anderen Klassen. Dies erfordert aber auch Lehrer, die den Umgang mit digitalen Lehrmitteln beherrschen.

Das bedeutet aber nicht, dass wir mit Büchern konkurrieren oder sie durch digitale Werkzeuge ersetzen wollen. Im Gegenteil, Bücher sind in Entwicklungsländern oft knapp, veraltet oder teuer. Digitale Medien sind dann eine Art Behelfslösung, sie kosten oft nur den Internetzugang, der auch für andere Zwecke genutzt werden kann. „Open Education“ und lizenzfreie Lehrinhalte können digital am kostengünstigsten und schnellsten verbreitet werden und es fallen keine Druck- und Transportkosten an. Was wir zum Beispiel für Mütter aus unseren Familienstärkungsprogrammen oder für arbeitssuchende Jugendliche mit Text2Change in Asien machen, könnten wir nicht mit analogen Medien machen.

Eines Ihrer vielen wichtigen Projekte ist „Connecting Africa“, das in Zusammenarbeit mit British Telecom (BT) mehr als 100.000 Menschen in 30 SOS-Kinderdörfern in 15 afrikanischen Ländern kostenlosen Internetzugang bietet. Dieser Internetzugang bietet eine bessere Aus- und Weiterbildung. Was wird mit den Jugendlichen geschehen, wenn sie besser ausgebildet und mit Fähigkeiten zur Bewältigung von Arbeitsunfähigkeit ausgestattet sind?

Rubatscher: Diese Jugendlichen haben einfach bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Gründung eines eigenen kleinen Unternehmens. Ihre Chance auf eine höhere Ausbildung wird steigen und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein College oder eine Universität besuchen können, wird höher sein. Die meisten dieser Jugendlichen kommen aus sehr abgelegenen Gebieten und aus unterprivilegierten Familien. Mit einer Ausbildung auf dem gleichen Niveau wie Jugendliche in z.B. Europa werden sie ihr Land nicht verlassen. Wichtig ist, dass es bei unseren Projekten nicht um die Ausbildung von Eliten geht. Es geht nur darum, möglichst viele Kinder, die im Leben nicht so viel Glück hatten, ins digitale Zeitalter zu bringen. Und das gilt auch für die Mädchen.


Mihaimeed: Ein großer Teil der afrikanischen Jugendlichen hat sich dafür entschieden, ein eigenes Unternehmen durch Unternehmertum und selbstständige Erwerbstätigkeit zu gründen. Neben der Schaffung von Selbstversorgungssicherheit wird das Unternehmertum als eine weitere Möglichkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen gesehen, sobald das kleine Unternehmen zu wachsen beginnt! Dies unterstützen wir auch mit unserem YouthLinks-Projekt: SOS-Kinderdörfer gehen Partnerschaften mit Firmen und Unternehmen ein, um die Jugend durch Praktika, Schulungen und Beschäftigungsmöglichkeiten zu unterstützen. Dafür hat SOS-Kinderdörfer eine mobile App entwickelt, die die Jugend mit Mentoren aus Unternehmen im ganzen Land verbindet. Sie betreuen und coachen die Jugendlichen durch die verschiedenen Phasen der Arbeitssuche, zum Beispiel wie man einen Lebenslauf schreibt, wie man sich auf ein Vorstellungsgespräch vorbereitet, welche Kommunikationsfähigkeiten benötigt werden, welche Beschäftigungsmöglichkeiten es gibt und so weiter.

Was ist die wichtigste Erfahrung, die Sie durch Ihre Arbeit gemacht haben und die Sie mit anderen Stiftungen teilen möchten?

Rubatscher: Ich möchte mit Ihnen teilen, wozu mich ein Schulleiter in Kaolack, einer abgelegenen Stadt im Senegal, vor acht Jahren überzeugt hat: „Unterschätze Afrika nicht, wenn es um Digitalisierung geht.“ Die Menschen in Afrika brauchen digitale Werkzeuge und wollen sie genauso wie wir in Europa. Aber oft auf eine andere Art und Weise. Helfen Sie ihnen, ihren eigenen Weg zu gehen, lokale Lösungen zu finden und geben Sie ihnen die Zeit im Verhältnis zu den Herausforderungen, die sie zu bewältigen haben.

Mihaimeed: Der Schulleiter sagte uns auch: „Ihr habt Zugang zur Technologie, ich will das auch für meine Kinder, damit sie wachsen und so erfolgreich – oder sogar erfolgreicher – in dem Bereich werden als ihr alle!“

Welche technologische Innovation möchten Sie als nächstes in Afrika umsetzen?

Rubatscher: Wir beschäftigen uns mit Systemen für digitale Pflegeassistenz. Mobile Lösungen, die unsere Begünstigten und Betreuenden nutzen können, um Antworten auf ihre spezifischen Bedürfnisse zu finden und sich mit Gleichaltrigen, die ähnliche Herausforderungen haben, und mit SOS-Coaches, die sie unterstützen, zu verbinden.

Mihaimeed: Wir glauben, dass Spracherkennung und Künstliche Intelligenz bald bereit sein werden, uns dabei zu helfen, und robuste Smartphones für Afrika die technische Plattform sein werden. Wir setzen bereits zwei Arten von Vorläufern ein: YouthLinks und Text2Change.

Rubatscher: Es ist wichtig zu sagen, dass oft nicht wir aus dem Generalsekretariat neue Wege finden, sondern die Menschen in unseren Programmen, den Dörfern, Schulen und Familienstärkungsprogrammen. Wir müssen zuhören und fördern, unterstützen, beraten; dies bringt oft die besten Lösungen, wie zum Beispiel Open Space LiteracyText2Change to Empower Women and the ICT corners.

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