„Stiftungen müssen Themen langfristig in der Diskussion halten“

Lutz Spandau
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© Allianz Umweltstiftung
10.06.2020
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Ende April 2020 hat sich Dr. Lutz Spandau als Vorstand der Allianz Umweltstiftung verabschiedet – nach einer Tätigkeit von insgesamt 30 Jahren. In dieser Zeit hat er mit seinem Team rund 120 Großprojekte und etwa 6.500 kleinere Projekte initiiert, gefördert oder begleitet. Der „Deutsche Klimapreis für Schulen“ geht ebenso auf ihn zurück wie beispielsweise die „Benediktbeurer Gespräche“. Auch die Berliner Stiftungswoche fand von Anfang an seine Unterstützung. Grund genug, sich per Videokonferenz zu einem Interview zu treffen – über Lieblingsprojekte, Corona und geplantes Nichtstun.

Wer heute zehn Jahre ein und denselben Job macht, gilt oft schon als Exot. Sie haben die Allianz Umweltstiftung nun 30 Jahre geführt. Hätten Sie sich 1990 vorstellen können, diese Aufgabe über so eine lange Strecke auszufüllen?
Nein, das hätte ich mir im Leben nicht vorstellen können. Ich habe der Allianz damals eine Zusage für fünf Jahre gegeben. In diesem Zeitraum wollte ich die Stiftung aufbauen und in die richtige Richtung führen. Für die Zeit danach hatte ich eigentlich eine komplett andere Lebensplanung. Ich habe Anfang der 90er Jahre begonnen, als die Grenzen aufgegangen sind. Dadurch gab es plötzlich ein riesiges Betätigungsfeld für den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz; speziell in den neuen Ländern. Daraus haben sich viele spannende Projekte ergeben, etwa der Mauerpark in Berlin auf dem ehemaligen Grenzstreifen, den wir gemeinsam mit dem Berliner Senat errichtet haben. Anfangs wusste man nicht einmal, wem die Flächen gehören. Ich denke auch an die Wiederherstellung des Lustgartens, einer Fläche, die von Karl Friedrich Schinkel als Garten für die preußischen Könige geschaffen und später von den Nazis als Aufmarschplatz missbraucht wurde; ähnlich vom SED-Regime. Hier haben wir wieder einen Garten in der Mitte Berlins geschaffen. Außerdem waren wir beispielsweise im Spreewald, auf Rügen und im Gartenreich Dessau Wörlitz aktiv. Bei all diesen Projekten konnte ich die Stiftung doch gar nicht verlassen. Also habe ich verlängert und verlängert und verlängert… Auf einmal waren es 30 Jahre.

Die Stiftung wurde 1990 anlässlich des 100. Geburtstags der Allianz als Unternehmensstiftung gegründet. War von Anfang an klar, dass es eine Stiftung für Umwelt und Naturschutz werden soll?
Ja, der Stiftungszweck war bereits klar. Es hatte mich damals auch etwas verwundert. Denn die meisten Konzerne, die zu dieser Zeit Stiftungen errichtet haben, waren entweder im sozialen oder kulturellen Bereich oder in Sachen Bildung unterwegs. Das Umweltthema hatte bis dahin im Stiftungsbereich eher ein Nischendasein geführt. Die Allianz hatte sich als Versicherungsunternehmen allerdings ganz bewusst für eine Umweltstiftung entschieden, weil das Thema bereits damals auf der Agenda stand; etwa mit Blick auf die Zunahme von Extremwetterereignissen und die dadurch bedingten Versicherungsschäden.

Sie haben Landschaftsarchitektur in Weihenstephan studiert, später an der Uni zu Ökologie gelehrt und geforscht, sie begeistern sich für Umwelt und Natur: Ist es Ihnen oft schwergefallen, so viel Zeit für Gremiensitzungen in geschlossenen Räumen zu verbringen?
In meiner Zeit an der Universität gab es wirklich sehr viele Termine und Gremiensitzungen. Dabei wurde immer viel darüber gesprochen, was man tun könnte. In der Umweltstiftung war es dann anders: Wir haben einfach gemacht und ganz konkrete Zeichen gesetzt. Es ging nie um das „Ob“, es ging stets um das „Wie“. Dabei war uns immer wichtig, etwas zu schaffen, das langfristig Bestand hat. Dazu zwei Beispiele: Im Leipziger Musikviertel haben wir die Fritz-von-Harck-Anlage, benannt nach dem berühmten Leipziger Stifter, wieder hergestellt. Im Seifersdorfer Tal, ebenfalls in Sachsen, haben wir den ältesten Skulpturenpark durch arbeitslose Jugendliche wiederherrichten lassen. Wenn die Ergebnisse so praxisnah waren, hat mich keine Sitzung belastet.

