In der Ruhe liegt die Kraft

07.07.2020
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Die Corona-Krise setzt den Finanzmarkt unter Druck und betrifft damit viele Stiftungen auch finanziell. Warum es dennoch gute Gründe gibt, nicht nervös zu werden

Der Erreger infizierte nicht nur in Windeseile die Weltbevölkerung, sondern auch die Finanzmärkte.

Dieter Lehmann hat die Börsenentwicklung der vergangenen Wochen genau beobachtet. Er ist Leiter der Vermögensanlage der eigenständigen VolkswagenStiftung in Hannover, die Forschungsvorhaben jeglicher Disziplin fördert. Mit einem Stiftungskapital von derzeit rund 3,5 Milliarden Euro gehört sie zu den größten gemeinnützigen Stiftungen privaten Rechts in Deutschland. Mehr als 40 Prozent ihres Kapitals ist in Aktien investiert. Das war bis Februar auch noch eine durchaus lohnende Strategie: Die Börsen befanden sich auf hohem Niveau, der deutsche Leitindex Dax erreichte mit 13.789 Punkten am 19. Februar sogar seinen bis dahin höchsten Jahreswert. Doch dann griff das Coronavirus an: Der Erreger infizierte nicht nur in Windeseile die Weltbevölkerung, sondern auch die Finanzmärkte. Innerhalb eines Monats stürzten die Kurse in ungeahnte Tiefen: Der Dax verlor bis zum 18. März knapp 39 Prozent, der amerikanische S&P 500 ein gutes Drittel und der japanische Nikkei rund 30 Prozent. Die Kurse haben zwar in der Zwischenzeit wieder angezogen. Aber niemand weiß, ob sie bald wieder auf Talfahrt gehen.

Ruhe bewahren trotz heftiger Kursstürze

Nicht nur Privatanleger, auch viele Stiftungen in Deutschland stehen derzeit vor der Frage: Sollen sie ihre Aktien verkaufen und Verluste realisieren oder doch lieber die Füße stillhalten und auf bessere Zeiten hoffen? Jahrelang haben Anlageexperten gedrängt, dass Stiftungen verstärkt in Aktien investieren sollen. Denn Festgeldanlagen und auch der Anleihemarkt, der Liebling konservativer Anleger, sind kaum noch interessant: Die Zinsen sind historisch niedrig, für Käufer festverzinslicher Wertpapiere bestehen nur noch wenige Anreize. Lediglich der Hochzinsbereich bietet eine gute Rendite – birgt allerdings auch hohe Verlustrisiken. Aktien sollen gute und möglichst regelmäßige Erträge liefern. Doch auch der Aktienfokus hat seinen Preis, wie sich spätestens jetzt zeigt.

So ging die Krise an den Börsen auch am Stiftungsvermögen der VolkswagenStiftung nicht spurlos vorbei: Im Zeitraum von Januar bis Ende März verschlechterte sich die Gesamtperformance des Stiftungsvermögens um rund 10 Prozent. Für Lehmann ist das trotzdem kein Grund zur Aufregung. Er spricht von „nur“ 10 Prozent – schließlich haben die weltweiten Aktienindizes im gleichen Zeitraum deutlich mehr an Wert eingebüßt. Die vergleichsweise bessere Performance seines Portfolios führt der Vermögensspezialist auf eine breite Risikostreuung zurück:

Neben Aktien hat die VolkswagenStiftung in Immobilien- und Rentenanlagen investiert, „die zu großen Teilen diversifizierend gewirkt haben“, erklärt Lehmann. Die Kursstürze im Aktienbereich habe er zwar als durchaus heftig wahrgenommen. Dennoch habe er seine Titel nicht angefasst. „Es ist komplett verkehrt, in so einem Moment panisch zu reagieren.“

Ein Wertrückgang ist kein Verlust

Lehmann hält sich damit an eine alte Börsenweisheit: Der größte Fehler bei Aktieninvestments ist ein Verkauf in der Krise. Denn wer seine Papiere loswerden will, wenn die Kurse stürzen, macht in jedem Fall Verluste. Jene, die ihre Papiere halten, erleiden zwar einen Wertrückgang – haben aber die Chance, dass ihre Aktien irgendwann wieder genauso viel wert sind wie vor der Krise und noch weiter steigen. Nach der Finanzkrise 2008 etwa hatte der deutsche Leitindex Dax sein Vor-Krisenniveau von etwas mehr als 7.000 Punkten innerhalb von rund drei Jahren wieder erreicht und hat sich danach bekanntlich zu neuen Höhen aufgeschwungen. Dennoch kann die aktuelle Situation für Stiftungen mit einem hohen Aktienanteil im Portfolio durchaus zur Herausforderung werden. Florian Walter kennt Stiftungen mit einem Aktienengagement von 80 Prozent. Der Vermögensverwalter arbeitet im Private Banking der Frankfurter Privatbank Metzler und kümmert sich schwerpunktmäßig um Stiftungskunden. „Einige Branchen werden ihre Dividenden – zumindest vorübergehend – kürzen oder ganz aussetzen“, sagt Walter. Betroffen seien zum Beispiel Energieunternehmen. Da die Dividenden als Erträge für den Stiftungszweck essenziell seien, könne die Corona-bedingte Krise an den Aktienmärkten „durchaus abschreckend wirken“, so Walter. Die Krise offenbart insofern tatsächlich die Nachteile von Aktien als laufende Renditequelle.

