Fit für die digitale Zukunft - Interview mit den Netzentdeckern

Autor und Journalist Hajo Schumacher
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© Annette Hauschild
01.03.2019
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Zusammen mit den Studierenden Anika Wiese und Jascha Loos will der Journalist und Autor Hajo Schumacher fit machen für die digitale Zukunft. Bezugsgruppe sind dabei vor allem diejenigen, die analog sozialisiert wurden.

Hajo Schumacher ist selbst ein Vertreter dieser Generation. Internet-Skepsis auf der einen Seite und die Angst, den Anschluss zu verlieren, auf der anderen weckten die Idee für die Netzentdecker, ein durch die Brost-Stiftung gefördertes Non-Profit-Projekt. Auf humorvolle und freimütige Art wollen die Netzentdecker nicht nur Schumachers digitale Bildungslücken schließen, sondern auch auf die Fragen von Lesern und Usern eingehen. Dies geschieht unter anderem über selbstkritische und unterhaltsame Kolumnen sowie über Interviews mit Experten und Politikern, wie Helge Braun, dem Chef des Bundeskanzleramtes. 

Wir sind neugierig geworden und haben Hajo Schumacher um ein Kurzinterview gebeten.

Herr Schumacher, warum soll man sich das Internet von jemandem erklären lassen, der vor ein paar Jahren noch selbst der Grundsatzhaltung „Nie ein Smartphone“ folgte? 
Weil dieser Mensch absolut glaubwürdig ist. Wie viele Vertreter der Babyboomer-Generation, die mit Plattenspieler und Schnurtelefon sozialisiert worden sind, habe ich über Jahre insgeheim einen bildungsbürgerlichen Hochmut zelebriert. Das Digitale verhielt sich zum Analogen wie Fastfood zur regionalen Küche: irgendwie minderwertig. Der Chat galt uns nicht als ernstzunehmende Kommunikation, das Buch schien der einzig wahre Kulturträger, Computerspiele haben wir verachtet, unsere Jobs schienen sicher. Inzwischen kapieren auch wir Älteren, dass diese Verweigerung nicht mehr zeitgemäß ist. Es ist höchste Zeit, die fundamentalen Veränderungen der Digitalisierung ernst zu nehmen: Was treiben die Datensammler wirklich, was fasziniert unsere Kinder, wie entwickeln sich die Medien, das Bildungswesen, unsere Demokratie? Dafür sollte man diesen Kulturwandel durchdringen, technisch, intellektuell und emotional, um verteilen zu können, was echter Fortschritt ist und was eine Bedrohung. Stellvertretend für viele Millionen Menschen in der zweiten Lebenshälfte stehe ich zu meinem Unwissen und möchte mit Spaß und Neugier das Neue entdecken. Deswegen heißen wir Netzentdecker. Da ich meine eigene Blödheit nicht verheimliche, schaffe ich Identifikation für viele Leidensgenossen. Ich stelle einfache, vielleicht manchmal dämlich klingende Fragen, die aber immer aus ehrlichem Unwissen resultieren. Und zudem beantworte ich gern die Fragen anderer Menschen, indem ich Experten damit konfrontiere. In der Pädagogik spricht man wohl von niedrigschwelligem Lernen. 

Warum lohnt es sich für eine Generation, die die Technik zunächst verteufelte, sich in ihrer zweiten Lebenshälfte noch einmal mit dem Internet und seinen Vorteilen auseinanderzusetzen?  
Es geht um demokratische Teilhabe, um bewusste reflektierte Entscheidungen und, sehr praktisch, darum, den Kontakt zu unseren Kindern und der neuen Arbeitswelt nicht zu verlieren. Ich war zum Beispiel davon überzeugt, dass ich mit meiner Ausbildung zum Redakteur den Rest meines Lebens über die Runden kommen würde. Wenn ich heute eine Redaktion besuche, stelle ich fest, dass sich mein Job grundlegend verändert hat. Ich habe meine Bildungslücken zu akzeptieren und werde mir daher als Praktikant in meinem gelernten Beruf noch einmal neues Wissen aneignen. Ich spiele mit meinen Kindern Computerspiele, um zu kapieren, welche Strategien und Fähigkeiten gefragt sind. Das ist manchmal mühsam, aber auch sehr erhellend.   

Wo liegen, Ihrer Meinung nach, die größten Hürden für Ihre Generation und wie kann man Internetskeptikern begegnen? 
Wir haben uns zu lange in einer bequemen Verweigerungshaltung eingerichtet. Diese Komfortzone gilt es zu verlassen. Für mich gibt es vor allem diese emotionale Hürde, das Neue zunächst einmal kapieren zu wollen, ohne es sofort zu bewerten. Wie viel Stress habe ich mir und meinen Söhnen angetan, weil ich die digitale Faszination unterschätzt habe! Das Auseinandersetzen mit dem Neuen bedeutet, leider, immer auch, dazuzulernen. Das ist gerade im Alter eine Herausforderung, weil wir dazu tendieren, unsere Ruhe haben zu wollen und uns in jahrelang gelernten Mustern zu bewegen. Lernen bedeutet Mühe. Aber um diese Aufgabe kommen wir nicht herum. Lebenslanges Lernen gilt nicht nur für die anderen, sondern für jeden Bürger. Es gibt viele gute Gründe, skeptisch zu sein. Arbeitsplatzverlust durch digitalen Fortschritt ist ja keine Fiktion, sondern Realität, wie ich an meinem eigenen Beruf sehe. Würde ich meinen Kindern heute raten, Bankberater oder Verwaltungsangestellter zu werden? Eher nicht. Zugleich halte ich es für unsinnig, dem Start-up-Kult mit Begeisterungsblindheit hinterherzurennen. Unser Ziel ist es nicht, Skeptiker zu bekehren, sondern Ängste zu versachlichen. Angst ist ja grundsätzlich eine lebensverlängernde Emotion. Aber es ist wichtig zu wissen, wovor. Wann ist es klug, wegzurennen, wann sollte man kämpfen, wann lieber abwarten? Angst braucht Kompetenz, das Wissen, wann sie berechtigt ist. Und diese Kompetenz wollen wir liefern. Wer sich auskennt, trifft einfach die besseren Entscheidungen. 

Autorin

Anna Walther
Volontärin Newsroom

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