Kunst für alle

Städel Museum, Außenfassade
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© Städel Museum - Norbert Miguletz
09.03.2020
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Der Frankfurter Museumsstifter Johann Friedrich Städel löste mit seinem Testament einen Rechtsstreit aus, dessen Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Rückblick auf einen Stifter, der das Geben seiner Zeit revolutionierte.

Wie werden Globalisierung und politische Krisen das Stiften verändern? Und wie gehen Stiftungen damit um? Sie können sich vernetzen und austauschen. Lernen können Stiftungen aber auch aus dem Blick in die Vergangenheit. Schon früher sahen sich Stiftungen immer wieder mit Konflikten, Umbrüchen und Paradigmenwechseln konfrontiert. Und schon früher gab es Stifter, die die Herausforderungen annahmen und kreative Lösungen fanden.

Bestes Beispiel: der Mann, der vor rund 200 Jahren das nach ihm benannte Frankfurter Städel Museum gründete. Das Haus, in das jährlich mehrere Hunderttausend Besucher kommen, verfügt heute über eine Sammlung von 3.100 Gemälden und 660 Skulpturen, dazu kommen Fotografien, Zeichnungen und Grafiken. Es zeigt das wohl berühmteste Goethe-Gemälde des Malers Tischbein, auch Werke von Vermeer, Picasso, Beckmann oder Baselitz. „Im Vergleich zu Häusern wie dem Louvre sind wir natürlich eher klein“, sagt Jochen Sander. Er ist Sammlungsleiter für deutsche, holländische und flämische Malerei vor 1800. Trotzdem erstreckt sich die Sammlung über einen sehr weiten Zeitraum. „Man bekommt bei uns einen Überblick über 700 Jahre europäische Kunstgeschichte.“

Städels Hobby ist die Kunst, selbst Goethe führt er durch seine Sammlung

Den Anfang machten lediglich 500 Gemälde und ein paar Tausend Zeichnungen und Kupferstiche. Reich wird Johann Friedrich Städel mit Gewürzen und Bankgeschäften. Sein Hobby ist die Kunst, selbst Goethe führt er durch seine Sammlung. Als er 1816 im Alter von 88 Jahren stirbt, stiftet er 500 Gemälde und ein paar Tausend Zeichnungen und Kupferstiche. „Zum Besten hiesiger Stadt und Bürgerschaft“, wie es im Testament heißt.

Städel will der Bevölkerung Kunst nahebringen. Damals bedeutet das: ein Gebäude für jedermann zugänglich zu machen. Heute kann es auch bedeuten, einen Podcast oder einen Online-Kurs über Kunstgeschichte zu produzieren. „Wir bemühen uns, dem Stifterwillen auch nachzukommen, indem wir moderne Vermittlungsformate nutzen“, sagt Sander. Natürlich hat Städel nicht das Internet vorhergesehen, aber er hat die Institution unbewusst darauf vorbereitet. „Mit dem Testament hat er Veränderung und Weiterentwicklung in der DNS der Stiftung angelegt“, sagt Sander.

Städel kennt sich aus in Sachen Kunst, hält seinen Geschmack aber nicht für das Maß aller Dinge. „Städel hat seine Sammlung relativ gesehen“, sagt Sander. „Im Testament hat er festgehalten, dass sie erweitert und verbessert werden solle, dass also Werke auch ausgetauscht werden können.“

„Eine eigenständige Stiftung zu gründen, ist zu der Zeit nicht neu“, sagt Thomas Adam, Stiftungsexperte und Geschichtsprofessor an der Universität von Arlington, Texas. Schon im 16. Jahrhundert habe es in Augsburg mit der Fuggerei eine Stiftung gegeben, die unabhängig von Staat und Kirche gewesen sei.

Völlig neu bei Städel ist dagegen: Er verlegt sich beim Stiften auf Kunst und Kultur. „Man kann die Städelsche Stiftung als Gegenbild zu den Museen betrachten, wo die Kunstsammlung ein Ausdruck der Stärke eines Herrschers war“, sagt Adam. Was Kunst ist und was nicht, bestimmen nicht mehr allein die Fürsten. Die Bürger reden mit.

Juristisches Erdbeben war unvorhersehbar

„Städel hat Neuland betreten“, sagt Rupert Graf Strachwitz von der Maecenata Stiftung aus München. Strachwitz hat Bücher und Aufsätze zum Stiften vom 18. bis ins 20. Jahrhundert verfasst. „Es gab damals eine Veränderung in der Auffassung: Menschenbildung sollte nicht mehr durch Religion geleistet werden, sondern durch Kultur“, sagt Strachwitz. „Das war von Städel so gewollt.“

Nicht vorhersehbar für den Stifter war das juristische Erdbeben, das er auslöste. Zwei Stunden nach seinem Tod treffen sich fünf Administratoren seiner Stiftung zur ersten Sitzung. 1817 könnte die Stiftung die Arbeit aufnehmen. Doch dann tauchen entfernte Verwandte aus Straßburg auf, die Testament und Stiftung anfechten. Ihr Argument: Städel habe nicht an eine Stiftung vererben können, da diese zum Zeitpunkt seines Todes juristisch noch gar nicht existierte. Zwölf Jahre beschäftigt der Fall die Instanzen. 1828 endet er mit einem Vergleich. Die Verwandten bekommen 300.000 Gulden, etwa ein Viertel des Erbes.