Dennoch rät Walter zu Besonnenheit. Grundsätzlich sei ein überstürzter Abverkauf nicht sinnvoll. Lediglich kleinere Anpassungen böten sich teilweise an. „In einigen Fällen haben wir eine Umschichtung im Stiftungsportfolio vorgenommen – zugunsten weiterer qualitativ hochwertiger Unternehmen“, sagt Walter. Der Vermögensverwalter hat hierbei weitgehend freie Hand: Die Stiftungen geben nur einen gewissen Anlagerahmen vor, in dem Metzler sich bewegen sollte. Die Titelauswahl jedoch ist Sache von Metzler. Besonders bei Aktien qualitativ hochwertiger Unternehmen, zum Beispiel amerikanischer Großkonzerne oder europäischer Luxusunternehmen, böten sich für Stiftungen nun Chancen. „Jetzt, wo die Kurse gefallen sind, sind Aktien guter Unternehmen zu einem niedrigeren Preis erhältlich“, sagt Walter. Das birgt Chancen für künftige Kurssteigerungen, löst das Problem fehlender laufender Einnahmen allerdings nur bedingt.

Unternehmensverbundene Stiftungen als Vorbild

Um auf solche Situationen vorbereitet zu sein, ist es sinnvoll, einen Puffer einzubauen. Unternehmensverbundene Stiftungen können hier als Vorbild dienen. Da sie auf die Dividende des verbundenen Unternehmens in der Regel komplett angewiesen sind, sind sie erprobt darin, in guten Zeiten vorzusorgen, um die schlechten zu überstehen. So auch die Robert Bosch Stiftung in Stuttgart: Als Gesellschafterin des Zulieferers Robert Bosch GmbH finanziert die Stiftung ihre Arbeit aus den Gewinnen des Unternehmens: Die ausgeschüttete Dividende fließt dem Haus anteilig zu.

Da Bosch zwischen 2017 bis 2019 gute Ergebnisse erzielte, hat die Stiftung in diesen Jahren jeweils eine Dividende erhalten, „die das Jahresbudget deutlich überstieg“, sagt Professor Joachim Rogall, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung. „Damit haben wir sehr vorsichtig gewirtschaftet und im gesetzlich zulässigen Umfang eine freie Rücklage aufgebaut.“ Diese diene als Vorsorge für Jahre mit niedrigerer Dividende. Noch glaubt Rogall aber, dass die Bosch-Dividende in diesem Jahr für die Stiftungsarbeit ausreichen wird, ohne dass die Stiftung auf ihre freien Rücklagen zugreifen muss. Wie hoch die Dividende in den kommenden Jahren ausfalle, könne derzeit niemand vorhersehen. „Mit den Mitteln unserer freien Rücklagen wären wir aber in der Lage, auch eine Phase mit geringeren Dividendenzahlungen von der Robert Bosch GmbH zu überbrücken.“

Anlagehorizont bei Aktien passt zur Stiftungsphilosophie

Langfristig passen Aktien für die Anlage von Stiftungsvermögen ohnehin gut, weil beide einen ähnlichen zeitlichen Horizont haben. Das bestätigt auch Lehmann von der VolkswagenStiftung. „Stiftungen sind auf Ewigkeit errichtet – dementsprechend langfristig sollte auch ihre Anlagestrategie ausgerichtet sein.“ Zwar räumt er ein, dass sich Aktieninvestoren mitunter in Geduld üben müssten: So hat es nach dem Platzen der New-Economy-Blase 2000 etwa sieben Jahre gedauert, bis das ursprüngliche Kursniveau wieder erreicht war. Und auch nach der Corona-Krise würden die Märkte vielleicht etwas länger brauchen, bis sie ihr Ausgangslevel wiedergefunden hätten. Denn zunächst müsse man beobachten, ob die Produktion insgesamt problemlos wieder hochgefahren werden könne, oder ob es durch den Shutdown zu nachhaltigen Schäden, etwa in der Zulieferindustrie, gekommen sei. Doch: „Aufschlussreich und wirklich zielführend kann für jede Stiftung nur die Langfristbetrachtung des Anlageergebnisses sein.“ So habe die VolkswagenStiftung seit 1990 im Schnitt jährlich eine Performance von 6 Prozent erzielt, alle Höhen und Tiefen miteinberechnet. „Nur das ist entscheidend“, sagt Lehmann. „Wenn man sich immer von der Emotionalität des Moments leiten ließe – das gilt im Übrigen auch für besonders erfolgreiche Jahre – wäre man wahrlich schlecht beraten.“