In den zurückliegenden Jahrzehnten sind die Themen Umwelt- und Naturschutz immer wichtiger geworden. Später kam auch der Begriff Klimaschutz hinzu. Wie haben Sie diese Entwicklung wahrgenommen? Haben Sie sich phasenweise als Rufer in der Wüste gesehen?
Was Sie angesprochen haben, ist richtig. Die drei Begriffe kann man durch einen weiteren, hoch aktuellen Begriff noch ergänzen: Nachhaltigkeit. Wenn Sie zehn Leute fragen, was sie unter Umweltschutz, Naturschutz, Klimaschutz und Nachhaltigkeit verstehen, bekommen Sie 25 unterschiedliche Antworten. Manche reden über Naturschutz, meinen aber Klimaschutz. Andere reden über Umweltschutz, meinen aber letztlich Naturschutz. Hier gerät oft vieles durcheinander. Naturschutz ist im Prinzip der Schutz der biotischen und abiotischen Ressourcen, also der lebenden und unbelebten Umwelt. Beim klassischen technischen Umweltschutz geht es beispielsweise darum, wie man Abgase minimieren oder Müll reduzieren kann. Ein gutes Beispiel für Klimaschutz wäre das Wiederherrichten eines Moores, das als riesiger CO2-Speicher fungiert. Gleichzeitig erzielt man dadurch eine hohe Artenvielfalt und tut also aktiv etwas für den Artenschutz. Die einzelnen Bereiche sind eng miteinander verwoben und im Alltag oft nur schwer zu trennen. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit kommt neben der ökologischen auch noch die soziale und die ökonomische Komponente dazu. Ich warne immer davor, reine Klimaschutzmaßnahmen oder reine Naturschutzmaßnahmen immer gleich als Nachhaltigkeitsprojekte zu bezeichnen. Das ist fachlich nicht in Ordnung, denn Nachhaltigkeit ist das Zusammenspiel von sozial-ökonomischen und ökologischen Aspekten. Da kann es auch vorkommen, dass die ökologischen Aspekte in der Abwägung hinter den sozialen oder den ökonomischen zurückstehen müssen, während dies bei reinem Naturschutz nicht denkbar wäre.

Sie haben gerade schon einige Projektbeispiele genannt. Gab und gibt es weitere Lieblingsprojekte und besondere Herzensthemen?
Ich bin ein großer Verfechter von sogenannten „Umwelt-und-Projekten“, also zum Beispiel „Umwelt und Kultur“, „Umwelt und Soziales“, „Umwelt und Bildung“ und so weiter… Projekte dieser Art habe ich immer als große Highlights empfunden, etwa die Wiederherstellung des Gartenreichs Dessau Wörlitz, das den Bereich Umwelt und Kultur abdeckt. Besonders bewegt haben mich immer Projekte aus dem Bereich „Umwelt und Soziales“, zum Beispiel unser Projekt „Hoffnungsstark“ im bayerischen Benediktbeuren: Straffällig gewordene Jugendliche, in der Regel Erststraftäter, arbeiten bei Naturschutzmaßnahmen mit, anstatt eine Haftstrafe abzusitzen. Mit der körperlichen Arbeit in freier Natur sollen sie wieder Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten gewinnen und den Weg zurück in ein normales Leben finden.

Wie wird das Projekt angenommen?
Sehr gut. Wir haben schnell mitbekommen, wie demütig die Jugendlichen zum Teil sind, dass sie auf diese Art ihre Schuld abarbeiten können. Ein Jugendlicher hat mir erzählt, dass er erst draußen in der Natur, unter freiem Himmel, gemerkt hat, weshalb seine Familie immer so traurig ist: Es lag an ihm. Und das wollte er nicht mehr und hat beschlossen, sich und sein Verhalten zu ändern. In meinen Augen ist das ein sensationelles Ergebnis.

Gibt es weitere Lieblingsprojekte, die ebenfalls Umweltthemen mit sozialem Engagement verbinden?
In Lenggries, ebenfalls in Oberbayern, haben wir ein gemeinsames Modellprojekt mit der Stiftung der Deutschen Polizeigewerkschaft mit dem Titel „Therapieraum Natur“. Hier kümmern wir uns um traumatisierte Polizisten. Die Erlebnisse der Polizisten sind zum Teil erschütternd, etwa nach Geisterfahrerunfällen auf der Autobahn oder wenn bei einem Einsatz versehentlich Unbeteiligte ums Leben gekommen sind. Durch das Arbeiten in der freien Natur können sie Erlebtes verarbeiten, zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen, ohne zwingend über das Erlebte sprechen zu müssen. In diesem Forstprojekt bauen die Polizisten einen monotonen Fichtenwald in einen naturnahen Bergmischwald um. Ein Polizist hat mir erzählt, dass er zwei Jahre lang unter Schlafstörungen gelitten hat und erst bei uns in Lenggries das erste Mal wieder eine Nacht durchschlafen konnte. „Ich komme hierher“, hat er gesagt, „ich arbeite in der Natur und weiß, dass ich etwas Gutes tue. So kann ich meinen Frust rausarbeiten.“ Ist das nicht fantastisch?