Der Fall ist spezifisch, aber er löst eine intensive Beschäftigung mit dem Stiftungsbegriff aus. „Im Zuge des Rechtsstreits werden zahlreiche Gutachten verfasst“, sagt Strachwitz. Das berühmteste ist eines des Rechtstheoretikers Friedrich Carl von Savigny. Darauf stützen sich auch die Kommissionen, die das erste Bürgerliche Gesetzbuch erarbeiten, das am 1. Januar 1900 in Kraft tritt. Die Stiftung des bürgerlichen Rechts ist geboren. „Der Stiftungsbegriff ist damit auf eine relativ feste rechtliche Basis gestellt“, so Strachwitz.

Dass das Städel auch heute noch Besucher anzieht, hat aber noch einen weiteren Grund. Im 19. Jahrhundert werden Museen erst allmählich professioneller – und damit teurer. „Eine Kunstsammlung samt Gebäude zu finanzieren, können sich allmählich auch die meisten Herrscher nicht mehr leisten“, sagt Stiftungsexperte Adam. Städel kann das Museum mit seinem Vermögen auf den Weg bringen. Weil er seinen Reichtum nie gezeigt hat, sind nach seinem Tod viele verblüfft von der üppigen Stiftung. „Das war ein Kunst-Kautz!“, schrieb ein Sammler an Goethe.

Das Städel ist ein Museum der Bürger

Irgendwann reichen die Gulden aber nicht mehr, das Städel braucht Hilfe aus der Bevölkerung: Ende des 19. Jahrhunderts entstehen die sogenannten Museumsvereine, die die Häuser im Zusammenspiel mit den Stiftungen gestalten. Ähnliche Entwicklungen sind etwa in Köln beim Wallraf-Richartz-Museum oder in Leipzig bei der Schletterschen Sammlung zu beobachten.

In Frankfurt am Main kommt der Umstand hinzu, dass Frankfurt Freie Reichsstadt war und keine Residenzstadt eines Fürsten oder Bischofs. Eine erfolgreiche Stadt, von Bürgern selbstverwaltet. „Städel kommt als Stiftung aus dieser bürgerlichen Ursubstanz“, sagt Sammlungsleiter Jochen Sander. Es handele sich bei der Städelschen Sammlung eben nicht um die Sammlung einer Herrscherdynastie, wie zum Beispiel bei den großen Museen in München oder Wien. „So kam es zu einer intensiven Verankerung in der Bevölkerung und zur Bereitschaft, sich dafür einzusetzen.“

Der Museumsverein in Frankfurt fördert unter anderem das Städel finanziell, etwa für Neuerwerbungen, er organisiert Ausstellungen oder Kurse für Kinder. Am meisten bekommen Bürgerinnen und Bürger in Frankfurt aber vom Museum mit, wenn der Verein Kampagnen startet. Für eine Ausstellung des italienischen Malers Botticelli wurden dessen Motive im Stil von Werbung für italienische Luxusmarken dargestellt. Um den Erweiterungsbau zu bewerben, wurde die ganze Stadt aktiviert (Bäckereien etwa warben mit „Frankfurt backt das neue Städel“). Und dann gab es noch die gelben Gummistiefel, die sich die damalige Oberbürgermeisterin und andere bekannte Frankfurter wiederholt anzogen, um für Spenden für die Erweiterung zu werben. Das gefiel nicht jedem, eine Kommentatorin in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ etwa schrieb: „Der Marketinggaul ist mit dem Städel durchgegangen.“ Das mag Geschmackssache sein, finanziell erfolgreich sind die Spendensammlungen allemal.

Frankfurt ist stolz auf sein Städel. Die Kulturdezernentin Ina Hartwig nennt es auf Anfrage eine „unentbehrliche Institution“ der städtischen Museumslandschaft, die Gäste aus der ganzen Welt anziehe, Teilhabe ermögliche und Diskurse anrege. Roland Kaehlbrandt, der Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Stiftung Polytechnische Gesellschaft, sagt: „Das Städel strahlt weit über die Grenzen der Stadt hinaus.“ Das, so kann man vermuten, dürfte ganz im Sinne des Kunst-Kauzes Städel sein.

Über den Autor

Bernhard Hiergeist hat in München unter anderem Bayerische Kirchengeschichte studiert und fühlte sich durch die Recherche wieder an einen Satz seines Professors erinnert: Fast alle Geschichte in Deutschland ist Kirchengeschichte.

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