Historisches Kulturerbe erhalten

Gerasa Jerash Steinmeier
Globales Engagement
© Birte Ruhardt
20.02.2018
Globales Engagement
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Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt mit einem Förderschwerpunkt gefährdete und geflohene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Krisenländern. Vorstandsvorsitzender Dr. Michael Hanssler erläutert das Engagement der Stiftung.

Fragen an Dr. Michael Hanssler

Herr Dr. Hanssler, die Gerda Henkel Stiftung hat sich im Herbst 2015 für einen neuen, temporären Förderschwerpunkt entschieden, der gefährdete und geflohene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Krisenländern unterstützt. Was waren die Beweggründe dafür?

Die Entscheidung, diesen Förderschwerpunkt einzurichten, fiel vor dem Hintergrund der massiven Zerstörungen von Kulturgütern im Nahen Osten sowie der Fluchtbewegungen innerhalb der Region und nach Europa. Im Frühjahr 2016 kam ein „Soforthilfeprogramm für Syrien“ hinzu. Ziel der beiden Initiativen ist es, einzelnen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu bieten, auch im Exil weiter wissenschaftlich arbeiten zu können. Zudem sollen unter Einbindung lokaler Akteure archäologische und historische Projekte in Syrien und den Nachbarländern auf den Weg gebracht werden.

Wie viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben Sie seither in welchen Ländern unterstützt?

Bislang hat die Stiftung im Rahmen des Förderschwerpunktes Mittel für 44 Projekte bewilligt. Dabei handelt es sich um Einzelstipendien, mit denen Forscherinnen und Forscher vor allem aus dem Irak, dem Jemen, aus Syrien und der Türkei ihre akademische Arbeit in Deutschland und in anderen europäischen Ländern fortsetzen können. Außerdem unterstützt die Gerda Henkel Stiftung Projekte, die in Syrien und den Anrainerstaaten angesiedelt sind und im Wesentlichen den Erhalt gefährdeten historischen Kulturerbes zum Gegenstand haben.

Können Sie Beispiele dafür geben, wie diese Unterstützung aussieht?

Eine der ersten Fördermaßnahmen galt „Mare Nostrum“, einem Verbund aus mehreren Teilprojekten in Jordanien. Das Projekt trägt dem Umstand Rechnung, dass Jordanien eine Vielzahl syrischer und palästinensischer Flüchtlinge aufgenommen hat, die sowohl in riesigen Lagern als auch in Städten und Gemeinden leben. Die Idee hinter „Mare Nostrum“: Jordanische und syrische Wissenschaftler, Handwerker und Arbeiter aus palästinensischen und syrischen Flüchtlingslagern, jordanische und syrische Studierende der Ammaner Universitäten sowie die lokale Bevölkerung an gemeinsamen Projekten zu beteiligen. Konkret geht es etwa um ein Kulturzentrum in der nordjordanischen Gemeinde Umm al-Jimal, in dem ein jordanischer und ein syrischer Wissenschaftler Flüchtlingskinder aus Syrien und jordanische Altersgenossen zusammen unterrichten.

Haben Sie von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erfahren können, wie sich das auf ihr Leben und ihre Zukunft auswirkt?

Trotz der überaus schwierigen politischen Lage gibt es Erfolge: Ein syrischer Archäologe, Experte der Geschichte seines Landes und Aleppos, konnte zunächst mit einem Einzelstipendium der Gerda Henkel Stiftung hier in Deutschland eine Forschungsarbeit durchführen. Nun wird er seine Expertise in ein großes Forschungsprojekt einbringen, welches das Ziel hat, Informationen zum archäologischen Kulturerbe für das Stadtgebiet von Aleppo und sein Umland bereitzustellen. Ein anderes erfolgreiches Beispiel ist der jordanische Kursleiter des Kulturzentrums in Umm al-Jimal – er strebt eine Promotion an.

Bundespräsident Steinmeier hat Ende Januar 2018 zwei von der Gerda Henkel Stiftung geförderte Projekte in Jordanien besucht. Haben Sie dadurch neue Impulse erhalten?