Aber diese Projekte der Allianz Umweltstiftung sind nicht auf Bayern begrenzt?
Nein, wir betreiben beispielsweise mit der Stiftung Waldwelten das Projekt „Lernort Natur“ in Eberswalde, in denen wir uns um langzeitarbeitslose Jugendliche kümmern, die gemeinsam mit geflüchteten Jugendlichen in der städtischen Grünflächenpflege eingesetzt werden. Ich könnte die Liste unserer „Umwelt-und-Projekte“ noch lange fortsetzen… Etwa mit dem Bau des christlichen, islamischen oder jüdischen Gartens, als Teil der Gärten der Welt in Berlin-Marzahn. Diese Synergien zu nutzen, dienen nicht nur der Natur, wir haben das auch immer den Menschen zuliebe gemacht.

Synergie ist das richtige Stichwort: Sie zählen zu den Mitinitiatoren der Berliner Stiftungswoche. Worin liegt für Sie der Reiz, wenn Stiftungen in so einem Format eng kooperieren?
Die Aufgaben, die wir heute angehen, sind meist so komplex sind, dass man sie trotz guter Ideen und Leidenschaft nicht allein stemmen kann. Man schafft dies nur mit Partnern und Verbündeten, im besten Fall mit einem Netzwerk. Außerdem sind Kooperationen schon deshalb sinnvoll, weil eine Stiftung nie 100 Prozent eines Projekts finanzieren wird, sondern maximal 50 Prozent. Die weiteren 50 Prozent muss also ein Projektpartner aufbringen, wobei diese zweite Hälfte natürlich auch von einer anderen Stiftung kommen kann. Durch derartige Kooperationen ist es uns gelungen, viele Projekte zu realisieren. In aller Bescheidenheit: In meinen 30 Jahren bei der Allianz Umweltstiftung haben wir von unseren erwirtschafteten Erträgen rund 68 Mio. EUR für Projekte ausgegeben. Insgesamt haben wir aber Projekte mit einem Gesamtvolumen von 520 Mio. EUR realisiert – durch das Zusammenwirken mit anderen Stiftungen und Fördermittelgebern. Wir haben also ein Vielfaches unserer eigenen Mittel zusätzlich akquiriert und Verbündete gefunden. Um neue Kooperationspartner kennenzulernen und gemeinsame Wege zu suchen, fand ich die Berliner Stiftungswoche immer sehr wichtig; gerade für uns als Umweltstiftung, wenn wir Stiftungen aus anderen Bereichen wie Kultur, Bildung oder Soziales ansprechen wollten.

Wir führen dieses Interview als Video-Call in Zeiten der Corona Pandemie. Wie sich genau unser Leben mit Corona ändern wird, das weiß heute noch niemand. Dass sich aber sehr viel ändern wird, das spüren wir alle. In welche Zukunft, Herr Spandau, schauen Sie denn in Sachen Corona?
Das ist eine spannende Frage, denn sie trifft den Kern der Stiftungsarbeit, die nicht aktuellen Feuerwehraktionen der Medien unterworfen, sondern langfristig ausgerichtet ist. Als Stiftung war uns immer elementar wichtig, Themen langfristig auf der Agenda zu halten, auch wenn sie eigentlich nicht sehr sexy waren. Aktuell müssen wir sehr aufpassen, dass existenzielle Themen wie der Klimawandel nicht durch die derzeitige Fokussierung auf Corona aus dem Blick geraten. Der Klimawandel ist das Ergebnis von einem Leben im Paradies – und dies über 50 Jahre hinweg. Um eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft gestalten zu können, brauchen wir eine langfristige Konzeption. Momentan ist meine Sorge, dass viele dieser langfristigen Themen hinten runterfallen. Das halte ich für höchstbedenklich und hier sehe ich einen ganz großen Auftrag an die Stiftungen. Deshalb noch einmal: Gerade Stiftungen müssen auch die Themen, die momentan vermeintlich keine Rolle spielen, langfristig in der aktuellen Diskussion halten.

Was haben Sie persönlich für die Zeit „nach“ der Umweltstiftung geplant? Ich vermeide bewusst das Wort Ruhestand.
Zum Rosenzüchten und Enkel hüten bin ich nicht 24 Stunden am Tag geeignet. Ich habe mir vorgenommen, mich ehrenamtlich zu engagieren. Das wird einen Großteil meiner Aktivitäten prägen, etwa beim Projekt „Hoffnungsstark“ mit den jugendlichen Ersttätern oder im Projekt „Therapieraum Natur“ mit den Polizisten. Dort werde ich mich jeweils persönlich einbringen, weil ich das auch möchte. Doch zunächst habe ich für mich beschlossen, den Kopf freizubekommen: Die Allianz Umweltstiftung war mein Leben. Für sie war ich rund um die Uhr im Einsatz, an jedem Ort erreichbar, immer aktiv. Deshalb mache ich jetzt, was ich noch nie gemacht habe, nämlich mal drei oder vier Wochen absolut gar nichts zu unternehmen. Danach prüfe ich die einzelnen Anfragen und Angebote, zusätzlich zum ehrenamtlichen Engagement. Man wird schon sehen, was kommt.


Herzlichen Dank für das Gespräch! Und gutes Gelingen beim vorübergehenden Nichtstun.

 

Über den Autor

Das Interview hat Stefan Engelniederhammer geführt. Im Mai 2020 wurde es auf der Website der Berliner Stiftungswoche gGmbH veröffentlicht.

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