Davon ist auch die Bürgerstiftung Braunschweig überzeugt: „Grundsätzlich denken wir in Bezug auf die Vermögensanlage eher in Dekaden als in Quartalen“, sagt Hans-Herbert Jagla, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Braunschweig. Nichtsdestotrotz hat die Stiftung auf die Corona-Krise reagiert: Seit Ende Februar hat das Fondsmanagement des sogenannten Bürgerstiftungsfonds, in dem die Stiftung rund ein Drittel ihres Vermögens anlegt, die Kurse der Aktien schrittweise mit Derivaten abgesichert. Zur Vorsicht gemahnt hatte ein Risikoindikator, der auf künstlicher Intelligenz basiert und der das Fondsmanagement bei der Steuerung des Fonds seit 2018 unterstützt, „um falsche Bauchentscheidungen zu vermeiden“, so Jagla. Zudem erhalten die Fondsmanager Empfehlungen vom Anlageausschuss, der sich neben Experten der Bürgerstiftung Braunschweig aus weiteren Stiftungsvertretern, einem unabhängigen Vermögensverwalter und zwei Bankvertretern zusammensetzt. Die Absicherungen der Aktienkurse würde das Fondsmanagement nun wieder langsam auflösen. Im April lag die Aktienquote im Stiftungsfonds bei 34 Prozent, maximal könne sie 49 Prozent betragen.

Aktien sind gut, Diversifikation ist besser

Um die derzeit womöglich sinkenden Dividenden abzufedern, setzt die Stiftung zudem weiter auf Spenden und Rücklagen. Auch bei anstehenden Förderungen kalkuliert sie nun vorsichtiger und berücksichtigt in ihrer Planung, dass künftig weniger Erträge für Projekte zur Verfügung stehen könnten. Darüber hinaus hat sich das Fondsmanagement für eine stärkere Gewichtung von Anleihen entschieden. Chancen sehen Anlageausschuss und Fondsmanagement derzeit bei ausgewählten Anleihen mit BBB-Rating, also Papieren mit einer Bonität der unteren Mittelklasse. Sie könnten die niedrige Rendite von Anleihen mit besserem Rating zum Teil kompensieren. Und natürlich seien kurzfristige Schwankungen an den Aktienmärkten „für den Moment schmerzhaft“, sagt Jagla. Dennoch sieht er in Aktien die interessanteste Anlageklasse für Stiftungen. Nur noch mit einer höheren Aktienquote lasse sich der reale Vermögenserhalt der Stiftung realisieren. Neben stabilen Renditen böten sie zudem Schutz vor Inflation. Und der Inflationsschutz ist für viele Stiftungen ein Thema: So zeigen die Ergebnisse des aktuellen Stiftungspanels des Bundesverbandes Deutscher ­Stiftungen, dass ein Fünftel der befragten Stiftungen im Jahr 2019 eine Rendite unterhalb der Inflationsrate erwartet. Vor allem kleinere Stiftungen schaffen es demnach nicht, ausreichend Rendite zu erwirtschaften, um die Inflation auszugleichen.

Jagla ist aufgrund der aktuellen Lage nicht „überdurchschnittlich beunruhigt“, die geplante Fondsausschüttung wolle die Stiftung auch in diesem Jahr sicherstellen. Zuversichtlich macht Jagla auch die Diversifikation des Vermögens. Denn neben Aktien und Anleihen investiert die Stiftung unter anderem auch in Immobilien.

Laut Panel sind Immobilien die am häufigsten gewählte Alternative der Mitglieder

Wie die aktuelle Befragung des Stiftungspanels des Bundesverbandes zeigt, ist dies für viele Mitglieder eine typische Anlagealternative: Knapp 40 Prozent der befragten Stiftungen investiert in Immobilien. Unternehmensbeteiligungen oder Wagniskapital spielen mit rund 10 Prozent hingegen eine untergeordnete Rolle. Insgesamt ist derzeit jedoch nur rund die Hälfte der Befragten überhaupt in andere Anlageklassen als Aktien und Anleihen investiert. Auch die Gründe dafür offenbaren die aktuellen Panelergebnisse: In vielen Anlagerichtlinien von Stiftungen ist dies schlicht nicht vorgesehen, oft ist den Verantwortlichen auch das Risiko zu hoch. Rohstoffe zum Beispiel finden sich deshalb eher selten in Stiftungsportfolios, weiß Metzler-Vermögensexperte Walter. Gold, oft als Krisenwährung bezeichnet, biete zwar Möglichkeiten als Wertanlage. „Für Stiftungen ist das Edelmetall aber in der Hinsicht insofern weniger relevant, als es keine Erträge abwirft. Und diese sind für die Erfüllung des Stiftungszwecks ausschlaggebend.“ Deshalb gilt für Stiftungen trotz unruhiger Zeiten einmal mehr: Ruhe bewahren und sich von den Börsenturbulenzen nicht beeindrucken lassen. Denn Aktien sind nach wie vor eine zentrale Anlageklasse, um langfristig die für ihre Förderarbeit so wichtigen Erträge erwirtschaften zu können.

Über den Autor

Nina Bärschneider

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