Es gab während der Reise die Möglichkeit zu Gesprächen mit Akteuren des Landes, die für unsere künftigen Projekte in der Region sehr wichtig waren: So erfuhr ich beispielsweise vom jordanischen Minister für Planung und internationale Zusammenarbeit, dass das Land wohl bis zu 16 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Infrastruktur- und Hilfsmaßnahmen für von Migration und Flucht betroffene Menschen aufwendet. Man stelle sich diese Größenordnung nur einmal hierzulande vor – das sind Zahlen, die die unglaubliche Leistung Jordaniens als Aufnahmeland deutlich machen. Besonders gefreut hat uns natürlich, dass der Bundespräsident und seine Frau auch zwei Projekte der Gerda Henkel Stiftung in ihr Besuchsprogramm aufgenommen haben.

Im einen Fall handelt es sich um eine Kooperation des jordanischen Department of Antiquities und des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes. Im Zentrum steht das Archäologische Museum Jordaniens auf der Zitadelle in Amman, dessen Objekte vollständig dokumentiert werden. Das Projekt ist als Pilotstudie angelegt, nach deren Vorbild Arbeiten in den anderen Museen Jordaniens folgen sollen.

Bei dem zweiten Projekt erforschen jordanische, französische und deutsche Partner in der Stadt Gerasa/Jerash gemeinsam eine römische Thermenanlage, die sogenannten Ostthermen. 2016 und 2017 führten die Archäologen dort sehr erfolgreich Grabungskampagnen durch und entdeckten u.a. eine gut zwei Meter große Aphrodite-Statue und viele weitere gut erhaltene Torsi – insgesamt weit über 100 Marmorfragmente. An den Grabungen beteiligt waren auch syrische und palästinensische Facharbeiter aus nahe gelegenen Flüchtlingslagern.

Wird es auch für Menschen in Deutschland die Möglichkeit geben, mehr von den Ergebnissen dieser Arbeit zu erfahren?

Zu der Dokumentation der Objekte des Archäologischen Museums auf dem Zitadellenhügel in Amman ist im Auftrag der Stiftung eine Videoproduktion entstanden. Interessierte Zuschauer können sie auf L.I.S.A. Wissenschaftsportal Gerda Henkel Stiftung abrufen. Zudem informiert das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes auf einer eigenen Homepage ausführlich über das Projekt. Was die archäologischen Arbeiten in Gerasa/Jerash angeht, so liegen die Ergebnisse der ersten Grabungskampagne und weitere Informationen über das Forschungsprojekt in einer Online-Publikation vor. Dabei handelt es sich um den Auftakt eines neuen Publikationsformats, das den Titel EDIT. Digitale Publikation Gerda Henkel Stiftung trägt.

Was sind Ihre Pläne, wie werden Sie mit Ihrer Arbeit weitermachen?

Wir werden unseren Förderschwerpunkt „Patrimonies“ noch verstärken: Darin finden Projekte Berücksichtigung, die sich auf die Bewahrung historischen Kulturerbes vorwiegend in Krisenregionen konzentrieren. Hier werden auch weiterhin Initiativen geflohener und gefährdeter Forscher ihren Platz haben. Ganz wichtig ist uns: Die zur Verfügung gestellten Mittel müssen zum überwiegenden Teil in den Zielregionen wirksam werden. Beginnend in diesem Jahr wird die Stiftung im Rahmen von ergänzenden Vorhaben erstmals auch soziale und humanitäre Maßnahmen unterstützen.

Ihre Arbeit im Förderschwerpunkt „Patrimonies“ läuft nun seit fast vier Jahren – gibt es Erfahrungen, die Sie gerne mit anderen Stiftungen teilen möchten?

Da die Gerda Henkel Stiftung über keine Außenstellen verfügt, sind lokale Projektpartner für uns von entscheidender Bedeutung. Um zu gewährleisten, dass den lokalen Gegebenheiten Rechnung getragen wird und die Bedürfnisse der Förderpartner im Mittelpunkt stehen, achten wir sehr genau darauf, dass Partner aus den Zielländern entweder selbst Antragsteller sind oder als Kooperationspartner eng in die jeweiligen Arbeiten eingebunden werden. Über einen entsprechenden Erfahrungsaustausch mit deutschen Stiftungskolleginnen und -kollegen oder auch über konkrete Kooperationen – wie wir sie bereits mit Stiftungen aus Großbritannien, den Niederlanden oder aus den USA pflegen – würden wir uns außerordentlich freuen.

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